Dahinter steht die Frage, ob die Vorannahme des Einflusses der hinter den Kinderbetreuungseinrichtungen stehenden Organisationen hält oder nicht. Den Angaben im Abschlussbericht folgend können darüber keine Aussagen getroffen werden. Die erhobenen Daten geben darüber nur unzureichend Auskunft. (Anm.: Durch die Wahl anderer Instrumente als Leitfadeninterviews wäre dies methodisch durchaus möglich.) Angegeben wird, dass dies aufgrund des zeitlichen Rahmens nicht möglich war und dann der Schluss gezogen, dass aber „Nichtsdestotrotz ist jedoch davon auszugehen, dass sich die theologische Ausrichtung und das religiöse Profil der Vereine darin niederschlagen und markant darauf Einfluss nehmen […]“.
Dies ist eine hübsche Argumentationskette, die sich wie folgt übersetzen lässt: Wir haben Annahmen, die stellen wir in einem argumentativen Text (S. 21-61) ausführlich dar. Daraus ziehen wir unserer Schlüsse. Wir können aufgrund des gewählten empirischen Weges aber nicht sagen, ob Zusammenhänge oder Einflüsse bestehen bzw. wie diese aussehen. Dafür hatten wir nicht genügend Zeit. (Anm.: Und nicht das passende methodische Werkzeug.) Aber nichtsdestotrotz wird es schon Zusammenhänge und Einflüsse geben. Böse ließe sich hier noch der Zirkel schließen und ein ‚weil wir es so sagen‘ ergänzen. Letzteres wäre aber natürlich eine polemische Anmerkung.
Sozialwissenschaftlich korrekte Forschung ist dies nicht. Wenn auch besser argumentiert, bleibt auch der Abschlussbericht hier im Fahrwasser der Erstversion.
S. 74, AUSWERTUNG, 10. Tendenzen in den Kindergärten
Nach 74 Seiten folgt nun – endlich 😉 – der Berichtsteil mit den durchgeführten Auswertungen. Hier findet sich auch Grounded Theory Vokabular wieder, da von einer Sättigung gesprochen wird, die im Rahmen der Vorstudie nicht erreicht werden konnte. Sättigung meint ein erschöpfendes Beschreiben, Erfassen und Theoretisieren der im Feld gefundenen Konzepte und Ansätze. Dies wäre, wenn der Methodologie folgend argumentiert, auch mit wenig Material möglich. Wenn, und dies ist der Punkt an dieser Stelle, methodisch korrekt gearbeitet wurde. Die auf den Seiten 74 bis 103 werden Ergebnisse beschrieben und dargestellt. Positiv zu bemerken ist, dass die Darstellung an den Texten bleibt und Zitate einbezieht. Der Einsatz der Zitate ist aber, wie schon in den dem 40-seitigen Abschnitt zuvor zu umfangreich. Viele Seiten beinhalten mehr Zitattexte als verfasste Textpassagen. Dies ist, wie schon ausgeführt, keine gute wissenschaftliche Praxis. Die Forschenden sollen Analysen anstellen, nicht Material für sich sprechen lassen. Nicht die Länge eines Textes kennzeichnet die Güte einer Arbeit, sondern die Fähigkeit die Ergebnisse in Konzeptionen, Modelle und Konzepte zusammenzufassen. Zitate sollen dabei, die Schlüsse aus dem Material fundieren und transparent machen, d.h. für die Lesenden zugänglich machen. Die dargestellten Ergebnisse klingen beim Durchlesen plausibel, auch weil sie deskriptiv an den Zitatstellen bleiben. Die Aussagen aus den Transkriptstellen werden in den Berichtstexten paraphrasiert.
Dem zu Beginn des Abschlussberichts auf S. 14 geäußerten Anspruch ein Kategorienschema zu entwickeln, wird die vorliegende Arbeit nicht gerecht: Ein Kategorienschema strukturiert Material und erklärt darin enthaltene Phänomene. Dies macht soziale Konstruktionen zugänglich, erklärt und macht diese verständlich. Entwickelte Kategorien sind deshalb, wenn richtig gemacht, keine wortwörtlichen Übernahmen von Begrifflichkeiten aus dem Text, sondern eine Form der Metaanalyse. Die Kategorien einer Studie, die ich in meiner Vorlesung zu qualitativen Methoden im Herbst genutzt haben, lauten zum Beispiel wie folgt: „Subjektives Vaterschaftskonzept“ oder „Praxis der Vaterschaft“. (Beispiel entnommen aus Birgit Behrisch: “Die Leute haben sich sicherlich überhaupt nicht vorstellen können, dass ich der Vater bin” – Vaterschaft, Erziehung und Alltagserleben von Vätern mit Behinderung.)
Die Kategorien im Abschlussbericht haben demgegenüber keinen konzeptiven, sondern deskriptiven Charakter und beschreiben den Inhalt der zugeordneten Transkriptstellen. Die Vermutung aus meiner Erstkritik war, dass eine rein deskriptive Analyse in Form einer Zusammenfassung durchgeführt wurde. Dies bleibt auch für den Abschlussbericht aufrecht. Die Ergebnisse beschreiben die Inhalte der Interviews, analysieren diese aber nicht.
Die dargestellten Inhalte überraschen nicht weiter: Transferiert auf katholische Kindergärten wären Aussagen, wie z.B. „Dabei wird den Kindern das Denken und Hinterfragen z.B. bezüglich Gott verboten.“ (S. 87) in sehr ähnlicher Form möglich. Dass Kinderbetreuungseinrichtung mit religiösem Hintergrund diesen auch leben, verwundert nicht weiter. Die im Abschlussbericht dargestellten Ergebnisse aus den Interviews klingen nicht dramatisch oder überraschend. (Anm.: Die in der Öffentlichkeit transportierten skandalisierenden Elemente stammen nicht aus dem tatsächlichen, empirischen Teil.) Dieser zeigt Schwierigkeiten wie z.B. Sprachproblematiken auf, die bekannt sind. Salafistische Tendenzen werden anhand des erhobenen Materials nicht dargestellt – das Wort kommt nur ein einziges Mal in der Auswertung vor, auf S. 87 wird diesbezüglich eine Vermutung angestellt, die durch ein ‚vielleicht‘ relativiert wird: „Um die göttliche Prüfung bestehen zu können, bräuchte es nur der „richtigen“ Vorbilder, vor allem der „richtigen“ Bildung, die Kinder zu einer sehr konservativen, vielleicht sogar zu einer salafistischen Theologie hintreibt.“ (S. 87, Abschlussbericht)
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