Eine sehr humorvolle Anwendung von Nanotechnologie ist mir in Hamburg begegnet. Als Mann tendiert man ja gerne dazu im Vollsuff seine Blase an der nächsten Hauswand zu entleeren. Da die Bewohner von St. Pauli aber unverständlicherweise genervt davon waren, dass ihr schöner Stadtteil einen Eigengeruch entwickelte, griffen sie zu dem Allheilmittel: Nanotechnologie! Die Hauswände in den betroffenen Stadtteilen wurden mit einem bestimmten Lack bestrichen. Dieser Lack ist so hydrophob (also wasserabweisend), dass Urin einfach abprallt. Das Prinzip ist ganz simpel. Es gibt Materialien auf denen Wasser einen Tropfen bildet. Die Moleküle in diesem Material ziehen die Wassermoleküle nicht stark an und die Moleküle bleiben lieber in dem Tropfen. Und es gibt Materialien die ziehen die Wassermoleküle stark an, das Wasser benetzt die Oberfläche und der Tropfen geht kaputt. Genau aus diesem Grund werden Autos gewachst, denn Wachsmoleküle ziehen Wassermoleküle nicht sehr stark an und Wasser perlt gut ab.

Gestank_im_Vergn_gungsviertel_St_Pauli_pinkelt_jetzt_zur_ckhydrophil hydrophob

 

 

 

 

 

 

 

 

Um Oberflächen hydrophob, und damit Wasser oder Urin abweisend, zu machen wirbt der Hersteller UltraTech International:

“Wir setzen hier auf Nanotechnologie, um jegliche Gegenstände wasserabweisend oder schmutzabweisend zu machen und dabei ist es egal, ob bei einer Tischplatte, einem Ziegelstein oder Textilien wie einem Arbeitshandschuh”

Die Frage ist jetzt aber, benutzen die wirklich (!) Nanotechnologie und wenn ja wie?, oder wollen sie einfach ein bisschen auf die Kacke hauen? Da Firmen ja sehr gern NANO auf alles drauf schreiben was ihnen unter die Finger kommt, aber ungern sagen, was sie wirklich machen, ist das gar nicht so leicht das nachzuprüfen. Und natürlich habe ich auf der Firmenhomepage keine hilfreichen Informationen gefunden. Glücklicherweise, dachte ich jedenfalls, gibt es aber Patente. In Patenten müssen Firmen ihre Prozesse offenlegen um den Patentschutz zu bekommen. Leider sind Patente deswegen sehr unschön zu lesen, da Firmen ja nicht wollen, dass andere leicht herausbekommen, was sie da genau machen. Patentliteratur kann sehr ergiebig sein. Aber leider nicht in diesem Fall. Ich habe zwar ein entsprechendes Patent der Firma gefunden (US2015/0133013A1), aber in diesem Patent schützt sich die Firma nur faserige oder poröse Oberflächen hydrophob zu machen, wie genau beschrieben sie nicht. Es scheint also vielmehr so, dass ULTRA TECH ihr ULTRA EVER DRY gar nicht selbst patentiert hat, sondern die genaue Zusammensetzung geheim halten möchte. Das ist eine beliebte Firmenstrategie und z.B. Coca Cola macht das auch so. Da Patentschutz nach höchstens 20 Jahren abläuft, hätte danach jeder die Erlaubnis das Rezept herzustellen.

Aber wie funktioniert dieser urinabweissende Lack jetzt genau? Gleich am Anfang des Patent findet sich folgender Satz:

“A method of manufacturing waterproof apertured materials or surfaces using nanoparticle hydrophobic compositions and treatments, and preferably superhydrophobic compositions and treatments,…”

Hier wird angegeben, dass Nanoteilchen tatsächlich benutzt werden. Im weiteren Text wird aber nicht näher darauf eingegangen. Es werden nur andere Patente zitiert und als Beispiel angegeben. Aber Firmen müssen bestimmte Informationen, wie z.B. welche Materialien in dem Produkt enthalten sind, in sog. Safety Data Sheets angeben. Nachdem ich mich durch eine Reihe von Patenten  und den Safety Data Sheets gegraben hatte, ergab sich schließlich folgendes Bild.

Der Lack besteht zu größten Teilen aus Aceton (einem Lösungsmittel), aber in dem Lack sind auch kleine Nanoteilchen aus Silica (2-4%) enthalten. Die Oberfläche dieser Nanoteilchen wurden mit bestimmten Materialien behandelt, so dass sie hydrophob sind (wie wenn man Autowachs benutzt), wenn das Aceton verdampft, bleiben die Silica-Nanoteilchen auf der bestrichenen Oberfläche zurück und formen eine neue Oberfläche, die unter dem Mikroskop wie ein riesiges Gebirge ausieht. Was ich leider nicht herausbekommen habe, ist wie groß die Nanoteilchen genau sind und ob sie eine Kombination aus verschieden großen Teilchen benutzen um eine sehr vorteilhafte Oberflächenrauhigkeit zu bekommen (als z.B. 10 und 500 nm Teilchen oder so). Der Trick mit dem Nanogebirge ist, dass wenn man nur hydrophobes Material benutzt man eine gewisse Limitation hat. Diese kann man durch das Nanogebierge verbessern. Was passiert ist, dass die Strukturen wesentlich kleiner sind, als der Wassertropfen selber. Dadurch verringert man die Kontaktpunkte des Tropfen mit dem Untergrund und macht den Untergrund noch hydrophober:

nanostructure

In diesem Fall handelt es sich also um eine korrekte Anwendung von Nanotechnologie um den gewünschten Effekt zu erhalten. Das Konzept ist so gut, dass weitere Städte, wie z.B. San Francisco, bestimmte Bereiche in der Stadt ebenfalls mit dem Lack bestreichen. Es ist auf jeden Fall eine sehr humorvolle und geistreiche Anwendung von Nanotechnologie in unserem Alltag und da ich experimenteller Wissenschaftler bin, werde ich das nächste Mal in Hamburg mal testen wie gut der Lack wirklich ist…

