Heute beginne ich einen kleinen Mehrteiler zum Thema die “Zukunft vorhersagen, das Vergangene lesen”. Ein Thema, welches nicht nur mich persönlich gerade in meinem Lebenslaufwirrwarr besonders beschäftigt, sondern auch eines mit einer gewissen gesellschaftlichen Relevanz.
Vor einiger Zeit schon habe ich einen Artikel von Bruno Latour [1] gelesen. Ein Vortrag, gehalten vor der Jahrestagung der British Sociological Association im April dieses Jahres.
Der fängt damit an James Lovelock und seine “Rache Gaias” zu zitieren und bringt einen interessanten Gedanken: Seit Jahrhunderten verstehen wir (wir als Menschheit) uns im Kampf mit der Natur (dem komplexen System da draussen). Wir verorten uns an einer Front gegen deren Unbill. [2]
Latour bringt dieses Kriegsdenken mit dem War on Terror in Zusammenhang. Beide Kriege sind nicht zu gewinnen, entweder wir “gewinnen” und verschwinden gleichsam mit dem “Sieg” oder wir verlieren und verschwinden ebenfalls. The War on Terror und Gaias Revenge stellen uns vor ein Paradoxon das weh tut weil es uns zeigt, das leider alles so einfach nicht ist. Wenn wir jemals so etwas wie ein Patentrezept hatten, dann war es immer zu spät dafür in dem Moment, wenn wir es entdeckten.
Das ist nun alles Andere als trivial und die PNAS hat im September daher eine Sondernummer zum Thema: “Jenseits des Patentrezepts” herausgegeben.
Die Antwort, die uns darin Anderies et al. auf die Frage nach dem Allheilmittel geben ist folgende: Es gibt immer viele Perspektiven auf ein Problem, viele unterschiedliche Fragen und Antworten, ebensoviele Perspektiven wie Kontrollparameter die die Lösung des Problems kontrollieren. Die Fragen, Antworten und Parameter sind ein bisschen komplex miteinander hin- und vor- und rückgekoppelt.
Wohin das komplexe rückgekoppelte System von dem da draussen und dem hier drinnen steuert, lässt sich global nicht voraussagen und steuern. Aber es ist alles nicht so schlimm wie wir es auf den ersten Blick vermuten. Das System ist ja beweglich und wenn wir (!) uns in dem System mitbewegen, dann wandeln sich auch unsere Vorstellungen (plural) vom Allheilmittel. Es gibt viele lokale Patentrezepte und wir landen mit denen vielleicht irgendwo ganz anderes als wir uns das am Anfang vorgestellt haben, und das ist nicht so dramatisch solang sich unsere Vorstellung vom Ziel auch verändert. Wenn wir aber stur bleiben und nur eine globale Lösung zulassen, dann ist es so wie mit dem War on Terror es wird alles verückter und verückter. Denn es gibt immer nur kleine lokale Lösungen und heterogene Antworten in diesen komplexen Systemen. Das wichtige, und das ist das Patentrezept von Anderies et al., ist, dass die
“society needs to choose to which uncertainties it wishes to be robust, to which uncertainties it may choose to be vulnerable, and how to focus its learning resources.”
Dazu braucht es also eine Vielfalt an Akteuren die ihre Patentrezepte miteinander aushandeln und die auch in der Lage dazu sind Patentrezepte zu entwickeln; das weiter zu illustrieren spare ich mir hier. [3]
Solch einem Prozess kann man vielleicht “adaptives Lernen” nennen, wie es PNAS tut. Der Begriff “Adaptation” muss damit aber durchaus auf eine neue Art gedacht werden, weil er ja impliziert, dass die Adaptation das System an das es sich anpasst mit seiner Anpassung selbst verändert.
Ja, so ist das. Und jetzt bitte den Beitrag nochmal Lesen und das “wir”, “Gesellschaft” durch “ich” und das “da Draussen” als das “Schicksal” ersetzen, dann wird das alles etwas persönlicher…
[1] Bruno Latour, 2007: « A Plea for Earthly Sciences », Keynote adress at the British Sociological Association, East London, april 2007.
[2] Vor ein paar Monaten ist David Blackburns “ Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der Deutschen Landschaft.” auf Deutsch erschienen. In diesem Buch wird der komplexe Zusammenhang von Machtpolitik und Kontrolle über die Unwägsamkeiten der Landschaft in Deutschland illustriert. Ich bespreche das Buch vielleicht einmal, wenn ich es ausgelesen habe.[Rezensionen hier und hier]
[3] Das ist durchaus trivial, wenn wir es aus einer persönlichen und gesellschaftlichen Perspektive betrachten, wird aber ein schwieriges Problem wenn wir es modellieren wollen. Und das ist vielleicht das Besondere an dem Artikel.
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