‘Gschichtln drucken’ ist wienerisch und meint ‘Geschichten erzählen’. Und das ist es im Prinzip um das es beim interpretativen, qualitativen Forschen geht: Geschichten von Menschen zu sammeln und daraus eine große Geschichte zu machen.
Nachdem ich derzeit hauptsächlich mit dem Endspurt des Semesters beschäftigt bin – Blockseminare sind doch recht zeitintensiv – komme ich nicht in dem Ausmaß zum Schreiben, wie ich gerne würde. Aber warum nicht das Nützliche mit dem Sinnvollen also den Blog mit einem kleinen Dissertationstagebuch verbinden? Weil eigentlich sollte ich derzeit nicht so viel Zeit mit dem Feedback zu Bachelorkonzepten verbringen, sondern mich der Datenauswertung meiner Diss widmen. Also hab ich beschlossen zu dokumentieren was ich da tue und daran zu illustrieren, wie ein interpretativer, methodischer Weg so aussehen kann. Derartige Nachfragen gab es ja nach meinen ersten Blogbeiträgen.
„Kommunikation in/im Bau – wie Leben in den Grundriss kommt” ist mein derzeitiger Arbeitstitel. Im Anschluss an ein Forschungsprojekt geht es darum Kommunikation über Wohnbauten zu analysieren. Im Konkreten stelle ich Raumbilder aus narrativem Datenmaterial, d.h. Gruppendiskussionen in Kombination mit Interviewdaten und noch Beobachtungs- und Photomaterial, gegenüber: Diese Raumbilder, Begriffsdefinition folgt natürlich noch, finden sich sowohl in den Schilderungen von BewohnerInnen von Wohnbauten in Wien, als auch in den Diskussionen der Planenden und Bauträgern, d.h. den Gruppendiskussionen, die wir über die Entwurfsprozesse der Gebäude geführt haben. In insgesamt 6 Case Studies, jeder Fall ist ein Wohngebäude, wurden diese Daten gesammelt, transkribiert und harren jetzt ihrer Auswertung.
Die Auswahl der Case Studies erfolgte mittels ‚theoretical sampling’, einem Begriff aus der Grounded Theory, wie genau wir vorgegangen sind, würde hier den Rahmen sprengen bzw. einen eigenen Blogeintrag wert sein. (Graham Gibbs erklärt einiges dazu hier: Grounded Theory – Core Elements) In Kürze meint dies, dass in einem abgesteckten Feld – bei mir der Wiener Wohnbau – nach allen möglich vorhandenen Konzepten und Phänomenen gesucht wird. Im Gegensatz zu einem repräsentativen Vorgehen in Hinblick auf eine Grundgesamtheit, also z.B. als Stichprobe die Bevölkerung eines Landes o.ä. methodisch zu fassen, geht es hier darum eine Repräsentativität in Hinblick auf vorhandene Konzepte und Phänomene zu gewährleisten. Gesucht wird auf einer inhaltlich interpretativen Ebene nach allem Vorhandenen, angestrebt wird möglichst umfassend die Perspektiven, Theoretisierungen und Konzeptualisierungen zu erfassen und deren eingelagerten Sinn zu extrahieren. In weniger (sozial)wissenschaftlichen Formulierungen: Es geht darum zu wissen was und wie alles in einem Bereich gedacht wird, welche Perspektiven es gibt und wie die Zusammenhänge aussehen. Ziel ist, wie ich in letzter Zeit des Öfteren zu meinen Studierenden gesagt habe, sich in die Schuhe von anderen Personen zu stellen, viele unterschiedliche Sichtweisen zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren was genau das meint, die verschiedenen Standpunkte zu vergleichen und daraus eine gegenständliche Theorie zu entwickeln, die die Phänomene und Zusammenhänge erklären kann. Jeder Mensch hat seine bzw. ihre Alltagstheorien und – erklärungen: Diese stehen für Perspektiven, hängen mit Milieus zusammen, haben also eine ganz bestimmte soziale Sicht und Position. Die unterschiedlichen Materialien werden gesammelt, interpretiert und auf eine gemeinsame theoretische Basis gebracht, um zu erklären warum die konkrete soziale Realität sich so darstellt und welche Sinnzusammenhänge existieren.
Deshalb ist es für diese Art der Analyse auch so wichtig erzählerisches, d.h. narratives, Material zu sammeln. Immer wenn Menschen einfach erzählen, Geschichten und Metaphern verwenden und ohne langes Nachdenken frei von der Leber weg sprechen, kann zwischen den Zeilen gelesen werden, kann das erfasst werden, was die Leute erzählen ohne dass es ihnen bewusst ist. So hat das eine Studentin nach einer Interpretationseinheit treffend formuliert. Wir sammeln also Geschichten und bringen diese in eine große, möglichst umfassende, Geschichte zu einem Thema ein. Wie Brené Brown in ihrem Ted-Beitrag passend formuliert: We are “storytellers”.
In noch folgenden Blogbeiträgen werde ich das ‚Wie’ des Interpretierens anhand meines Materials erläutern und daran zeigen wie so etwas vor sich geht. Ich möchte ja mein Versprechen einhalten genau diese Auswertungsprozesse transparent zu machen, die in der methodischen Literatur meist nur sehr vage beschrieben sind – auch deshalb vage beschrieben sind, weil sich dieses Know How nur schwer schriftlich vermitteln, sondern am besten in Workshops und Interpretationssessions aneignen lässt. Learning by doing. To be continued…
Kommentare (2)