Kommentare (14)

  1. #1 tomtoo
    7. Mai 2017

    OhOh. Da wär ich vorsichtig. Einfach so zu versuchen was nass zu machen, da sind die Deutschen empfindlich.

    https://m.youtube.com/watch?v=fFUqD61JYMk

    ; )

  2. #2 jester
    7. Mai 2017

    Ist die Animation die Darstellung dessen, wie es wahrscheinlich ablaufen soll ? Abgefahren. Nehmen wir das Video hinzu ist die Frage warum man dann nicht bei solchen Locations Wildpinkeln dürfen sollte.

    • #3 samir
      7. Mai 2017

      Hi, ich denke die stellen sich das so vor. Ob das wirklich genauso funktioniert kann ich erst sagen, wenn ich in Hamburg war, aber laut dem Medienecho sind sie wohl sehr zufrieden mit dem Ergebnis…

  3. #4 schröder
    münster/westf.
    7. Mai 2017

    Glaubt es mir.Dieser was auch immer Lack funktioniert zu 90%.
    Das heisst das 90% des Urins landen da,wo der Urin herkommt.Mir selber ist das nicht passiert.Aber einem sturzbetrunkenen Freund und der war(Entschuldigung)voll angepisst.

  4. #5 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/?s=Weltkulturerbe
    7. Mai 2017

    Haben die keine Bäume in Hamburg? Man pisst doch nicht an Hauswände!

  5. #6 kereng
    Hamburg
    7. Mai 2017

    Ging das nicht vor drei oder vier Jahren durch die Presse?
    Der Urinstrahl wird nicht dahin reflektiert, wo er herkommt, sondern bestenfalls ist Einfallswinkel=Ausfallswinkel. Wenn man schräg zur Seite pinkelt oder die Hauswand nah am Boden trifft, bleibt man trocken.

  6. #7 tomtoo
    7. Mai 2017

    Billiardspieler sind klar im Vorteil. ; )

  7. #8 Sven
    8. Mai 2017

    In der Altstadt in Mainz funktioniert das ganz gut. Die Häuser stinken nicht mehr ganz so schlimm und man sieht immer wieder Leute mit nassen Hosen.

  8. #9 Cutbut
    Bremen
    8. Mai 2017

    Tja, ob das Gros der Besoffskis das mit Einfalls- und Ausfallswinkel und der Suche nach einem adäquaten Baum hinbekommt, wage ich zu beweifeln…

  9. #10 Lemmie
    8. Mai 2017

    “… sondern die genaue Zusammensetzung geheim halten möchte. Das ist eine beliebte Firmenstrategie und z.B. Coca Cola macht das auch so.”

    Ist zwar voll am Thema vorbei, aber ich muss die Gelegenheit nutzen zu der Frage: Ist die Zusammensetzung von Coca Cola wirklich unbekannt? Dieses “Gerücht” hält sich seit meiner Kindheit. Heute kann ich das einfach nicht mehr glauben – nach all den CSI und sonstigen gerichtsmedizinischen Serien, in denen die Helden in ihren Laboren doch wirklich alles rauskriegen und in seine Bestandteile zerlegen können. Sollten die vor einem Reagenzglas voll Coca Cola stehen und nicht sagen können, woraus die besteht?

  10. #11 gedankenknick
    8. Mai 2017

    @tomtoo:
    Dann aber nicht an einer 90°-Innen-Hausecke an die Wand lüllern… 😉

  11. #12 tomtoo
    8. Mai 2017

    @Gedackenknick
    Ich frage mich ja, was der Tierschutzverein dazu sagt. Der Yorkshire Terrier eines bekannten hatte nämlich die Angewohnheit (wohl zwecks vortäuschung nicht vorhandener Körpergröße) im Handstand zu pinkeln. Äusserst ungünstig. ; )

  12. #13 tomtoo
    8. Mai 2017

    Ok Spass beiseite. Es geht ja darum eine hydrophobe Oberfläche herzustellen. Evtl. könnte man die Nanopartikel ja noch mit Silber beschichten um zusätzlich noch eine Antibakteriele Wirkung zu erzeugen? Der Geruch entsteht ja erst durch die Zersetzung des Urins durch Bakterien. Das wäre ja sozusagen der Anschluss an @Samirs letzten Artikel.

  13. […] Samir ist der Fachmann fürs Kleine und deswegen hat er sich auch einmal genauestens die Anti-Urin-Farbe angeschaut, die man an Hauswänden in St. Pauli finden kann. Statt eine Geschmacksprobe zu nehmen hat er aber lieber in den Archiven gewühlt – um nachzuschauen, ob da wirklich Nano drin ist. […]