Eigentlich hatte ich nicht vor mich noch einmal mit einer Arbeit von Ednan Aslan auseinander zu setzen, aus methodischer Sicht war schon genügend davon beleuchtet. Heute aber wurde mir jener Teil des aktuellen Forschungsprojektes zugespielt, der von Aslan erstellt wurde. Eigentlich geplant war ja, dass dieser als Teil eines Forschungsteams im Auftrag der Stadt Wien die islamischen Kindergärten und –gruppen in Wien untersuchen sollte. Von Teamarbeit konnte nur keine Rede sein, da es Aslan vorzog im Alleingang zu veröffentlichen. Diesen Bericht ließ mir heute jemand zukommen und kurz gesagt: Im Vergleich zur „Pilotstudie“ hat diese „Studie“ nicht sehr viel zugelegt bzgl. der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit.
Morgen, am 21.12.2017, werden die Endergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Mir wurde die Studie schon heute zugespielt, ich kam nicht umher sie mir genauer anzusehen und hier wiederum eine methodische Analyse zu veröffentlichen.
Entstehung der Studie – nicht als Teil des Forschungsteams
Beauftragt wurde ein interdisziplinäres Forschungsteam zusammengesetzt aus zwei Institutionen. Grundsätzlich eine zielführende Strategie, um zu ausgewogenen und umfassenden Erkenntnissen zu gelangen. Insbesondere bei einem so öffentlichen und umstrittenen Thema war diese Vorgangsweise eine umsichtige. Die Entscheidung nicht einen Bericht, und damit gemeinsam akkordierte Aussagen in die Öffentlichkeit zu tragen, lag offensichtlich bei Aslan. Dieser zog es vor seinen Teil im Alleingang zu veröffentlichen. Meinen Informationen nach wird auch die morgige Präsentation aus aneinandergereihten Statements bestehen und nicht, wie eigentlich üblich und sinnvoll, eine gemeinsame Vorstellung der Ergebnisse. Ob dies eine bewusste Strategie ist, um die Gültigkeit und öffentliche Wirkung der Ergebnisse zu unterlaufen, lässt sich nur spekulieren, liegt aber nahe.
Edit – siehe Info von Heiko Heinisch in den Kommentaren: “Die getrennte Durchführung und auch Abgabe wurde sehr früh im Team beschlossen. Das finden Sie auf S. 3 des anderen Studienteils. Aslan hat schlicht und einfach den Abgabetermin – der von der anderen Gruppe einmal verschoben wurde (was Sie auch im anderen Teil der Studie finden werden) – eingehalten.”
Unverhältnismäßig hoher Anteil an Zitaten
Der Text besteht in weiten Passagen aus einer Aneinanderreihung von Zitaten, die aus den Interviews, den Handakten oder Websites entnommen wurden. In studentischen Arbeiten ist dies üblicher Weise eine beliebte Strategie, um sich der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit zu entziehen und Platz zu füllen. Zulässig ist dies nicht. Nicht die Ergebnisse sollen für sich stehen und die LeserInnen sich einen Reim darauf machen, sondern die Quellen Gegenstand und Ausgansgpunkt für Analysen sein. Die in wissenschaftlichen Texten enthaltenen Zitate sollen die Ergebnisse transportieren und greifbar machen. Betrachtet man z.B. die Seite 21 des Berichts mit den Ausführungen zum Thema „Religiöse Erziehung und Koran in den Konzeptionen der Betreibervereine“ ist sichtbar, wie hier – nicht wissenschaftlich korrekt – vorgegangen wurde. Auf deskriptiver Ebene wird eine Litanei an Zitaten aus den Handakten angeführt. Würde die Studie dies tun, was sie mit dem Verweis auf Strauss und der Erwähnung von Memos, behauptet – nämlich der Grounded Theory zu folgen – würden sich an dieser Stelle gänzlich Anderes finden. Eine Typologie unterschiedlicher Zugänge zu religiöser Erziehung und der Konzeptionen im Rahmen der Trägervereine wäre hier zum Beispiel eine naheliegende und auch zielführende Möglichkeit. Damit ließe sich das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen bzgl. der Perspektiven in der Praxis fassen, etwas das die InspektorInnen der MA 10 und 11 bei ihrer Arbeit unterstützen könnte. So aber bleibt es bei einer rein beschreibenden Aufzählung ohne wissenschaftlichem Wert.
