Seit Ende Februar liegt der Abschlussbericht, wiederum als Vorstudie qualifiziert, zu islamischen Kindergärten in Wien vor. Nachdem auch diese Fassung öffentlich stark rezipiert wurde und im politischen Diskurs verwendet wird, lohnt sich ein Blick auf die Qualität des Berichts. Spannend dabei ist vor allem die Frage, ob nun methodisch korrekt vorgegangen wurde und der Abschlussbericht damit fundierte Aussagen über das Feld der islamischen Kindergärten treffen kann oder nicht.
Beim ersten Ansehen des Abschlussberichts sticht zuerst das Positive ins Auge: Im Vergleich zur Erstfassung erfüllt das Paper jene formale Kriterien, die an wissenschaftliche Arbeiten gestellt werden. Das Layout ist im passenden Format gestaltet. Das Inhaltsverzeichnis verrät, dass alle relevanten Elemente enthalten sind. Die darin enthaltene Strukturierung ist sinnvoll und logisch, die Feld- und Methodenbeschreibung ebenso enthalten, wie der Anhang und ein Abbildungs- und Quellenverzeichnis.
Differenzierter wird die Beurteilung nimmt man Feldzugang, Sampling und methodische Vorgangsweise unter die Lupe. Diese erscheinen nur auf den ersten Blick positiv. Auch wenn die Grounded Theory als Rahmenmethodologie aus dem Bericht geflogen ist – der Begriff kommt darin nicht mehr vor – bleibt die methodische Vorgangsweise inkonsistent und nicht greifbar. Gesprochen wird von einer qualitativ-empirischen Arbeit, was damit genau gemeint ist und wie methodisch gearbeitet wurde, ist aber nicht nachvollziehbar. Beispielsweise wird die Erstellung eines Kategorienschemas angeführt, das aber nicht im Abschlussbericht enthalten ist. Welchem Auswertungsverfahren die Vorgangsweise folgt, ist nicht ersichtlich. All diese Schritte sind notwendig, um sozialwissenschaftliche Standards zu garantieren, sie sind Teil unseres Werkzeugkastens und deshalb unabdingbar. Angeführt werden drei Methodenbücher, zwei davon allerdings Überblicksliteratur, eines ein Buch aus dem Bereich der Grounded Theory. Die Ergebnisse sind, wie in der Erstversion der Vorstudie auch, weit entfernt von einer datenbegründeten Theorie.
Spannend ist die Struktur des Abschlussberichts: 40 Seiten davon werden als Dokumentenanalyse qualifiziert. Anders als theoretische Texte bzw. formale Inhalte, die in Forschungsberichten Begrifflichkeiten und Grundlagen der Forschung ausführen, wird dieser Abschnitt des Berichts aber als elementarer Bestandteil und Basis der empirischen Analysen eingesetzt. Als Grund dafür wird angeführt: „Für die Bereiche Kindergarten und Kindergruppen reichten die Ergebnisse der hier kurz skizzierten Forschungen allerdings nicht aus, weil kaum ein Verband oder Verein unter dem Namen der jeweiligen Dachorganisation einen Kindergarten oder eine Kindergruppe betreibt. […] Aus dieser Tatsache heraus war es notwendig, neben der Verbands- und Vereinsanalyse auch Daten zu den einzelnen Vereinen (Bereich Kindergarten/Kindergruppen) zu erheben.“ (S. 7, Abschlussbericht) Um also die empirische Lücke nicht ausreichend vorhandener Daten zu stopfen, wurden – nicht fundierte – 40 Seiten zu theologischen und politischen Orientierungen in islamischen Kindergärten und –gruppen verfasst. Nicht fundiert ist dies aus mehreren Gründen: In dem Textabschnitt werden Verbände, Vereine und Organisationen behandelt, nicht aber die untersuchten Kinderbetreuungseinrichtungen selbst. Die Ergebnisse werden später an mehreren Stellen des Abschlussberichtes auf die Kinderbetreuungseinrichtungen übertragen. (Vgl. u.a. S. 104, Abschlussbericht) Die in den 40 Seiten erstellten „Tendenzen“ werden den empirischen Analysen zugrunde gelegt und die Trägervereine damit ohne empirischen Beweis mit den Kindergärten gleichgesetzt. (S. 73, Abschlussbericht) Um derartige Aussagen treffen zu können wäre aber z.B. ein Vergleich der Trägervereine mit den pädagogischen Konzepten und dem gelebten Alltag der Kinderbetreuungseinrichtungen notwendig.
