In Österreich schlägt ein Projektbericht zu islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen politische und mediale Wellen. Die Debatte verläuft – leider wie zu erwarten – hitzig und heftig. Besonders von (sogenannten) Islam“kritikern und –innen“ wird die Studie instrumentalisiert. Außen- und Integrationsminister Kurz hat sich dabei besonders hervorgetan und die Studie verwendet, um das Thema der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien für politische Zwecke zu nutzen. Was aber steckt, von einem sozialwissenschaftlich Standpunkt betrachtet, in dieser Studie? Analysiert wird die methodische Qualität des Projektberichts, der ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel darstellt.
Analyse des Projektberichts „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“. Für alle, denen die ausführliche Variante meiner Analyse zu lang ist, hier eine Kurzfassung:
Die Debatte rund um die Evaluierung islamischer Kinderbetreuungseinrichtungen zieht sich seit mehr als einer Woche. Der Projektbericht wurde am 16.12.2015 über ein Facebookposting von Thomas Schmidinger zugänglich und ist hier auf der Website des Standards hinterlegt.
Der Projektbericht qualifiziert sich selbst als Vorstudie (S. 3 des Projektberichts), entspricht aber nicht den Standards aktueller sozialwissenschaftlicher Arbeit. Der Bericht ist eine Melange aus zusammengetragenen Meinungen, subjektiver Recherche, Beobachtungen und von Erfahrungswerten. Hinweise auf eine systematische und nachvollziehbare Bearbeitung des Themas finden sich darin nicht. Weder werden Quellen ausreichend transparent gemacht, noch gibt es eine Dokumentation zu den empirischen Schritten und Auswertungen. Der Projektbericht weist formale Mängel auf. Ein Literaturverzeichnis fehlt, der Anhang ist unzureichend, der Bericht beinhaltet keine Leitfäden zu den Interviews, es gibt kein Verzeichnis der durchgeführten Interviews und keine Transkripte. Elemente aus den Auswertungsarbeiten, wie z.B. ein Kategorienschema, eine Typologie oder ähnliches, fehlen.
Das Untersuchungsdesign bleibt intransparent: Die Forschungsfragen sind indifferent und breit angelegt. Die gewählte Methodik der ExpertInneninterviews kann die gestellten Forschungsfragen nur bedingt beantworten, etwas das aber aufgrund von fehlenden Leitfäden und Transkripten bzw. Zitaten aus den Transkripten nur ansatzweise beurteilt werden kann. Die Auswahl der Fälle ist nicht nachvollziehbar, der Samplingprozess damit nicht rekonstruierbar und Rückschlüsse auf das Feld nicht möglich. Der Forschungsprozess und die konkreten Vorgangsweisen werden nicht beschrieben. Größte Mängel weist die Art und Weise der Auswertung auf. Beschrieben wird eine „an die Auswertungsmethode der Grounded Theory“ angelehnte Vorgangsweise. Die vorgelegten Ergebnisse haben allerdings mit einer in Daten begründeten Theorie – das meint Grounded Theory – nichts zu tun. Die Grounded Theory scheint rein als Label verwendet worden zu sein.
Die Ergebnisse im Projektbericht sind Aufzählungen in Form von unterschiedlich umfangreichen Formulierungen, zugeteilt zu Kategorien. Woher diese Kategorien stammen, ob aus den Leitfäden, den Analysen oder aus anderen Quellen, ist nicht ersichtlich. Eine Interpretation der Aufzählungen gibt es in dem Bericht nicht. Zitate aus den Interviews, um die angeführten Punkte zu untermauern, sind im Text nicht enthalten. Im Berichtsende werden Vorschläge zur Qualitätssteigerung präsentiert. Wie diese mit den durchgeführten Forschungsschritten zusammenhängen, ist aus dem Bericht heraus nicht ersichtlich.
Der Sinn der Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens liegt darin die Weiterarbeit mit den gefundenen Erkenntnissen und Inhalten zu ermöglichen. Diese gelten für jede Form der wissenschaftlichen Arbeit von Proseminar-, Bakkalaureats- und Diplomarbeiten, über Dissertationen und Habilitation bis zu Publikationen im Rahmen von Forschungsprojekten. Dies gilt auch für Vorstudien und ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Indifferenz des Projektberichts eröffnet die Möglichkeiten zur willkürlichen Interpretation der Ergebnisse. In den vergangenen Tagen war genau dies in den öffentlichen Debatten beobachtbar: Einzelne Aspekte wurden herausgenommen und im politischen Diskurs instrumentalisiert. Genau deshalb, um solchen Effekten entgegenzuwirken, existieren (sozial)wissenschaftliche Standards und ist es unabdingbar diese einzuhalten. Forschung soll (und muss) immer einen sachlichen Beitrag zu sozialen Phänomenen und ihrer Analyse leisten und in ihrem Rahmen versuchen einer Instrumentalisierung zumindest vorzubeugen. Kurz gefasst: Der Projektbericht zur „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ ist ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel und verdient das Etikett einer wissenschaftlichen Arbeit nicht.
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