Sampling und Fallauswahl
Auch wenn das Sampling auf S. 10 des Berichts erwähnt wird, greifbar ist nicht welche Auswahl getroffen wurde und welche Fälle warum und wie in die Daten eingingen. Das Ziel eines Samplingprozesses ist es alle Perspektiven in einem untersuchten Feld zu erfassen, um damit umfassende Aussagen treffen zu können. Willkürlich bzw. in der Studie intransparent „77 islamische Einrichtungen schriftlich bzw. telefonisch“ (S. 10) zu kontaktieren und dann mit jenen zu reden, die einem Interview zustimmen, gehört nicht dazu.
Definition zu islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen
Positiv fällt auf – und so sollte dies auch in Bezug auf das Sampling gemacht werden – dass die Kriterien für die Definition ausführlich transparent gemacht werden. (S. 11 ff) In einem so unklaren Feld, wie den schnell gewachsenen Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien, sind Kriterien oftmals nicht eindeutig. Hier anzusetzen und klar zu transportieren wie es zur Auswahl der Grundgesamtheit an islamischen Kigas und Kigrus kam, entspricht einem korrekten wissenschaftlichen Vorgehen. Ähnliches sollte dann auch in Folge bei der Fallauswahl (eigentlich) geschehen.
Transparenz der Quellen und Anhang
Im Text wird auf Interviews verwiesen, die aber im Anhang nicht angeführt werden. Auch wenn es nicht notwendig ist gesamte Transkripte in den Anhang zu inkludieren, so ist es zielführend eine Übersicht der geführten Interviews mit Datum, der maskierten Bezeichnung und weiteren, relevanten Informationen in einer Liste im Anhang anzuführen. Damit ist gewährleistet, dass interessierte KollegInnen das Datenmaterial nachfragen können bzw. bei etwaigen Zweifeln diese durch das transparent machen der Quellen ausräumen zu können. Wäre ich an Stelle der Auftraggeberin würde ich, so wie dies auch bei universitären Qualifizierungsarbeiten üblich ist, vom Auftragnehmer verlangen die Transkripte zur Verfügung zu stellen – natürlich anonymisiert und so bearbeitet, dass die Identität der Interviewten geschützt ist.
Warum im Anhang Listen mit den Nachnamen von Kindern veröffentlicht werden, nicht aber eine Übersicht über die geführten Interviews inkludiert ist, ist nicht nachvollziehbar und auch nicht zielführend. Auch eine Aufzählung des weiteren Datenmaterials, wie z.B. der Handakten, Websites von BetreiberInnen, usw. wäre sozialwissenschaftlich korrekt.
Im Anhang fehlt der Leitfaden für die durchgeführten Interviews. So bleibt intransparent was genau und wie gefragt wurde und wie dieser gestaltet war. Auf S. 9 der Studie werden lediglich die groben Überschriften der Themenbereiche des Leitfadens angeführt, etwas das als nicht ausreichend qualifiziert werden kann.
