Die Kurzversion meiner methodischen Kritik ist gestern auch auf derstandard.at unter dem Titel “Islamkindergärten-Studie: Ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel” veröffentlicht worden. Da ich weder im Standardforum, noch auf Facebook und Twitter, auf alle Fragen bzw. Kommentare einzeln eingehen kann und will, hier eine kleine Zusammenstellung. Und, wie immer, ist es faszinierend wie diese schriftlichen, virtuellen Debatten ablaufen. 🙂
Zu dem Thema was alltägliche, subjektive Wahrnehmung von sozialwissenschaftlicher Analyse unterscheidet, habe ich einen eigenen Beitrag erstellt.
Wurde die Langversion bezahlt?
Nein. Kein Cent ist geflossen. Alle Scienceblogsbeiträge entstehen ohne Bezahlung.
Was für ein Format hat die methodische Kritik?
Sie ist ein Blogpost. Keine Auftragsarbeit, kein Forschungsbeitrag, kein Artikel in einem Journal, nichts aus einem Peer-Review-Verfahren, sondern ein Feedback zu einem Paper, das sich selbst als ‚Vorstudie‘ qualifiziert.
Warum meine ich dafür qualifiziert zu sein?
Im Lauf der Jahre habe ich unzählige studentische Arbeiten betreut. Ich habe für Journals in Peer-Review-Verfahren eingereichte Artikel begutachtet und auch für Tagungen bzw. Konferenzen eingereichte Beiträge bewertet. Aus diesen Bereichen stammen meine Skills in der Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten.
„Das ist ja nur eine Vorstudie“ – kam in mehreren Variationen
Eine Vorstudie ist kein Freibrief für methodische Beliebigkeit. Wissenschaftliche Regeln gelten für jede Arbeit, die das Label ‚wissenschaftlich‘ für sich in Anspruch nimmt. Dies hat der Projektbericht „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ getan, der Text ist nicht als Artikel, Meinung oder Blogpost in die Öffentlichkeit gekommen.
Vorstudien oder Pretests können z.B. in Bezug auf die Reichweite oder die untersuchten Zielgruppen eingeschränkt, aber nicht von den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens befreit sein: Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Transparenz gelten immer. D.h. auch, dass die Vorgangsweise und die Fallauswahl in einer Vorstudie dargelegt werden müssen. Auch der Zusatz „Kurze Darstellung der relevanten Zwischenergebnisse“ kann diese Ansprüche nicht relativieren.
„Legst du da nicht ein wenig zu weitgehende Maßstäbe an eine Arbeit, deren Sinn, wenn ich es richtig verstanden habe, allein darin bestand herauszufinden ob man sich die Sache genauer anschauen sollte?“
Nein, lege ich nicht. Wäre das ein Blogpost oder auch Zeitungsartikel: Kein Thema. Alles was mit Meinung gelabelt wird: Kein Thema. Aber dieser Projektbericht/Vorstudie spielt genau damit. Sagt, es ist wissenschaftliche Arbeit, publiziert im Namen der Uni Wien, im Namen eines Institutes, und nimmt für sich damit eine andere Stellung in Anspruch.
Sie sind nicht in die Öffentlichkeit gegangen mit: ‚Wir sind der Meinung dass…‘ Sondern mit: ‚Da gibts eine Studie und die zeigt, da gibt es ein Problem. Und das sieht so aus.‘ Das Label ‘Vorstudie’ kam ja erst nachträglich, das Paper war anfangs gar nicht zugänglich. Nur eben: Genau das kann dieser Projektbericht nicht nachweisen. Die ‘Vorstudie’ kann die tatsächlichen Probleme nicht aufzeigen, so wie sie gemacht ist. Sie bringt keinen validen Nachweis.
Mehrere Kommentare haben unterstellt ich hätte einen – wie auch immer gearteten – Bias, deshalb:
Habe ich für die IGGÖ gearbeitet?
Nein. Ich habe vor Jahren (2007) ein Seminar zu Projektmanagement im Rahmen des Projekts Fatima gehalten, veranstaltet von der MJÖ, der Muslimischen Jugend Österreichs. Bezahlt wurde das zweitägige Seminar vom Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend.
Ich halte seit vielen Jahren, neben meiner Lehr- und wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, Seminare. Wie alle Trainer- und BeraterInnen arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.
