Gestern wurden, wie berichtet, beide Teile der von der Stadt Wien beauftragten Studie vorgestellt: Die im Team von Universität Wien und FH Campus Wien durchgeführte Untersuchung zum Thema “Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung sogenannter „islamischer“ Einrichtungen”” wurde, ebenso wie der von mir schon rezensierte Teil von Ednan Aslan, der Öffentlichkeit vorgestellt. Am Medienportal der Universität Wien sind beide Projektberichte zugänglich.

Den Text zur Pluralität in Wiener Kinderbetreuungseinrichtungen zu lesen, macht Freude. Vorgelegt wurde eine differenzierte und ausgewogene Studie. Das Studiendesign umfasst mehrere methodische Zugänge und macht so eine multidimensionale Analyse möglich. Alle Teilbereiche wurden zusammengetragen und führten zu einer gemeinsamen Konklusio inklusive weiterführender Empfehlungen. Ums umgangssprachlich zu sagen: So muss sozialwissenschaftliche Forschung. Aus methodischer Sicht – und das ist es was ich im Rahmen von #kigagate analysiert habe – ist dies eine gut dokumentierte, transparente und methodologisch fundiert verankerte Forschungsarbeit.

Alle Kritierien auf die bei der Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten geschaut wird, wurden eingehalten:

  • Erkenntnisinteresse und forschungsleitende Fragen: Wurden ausführlich im Teil I, Ausgangslage und Problemhintergrund, dargestellt. Eine Kurzfassung dazu gibt es zusätzlich in der Kurzzusammenfassung des Teilprojektes.
  • Die Wahl der Forschungsperpektiven: Im Gegensatz zum den bisherigen Arbeiten, bei denen es nur um islamische Kinderbetreuungseinrichtungen ging, wurde hier ein breiterer Ansatz gewählt. Aslans Arbeiten postulierten Zusammenhänge und Begründungen im Kontext rein der islamischen Einrichtungen, konnten aber aufgrund des eingeschränkten Designs keine Aussagen über Phänomene treffen, die eventuell mit größeren Zusammenhängen zu tun haben. Etwas das ich an anderer Stelle problematisiert habe. Pluki geht hier einen breiteren Weg des übergreifenden Vergleichs, etwas das sozialwissenschaftlich gesehen mehr und wertvollere Hinweise über Zusammenhänge im Feld liefern kann und auch der Gefahr einer Vorab-Stigmatisierung entgegen wirkt.
  • Studiendesign, methodischer Zugang und Auswertungsverfahren: Dem Forschungsdesign wird ein eigener Abschnitt gewidmet, der zur besseren Verständlichkeit mit einer Grafik illustriert wird. Ausgewählt wurde eine Kombination unterschiedlicher Ansätze und eine Verschränkung quantitativer und qualitativer Zugänge – Triangulation genannt. Dieses Vorgehen gewährleistet den Untersuchungsgegenstand aus vielen Perspektiven zu beleuchten und schafft es so ein multidimensionales Bild des untersuchten Feldes zu liefern.

Studiendesign_Pluki_2017

Quelle der Grafik: S. 36 der Studie, Pluki, Titel: Abbildung 7.1.: Gesamtanlage der Studie

  • Methodische Transparenz: Ab S. 41 werden die einzelnen methodischen Teile jeweils mit dem jeweiligen Zugang und Auswertungsschritten fundiert dargestellt.
  • Sampling: Für die durchgeführten Gruppendiskussionen wurden die quantitativen Daten als Grundlage herangezogen. Alle diesbezüglichen Überlegungen wurden transparent gemacht. Das Ziel eines solchen Vorgehens ist es, zu den Fragebogendaten vertiefende Ergebnisse zu erhalten und damit zusätzlich die Dateninterpretation validieren zu können. Auch für die Beobachtung und die Analyse der Handakten wurde transparent und nachvollziehbar vorgegangen.
  • Verschränkung der Ergebnisse: Alle empirischen Teile wurden ab S. 145 zusammengeführt und analysiert. Aus den Ergebnissen ist klar ersichtlich, dass hier übergreifend an Begrifflichkeiten und Konzeptionen gearbeitet wurde. Als Vergleichsebene wird dabei in den gefundenen Themenbereichen das tertium comparationis sichtbar. Die vorgenommene Analyse ist keine deskriptive Wiedergabe von Elementen des Datenmaterials, sondern erzeugt neue Erkenntnisse und Strukturen aus diesem. Die Ergebnisse sind aufschlussreich und liefern so neues Wissen über ein stark debattiertes Feld, sind aber in den Daten verankert.
  • Abgeleitete Empfehlungen: Aufbauend auf den Ergebnissen werden hier Empfehlungen an die handelnden AkteurInnen ausgesprochen. Die Auftraggeberin kann so konstruktiv notwendige Veränderungen angehen und diese auf eine datenbasierte Grundlage stellen.
  • Anhang und Quellen: Literatur-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis (diese beiden befinden sich nach dem Inhaltsverzeichnis) sind wie sie es sein sollen. Angehängt wurden auch die Anmerkungen der drei bestellten und begleitenden GutachterInnen im Beirat. Der einzige kritische Punkt, der mir auffällt: Es fehlt eine Übersicht über das erhobene bzw. verwendete Datenmaterial. Etwas das auch von einer Gutachterin (Quelle auf S. 181) in Bezug auf die Gruppendiskussionen angemerkt wurde – in den Fussnoten von S. 65 findet sich eine Auflistung zu den Maskierungen der Gruppendiskussionen. Hier wäre gute wissenschaftliche Praxis zumindest zu argumentieren warum eine Auflistung der verwendeten Daten nicht in den Anhang aufgenommen wurde. Ob oder wie die Auftraggeberin diese einsehen konnte, ist nicht nachlesbar.

Bis auf diesen einen Punkt bzgl. einer Auflistung der verwendeten Quellen ist dies eine umfangreiche, gut gemachte und reflexive Arbeit. Auch die Medienberichterstattung reflektiert dies. Die Ergebnisse aus diesem Teil der Studie können und konnten nicht skandalisiert werden, sie sind fundiert und gut aufbereitet. So blieb u.a. der Kronenzeitung gestern nur auf den Teil von Ednan Aslan zurückzugreifen und hier einen Einzelfall zu einem Skandal aufzubauschen. Die Berichterstattung in z.B. Standard oder Kurier näherten sich dem Thema auf ganz andere Weise.

Bleibt also die, zugegeben rhetorische, Frage: Cui bono?

Die Wissenschaften, und dabei insbesondere die Sozialwissenschaften, haben nicht der Politik oder dem Boulevard zu dienen, sondern müssen der gesamten Gesellschaft ihre Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Der Studie zur “Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung sogenannter „islamischer“ Einrichtungen” ist dies methodisch einwandfrei gelungen.

Quellen: Beide Studienteile sind über das Medienportal der Universität Wien zugänglich.