Methodische Intransparenz: Auswertungsstrategie unklar
Der einzige Hinweis auf die gewählte Auswertungsstrategie fällt mager aus: „Die Analyse des Datenmaterials orientierte sich grundsätzlich an den Prinzipien der „interpretativen Sozialforschung“ (Rosenthal 2005), gemäß denen Konzepte, Begriffe, Kodierungen und Kategorien auf Grundlage des qualitativen Datenmaterials entwickelt werden (vgl. Kelle und Kluge 2010, 18).“ (S. 10) Unabhängig davon, dass es _die_ interpretative Sozialforschung nicht gibt, weil dies schlicht ein Überbegriff für mehrere Ansätze ist, reicht dies als Erklärung nicht aus. In Forschungsarbeiten werden die gewählten Wege transparent gemacht und die Vorgangsweise dargestellt. Ziel ist dabei natürlich den wissenschaftlichen Gütekriterien Genüge zu tun und für andere Forschende Überprüfbarkeit und Anknüpfungspunkte zu schaffen. Ein reines Anführen von Literatur macht den Forschungszugang nicht zugänglich.
Literaturverzeichnis
Strauss, 1998, wird im Kontext von Memos erwähnt, findet sich aber nicht im Literaturverzeichnis wieder. Meine Vermutung ist, dass dies eines der Überbleibsel der ersten Version ist, die Grounded Theory als Forschungsstrategie flog ja, nach meiner ersten Kritik, aus der Endfassung.
Fehlendes Modell bzw. gegenständliche Theorie
Im Titel der Studie ist von Motiven und Strategien die Rede, eine Konzeptualisierung dieser Ankündigungen fehlt im Text. Die Worte Typologie oder Typik finden sich im gesamten Text nicht, dies wären aber eigentlich aufgrund der Ausrichtung der Studie und Ankündigung erwartbare Ergebnisse.
Inhaltliche Anmerkungen
Abseits der methodischen Analyse sticht die Argumentation in der Studie ab S. 16 ins Auge. Die von Aslans Arbeit verursachten öffentlichen Diskurse werden als Ausgangspunkt der Untersuchung bzgl. der Reaktionen der MA 11 gewählt und argumentiert. Auf S. 25 wird angeführt die Reaktionen fielen „einigermaßen hektisch“ aus und die Ergebnisse wären „mit großer Aufregung zur Kenntnis genommen“ worden. Die MA 11 wäre dem Thema mit „Ratlosigkeit“ begegnet, wird auf S. 26 weiter ausgeführt. Wenn schon derartige Wertungen in einen wissenschaftlichen Text aufgenommen werden, dann sollten diese zumindest profund untermauert und analysiert werden. Nur die Wertung zu postulieren ohne Begründungen anzuführen, entspricht keiner guten wissenschaftlichen Praxis.
Die MA 11 ist sicherlich nicht völlig frei von den oben erwähnten Thematiken und Baustellen gibt es im Kinderbetreuungsbereich ohne Frage unzählige. Auch Kritikpunkte würden mir aus meiner Praxis im Bereich der Kindergruppen so einige einfallen, auch das Wort Ratlosigkeit bzgl. der Bewertungen von pädagogischer Qualität und der Rückzug auf feuer- oder baupolizeiliche Gutachten werden in dem Kontext häufig diskutiert. Wichtig wäre – aus sozialwissenschaftlicher Sicht – diese Argumente auf die Basis von Fakten und Beweisen zu stellen und nicht mit Postulaten und Anschuldigungen zu agieren, denen keine Begründungen folgen.
Abschließendes Fazit
Faszinierend ist, wie sehr sich all diese Kiga-gate-Texte ähneln. Qualität und Wissenschaftlichkeit scheinen kein Kriterium zu sein, sonst würden sich nicht die immer gleichen Fehler wiederholen. Und wiederum kann auch hier abschließend nur angemerkt werden: Eine positive Bacherlor- oder Masterarbeit wäre das nicht. Dafür fehlen die Quellen, die Transparenz bzgl. des Samplings und der Arbeitsweise und die Wahl bzw. Strategie des Auswertungsverfahrens. Bleibt also wie so oft die abschließende Frage: Cui bono? Wem nutzt dies alles?
Quellen: Beide Studienteile sind über das Medienportal der Universität Wien zugänglich.
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