Wie dieser Textteil zustande kam, die Quellen ausgesucht und analysiert wurden, bleibt komplett im Dunkeln. Statt in den Fußnoten den Bezug zu einzelnen Quellen transparent zu machen, wird teils „weiterführende Literatur“ angegeben. (S. 22-24, Abschlussbericht) Auch für Dokumentenanalysen gilt das Gleiche, wie für alle anderen wissenschaftlichen Analysen: Sie müssen nachvollziehbar, dokumentiert, transparent und überprüfbar sein. Die 40 Seiten sind demzufolge ausgeführte Meinung, nicht aber empirische oder transparente, theoretische Analyse.
Die eigentlichen Auswertungen des erhobenen Materials der Leitfadeninterviews bergen wenig Überraschungen oder Neues. Die skandalisierenden, medial veröffentlichten Schlüsse stammen bei Durchsicht des Abschlussberichts nicht aus den empirischen Daten. Die Auswertung zeigt bekannte Themen auf zu denen durchaus Handlungsbedarf besteht, wie zum Beispiel die Sprachförderung der Kinder. Bedrohliche oder extremistische religiöse Tendenzen sind im Auswertungsteil, der auf Interviewdaten basiert, nicht vorhanden.
Die methodische Qualität der Auswertung ist hinreichend: Mehr deskriptiv als analytisch bleiben die Erkenntnisse auf der Ebene einer Zusammenfassung. Eine Vielzahl an Zitaten aus den Interviews ist in großem Umfang vorhanden, wird aber an den meisten Stellen kaum kommentiert – ein Umgang mit Zitaten, der so nicht stattfinden sollte. Verwendete Zitate sollen zur Untermauerung von Erkenntnissen angeführt werden und Ergebnisse für LeserInnen greifbar machen, nicht aber für sich stehen und als Seitenfüller verwendet werden – ‚less is more‘ ist hier ein gutes Prinzip. Die Ergebnisse aus den Interviews sind, trotz des formulierten Anspruches diesbezüglich, nicht in einem Kategorienschema greifbar und dieses auch nicht im Abschlussbericht enthalten.
Die Vorgangsweise der Evaluationsstudie lässt sich anhand dieses Beispiels illustrieren: Die Leitungen der Kindergärten, wird ausgeführt, legen Wert auf islamische Prinzipien – eine Aussage, die nicht weiter verwundert. Dies wird mit Bezug auf die tatsächlich erhobenen Daten auf S. 104 angeführt. Alles Weitere bleibt Spekulation, wie selbst formuliert wird: „Es ist aufgrund des bisherigen Standes der Analyse davon auszugehen, dass salafistische bzw. islamistische Organisationen in der Kinderbetreuung nicht so einfach auf ihre politischen Ziele verzichten können. Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.“ (S. 104, Abschlussbericht) Übersetzen könnte man dies mit: Aus den erhobenen Daten lässt sich dies zwar nicht herleiten, aber trotzdem wird es so sein.
Fazit: Auch wenn die Form des Abschlussberichtes den Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten entspricht, die methodische Umsetzung der „Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien“ tut dies nicht. Auf den ersten Blick sind die einzelnen Schritte besser maskiert, halten aber einer Überprüfung nicht stand. Methodisch wurde unsauber gearbeitet, die Arbeit ist intransparent und nicht nachvollziehbar. Auch die Endversion bleibt so im Fahrwasser ihrer Erstfassung und ist immer noch ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel. Wenn auch etwas weniger offensichtlich.
Der Abschlussbericht ist zugänglich unter:
Adnan, Eslan: „Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien. Tendenzen und Empfehlungen.“, Online veröffentlicht unter: https://typo3.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_iis/Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_Wien_final.pdf
[Zuletzt abgerufen: 23.3.2016]
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