Tätigkeit für das IIS?
Dies war ein methodischer Beratungsauftrag im Rahmen meiner methodischen Beratungstätigkeit: Ein Vorgespräch plus ein Workshoptermin zur Grounded Theory. Danach war der Auftrag beendet. Damit diesbezüglich Transparenz herrscht, habe ich das in die Langversion inkludiert. Auch im Bereich der methodischen Beratung arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.
Motivation für die methodische Kritik?
Die gleiche wie für meinen Scienceblog Sociokommunikativ: Sozialwissenschaften zugänglich zu machen und ihren wissenschaftlichen Zugang zu erklären. Dadurch, dass Gegenstand und Forschende – soziale Phänomene und Menschen – nicht trennbar sind, haben wir mit anderen Umständen umzugehen als z.B. die Naturwissenschaften. Dies versuche ich darzulegen.
Und mich ärgert es, wenn sozialwissenschaftliche Projekte schlecht gemacht werden und dann dem ganzen Feld auf den Kopf fallen oder auch politisch instrumentalisierbar werden. Sozialwissenschaftliche Forschung soll gesellschaftliche Phänomene zugänglich machen und zu Lösungen beitragen. Pauschale Verurteilungen und Polarisierungen durch schlecht gemachte sozialwissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, widerstrebt mir unglaublich.
Dass die sozialwissenschaftliche Community zu der öffentlichen Debatte geschwiegen hat und immer noch schweigt, war ein Auslöser für meine methodische Kritik. Viele WissenschafterInnen setzen sich nur ungern öffentlichen Debatten aus – warum kann im Standardforum unter meinem Beitrag sehr einfach nachgelesen werden. 😉 Menschen ohne fachliches Wissen sind insbesondere in sozialwissenschaftlichen Feldern bzw. Themen schnell am (ab)urteilen. Ich finde es wichtig, dass sich WissenschafterInnen auch öffentlich einbringen und bin keine Freundin des Elfenbeinturms, deshalb habe ich auch meinen Scienceblog gestartet.
Heiße ich Parallelgesellschaften, radikale Religiösität, und was sonst noch so als Vorwurf kam, gut?
Nope. Keinesfalls.
Ist meine methodische Kritik ein Versuch die Existenz radikaler Phänomene vom Tisch zu wischen, wie von manchen behauptet?
Nein. Was auch immer bei einer korrekt gemachten Studie rauskommt: Die Ergebnisse sind – unabhängig von persönlichen und politischen Vorlieben – zu akzeptieren, da man es mit Fakten zu tun hat, die soziale Perspektiven und Ausschnitte beleuchten.
Die Bandbreite diesbezüglicher Phänomene ist groß. Probleme im Bereich von Kinderbetreuungseinrichtungen sind existent, wie in der Langversion geschrieben. Diese lassen sich aber meiner Felderfahrung nach (d.h. nicht empirisch abgesichert) auf die enorme Steigerung der Anzahl von Gruppen und nicht nur auf die islamischen Gruppen zurückführen.
Arbeiten, wie die ‚Vorstudie‘, suggerieren aber, dass alle islamischen Kigas und Kindergruppen ein Problem darstellen – und dabei kann aber eine Arbeit dieser Qualität darüber keine Aussagen treffen. Das halte ich für gefährlich und unethisch. Daher der Blogpost dazu.
Würde ich selbst an einer Studie zu Kinderbetreuungseinrichtungen mitarbeiten?
Was für eine Frage. Natürlich. 😉
Ist das die Motivation zu den Blogposts gewesen?
Nein. Siehe oben.
Bis vor kurzem hätte ich das auch nicht machen können, weil ich selbst im Feld aktiv war (Kindergruppen-, dann Schulobfrau). Inzwischen würde das, weil ich nicht mehr aktiv Teil des Feldes bin, zwar funktionieren. Dafür braucht es aber Zeit und Ressourcen, die ich im Moment gar nicht hätte.
Qualifikationsgrundlage meiner methodischen Kritik?
