Naheliegender Schluss: Dies war eine Auftragsstudie, die für politische Argumentation und Öffentlichkeit genutzt werden sollte. Anders lässt sich das Agieren an den zuständigen Behörden vorbei kaum nachvollziehbar erklären.
Im Anschluss an die (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Feldzugang folgt eine Aufzählung anderer Studien und Ausführungen über die Notwendigkeit von Forschungsmaßnahmen im untersuchten Feld.
S. 13, 4. Methode: qualitativ-empirische Analyse
Nun die für mich spannendste Frage: Wurde am Projekt seit der Erstfassung methodisch etwas verbessert? Auffällig ist, dass die Grounded Theory als gewählter Zugang rausgeflogen ist. In der Erstfassung der Vorstudie wurde ein an die Grounded Theory angelehnter Ansatz angegeben – und zur Erinnerung: Etwas derartiges, nämlich einen angelehnten Ansatz, gibt es nicht. Das wäre so als würde man sagen, man hat sich an die Grundrechnungsarten angelehnt, aber so ganz richtig gerechnet hat man dann nicht.
Einer meiner Hauptkritikpunkte war, dass die vorliegenden Ergebnisse den Ansprüchen einer Grounded Theory in keiner Weise entsprochen haben. Aus methodischer und methodologischer Perspektive ist das Weglassen der Rahmenmethodologie schräg. Qualitative empirische Projekte werden zu Beginn eines Projektes klar in einem methodologischen Rahmen verortet, dieser Zugang ist in der Folge forschungsleitend in Bezug auf die Herangehensweise, die Arbeit im Feld, Samplingprozesse und vor allem die Auswertung. Am Ende eines Projektes die Arbeitsweise, Projektstruktur etc. einfach wegzulassen bzw. weglassen zu können, stützt meine in der Erstkritik formulierte Vermutung. In der Evaluierung islamischer Kindergärten wurde nie nach der Grounded Theory gearbeitet, diese wurde rein als Label oder Qualitätsbezeichnung genutzt ohne jemals umgesetzt worden zu sein.
In der Kapitelüberschrift wird von einer „qualitativ-empirischen Analyse“ gesprochen. Was das genau sein soll, bleibt unklar. Ein Verfahren mit dieser Bezeichnung gibt es nicht. Qualitativ und empirisch ist ein Überbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren im Rahmen der Sozialwissenschaften. Im Bericht werden drei Bücher als methodische und methodologische Quellen angeführt: Ein Überblickswerk von Burkard Porzelt zur empirischen Religionspädagogik. In diesem auf Google Books zugänglichen Buch gibt es ein Kapitel zu qualitativen Ansätzen, das einen kurzen Überblick über eine Vielzahl an Ansätzen gibt, aber aufgrund der Kürze keinen Einblick in methodische Verfahren geben kann. Als zweites Buch wird von Anselm Strauss „Grundlagen qualitativer Sozialforschung.“ angegeben. Dieses Buch kenne ich gut, es steht bei mir im Regal. Es ist, trotz seines allgemeinen Titels, eines der Einführungsbücher in die Grounded Theory. Der recht allgemeine Titel des Buches, der von manchen auch als irreführend bezeichnet wird oder werden kann, erklärt sich mit verkaufstechnischen Argumenten. Als drittes Werk wird Uwe Flicks Kompendium zu den qualitativen Methoden angegeben. Dies ist ein Einführungsbuch mit Überblickswissen, aber für methodische Analysen aufgrund des Überblickscharakters nur bedingt brauchbar. Weiterführende Literatur findet sich nicht in den Angaben. Alle drei Bücher finden sich erst in der Literaturliste wieder und werden nicht genutzt um die methodische Vorgangsweise zu fundieren. Etwas das ich meinen Studierenden in einem Bakkalaureatsseminar als Minuspunkt anrechnen würde, da dies kein methodisch exaktes Arbeiten ist.
Mein Schluss aus diesem Abschnitt des Abschlussberichtes ist, dass hier wenig methodisches Wissen am Werk war. Auch die auf S. 14 angefertigte Abfolge an Begrifflichkeiten stützt diese These. Die Begriffe und Vorgangsweise sind ungewöhnlich. Nicht Fälle werden offen und selektiv kodiert, sondern Materialien (Texte oder Transkripte, Bilder, usw.). Auch wird bei qualitativen Verfahren kein Kategorienschema pro Fall entwickelt, sondern (meist) ein gesamtes oder gar keines – wobei in dem Abschlussbericht nicht klargelegt wurde nach welchem Verfahren gearbeitet wurde, insofern bleibt die Beurteilung hier offen. Definitiv aber, wenn ein Kategorienschema entwickelt wurde, müsste dieses in der Arbeit enthalten sein. Warum sollte man sich die Arbeit machen, wenn dieses dann nicht verwendet wird? Kategorienschemas sind bei inhaltsanalytischen bzw. qualitativen Arbeiten eines der wenigen Dinge, die sich grafisch umsetzen lassen und damit die Arbeit greifbar machen. Die qualitativen Verfahren unterliegen ja einer Konkurrenz zu den quantitativen und können mit hübschen Tortendiagrammen oder Balkengrafiken nicht mithalten. Das Kategorienschema nicht zu verwenden, so man eines entwickelt hat, wäre insofern kontraproduktiv für die eigene Arbeit.
S. 15, 4.3. Sampling
Dies war ein weiterer Kritikpunkt meiner ersten Analyse. In der Erstfassung der Vorstudie war kein Sampling enthalten. Diesmal existiert die Überschrift und einige, wenige Zeilen, aber nicht mehr. Was ein Samplingprozess leisten soll und warum theoretical sampling bei explorativen Verfahren grundlegend notwendig sind, habe ich in der ersten Kritik ausführlich erläutert. Etwas Dementsprechendes findet sich auch im Abschlussbericht nicht. Aus den formulierten Zeilen lässt sich nichts Relevantes extrahieren, das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen erschließt sich dadurch nicht und die Auswahl der Fälle bleibt im Dunklen. Eine Darstellung des Samplingprozesses und die Argumentation der Fallauswahl ist ein Kernelement bzgl. der Wissenschaftlichkeit qualitativer Arbeiten und muss demnach in jedem derartigen Paper enthalten sein.
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