Eigentlich wäre das ja einfach ergooglebar und auch in meiner Scienceblogkurzbio steht dazu etwas drin. 😉 Aber falls es jemanden tatsächlich genauer interessiert:
Ich arbeite seit Ende der 90er als Sozialwissenschafterin, habe ursprünglich Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert, damals noch mit einem Nebenfach, bei mir war das eine Kombi aus Soziologie, Politikwissenschaft und weiteren Studienrichtungen. Ende der 00er Jahre kamen zwei Jahre in einem Postgraduatelehrgang am IHS Soziologie dazu. Einige Ausbildungen zu Training und Beratung habe ich auch hinter mir und bin auch Teil der ÖGGO, der Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung.
Während des Studiums war ich als Tutorin tätig, aus der Zeit stammt der Start meines Methodenschwerpunkts, ich habe mit em. a.o. Univ.-Prof. Vitouch gearbeitet. Seit 2001 unterrichte ich angestellt als Lektorin an der Uni Wien am Institut für Publizistik, inzwischen auch an der TU Wien, an der ich auch mal Assistentin war. Lehraufträge an der SFU oder in Krems waren in Lauf der Jahre auch dabei.
Meine erste Lehrbeauftragung war die Einführung in die empirische Sozialwissenschaft, die Methodeneinführungsvorlesung, damals parallel zu Kollegen Vitouch. Im Lauf meiner beruflichen Tätigkeit folgte eine intensive Auseinandersetzung mit qualitativen Methoden – insbesondere der Grounded Theory und der dokumentarischen Methode. Ich habe zur qualitativen Forschung eine Vorlesung entwickelt, die ich aktuell halte. Ebenso halte ich eine LV zu Forschungsmanagement und im Sommersemester die Einführungsvorlesung zur Medienpädagogik im Audimax (eins meiner Forschungsfelder) und LVs zu Arbeitstechniken, gruppendynamischen Strategien und interner Organisationskommunikation. In der Lehre verbinden sich so meine wissenschaftlichen Arbeitsfelder mit Trainings- bzw. Beratungstätigkeiten. (Alles im Vorlesungsverzeichnis der Uni Wien nachrecherchierbar.)
Meine Forschungstätigkeiten sind dzt. außeruniversitär, sowohl im quantitativen, als auch – und hauptsächlich – im qualitativen Sektor angesiedelt. Zweiteres auch deshalb, weil diese Art von Forschung die ideale Grundlage für weitere Beratungstätigkeiten und Maßnahmenentwicklung ist. Auch hier wieder ein Link zwischen den Berufsfeldern.
Wo ich, wann, wie genau tätig war, würde hier den Rahmen sprengen. Ich gehöre zur ersten Generation der prekär wissenschaftlich Arbeitenden. Unter meinen anderen Arbeitgebern waren u.a. die TU Wien (FWF Projekt), die Boltzmann-Gesellschaft oder das Forschungszentrum Seibersdorf. Seit 4 Jahren forsche, berate und trainiere ich im Rahmen unserer eigenen Firma – ich war die ewigen prekären Anstellungen leid. Im Zuge dessen habe ich 2012 begonnen auf Scienceblogs zu schreiben. Die Freiheit, die mit diesen Arbeitsformen verbunden ist, schätze ich, insbesondere fürs wissenschaftliche Arbeiten, sehr.
Meinem Herkunftsinstitut der Publizistik bin und bleibe ich durch Lehrtätigkeit intensiv verbunden. Diese universitäre ‚Heimat‘ schätze ich, bei allem was an Uni und Institut berechtigt zu kritisieren ist, sehr. Die Entwicklung der Publizistik hin zu einer Sozialwissenschaft seit mehr als 20 Jahren miterleben und mitgestalten zu dürfen, finde ich großartig und möchte ich nicht missen.
Warum bin ich keine Dr.?
Ja, das werde ich oft gefragt. Und zurecht. 😉 Mehr als die Hälfte der Dissertation ist schon länger fertig. Sie ist das Projekt, das immer liegen bleibt, wenn es anderes zu tun gibt. Und ich hab ziemlich gut zu tun. Und sie ist das Projekt für das ich aus meinem sonstigen Alltag eine Zeit lang aussteigen müsste, etwas das nicht so einfach ist angesichts von Job, Familie und sonstigem. Der Blog ist da praktischer: Immer nur recht kurze Arbeitseinheiten produzieren einen Text und keine fixe Verpflichtung.
Ich hoffe es ist jetzt alles befragt und beantwortet. Und nun allen schöne Ferien und gute Erholung!
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