Weihnachten und den Jahreswechsel habe ich an verschiedenen Orten im Norden Brandenburgs und in Mecklenburg verbracht. Diese Gegend ist so etwas wie meine Heimat. Ich kehre dort regelmäßig Heim um Freunde und Familie zu besuchen und die Landschaft zu genießen. In diesem Jahr hatte ich die Ruhe gefunden einige ausgedehnte Spaziergänge am Wasser zu unternehmen. Es gab ein paar verrückt schöne Tage mit Sonne, Eis und Raureif und eigentlich war die Landschaft wie immer, die Bäume standen an ihrem gewohntem Platz, die Krähen knarrten und die Luft war klar. Trotzdem spürte ich eine große Veränderung.

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Ich nahm diese Gegend mit ihren Wäldern, Seen und hügeligen Feldern immer als meinen persönlichen Rückzugsort war, als einen Ort der blieb wie er war wenn sich alles in meinem Leben änderte, als einen sicheren Ort. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Vielleicht begann meine veränderte Wahrnehmung schon einige Jahre zuvor. Seit ein paar Jahren fliege ich auf dem Erdball herum. In den letzten beiden Jahren war ich zweimal in Ostasien, arbeitete in den USA, durchkreuzte Europa bis in die letzten Winkel. Dabei blicke ich natürlich aus dem Fenster und sehe die Landschaften unter mir dahingleiten, sechs Stunden einmal quer über Sibirien, fünf Stunden Atlantikwellen, anderthalb Stunden die Ostsee entlang, fünf Minuten schon im Landeanflug die Brandenburger Seen…

Die Landschaft beginnt zu schrumpfen, fragil und verletzlich zu werden. Wenn ich jetzt durch die Wälder streife, dann muss ich an die Jets über mir denken. Im letzten Sommer bin ich zum ersten Mal die neue A20 Autobahn von Prenzlau bis nach Stralsund entlang gefahren und war erschrocken und begeistert zugleich wie Gegenden, die als fest gefügte, entfernte, stabile Orte in meiner inneren Geographie existierten plötzlich in Google-Earth-Perspektive an mir vorbeihuschten: das Uckertal, die Brohmer Berge, die Helpter Berge, die Tollense, die Peene…Die Seen liegen nun nicht mehr unveränderlich in Brandenburg und Vorpommern, sondern in der Welt, irgendwo auf der Durchreise zwischen Berlin und Stockholm, oder zwischen Hamburg und Warschau. Dadurch verlieren sie in meinen Augen an symbolischer Stärke. Aus dem Ort der Heimkehr wird mein persönlicher recreational park.

Ein anderer Aspekt: Der Schnee, das Eis. Es gehört für mich in mein Heimatuniversum, dass ich in den Seen im Sommer baden gehe und im Winter darauf Schlittschuh laufe. Im letzten Frühjahr wurde diese Grafik veröffentlicht (für mich die wichtigste Veröffentlichung des letzten Jahres, hier ist der link )

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Sie zeigt den Trend globalen atmosphärischen Ce-O-zwei über die letzten hunderttausend Jahre. Das ist meine A20 durch die Zeit. Durch meine Arbeit als Paläontologe sehe ich sozusagen täglich wie veränderlich scheinbar statische Landschaften und Ökosysteme sind wenn wir den Zeitrahmen erhöhen in denen wir sie betrachten und wie tatsächlich schnell es gehen kann dass sich die Welt radikal verändert (in menschlichen Maßstäben von Zehnern von Jahren). Wenn ich fossile Ökosysteme im Ordovizium vergleiche, ist es ständig so als flöge ich von Kapstadt nach Moskau. Meine heimatlichen Seen sehe ich aus dieser Perspektive als interimistische Pfützen – und der Schnee, wer weiß was mit dem in ein paar Jahren ist, wenn das nicht allzu unwahrscheinliche Szenario einer globalen Temperaturerhöhung um drei bis sechs Grad eintritt.

Bei meinen Spaziergängen vor ein paar Tagen versuchte ich immer mein altes Gefühl von Geborgenheit in dieser Landschaft zu reaktivieren, aber es es stellte sich schwerlich ein. Die Veränderungen in der großen Welt und in mir legten sich wie ein Hintergrundrauschen unter das Rascheln im Walde.

(PS. Das schöne Bildchen vom Stechlinsee am 24.12.2007 wurde von Anja Küchler geknipst, Danke)

Kommentare (1)

  1. #1 Marc | Wissenswerkstatt
    Januar 6, 2008

    Die Tatsache, daß sich gewisse Trends innerhalb des Ökosystems in den letzten 30-40 Jahren rasant beschleunigt haben, ist ja inzwischen hinlänglich bekannt – und für Euch “Experten” (egal ob nun Klimatologen, Paläontologen, Biologen) schon fast kanonisiertes Wissen.

    Interessant ist aber (und schön beschrieben!) Deine Schilderung, daß sich nun Dein individueller Blick auf vertraute Landschaften und Regionen verändert. Man liest natürlich die Wehmut raus, die zwischen den Zeilen mitschwingt. Als Leser ist es aber sehr spannend, wie offenbar professionelles Wissen und die Arbeitsroutine mit der “privaten” Wahrnehmung verschmelzen und sich gegenseitig durchdringen.

    Tja, und die Schaubilder sind natürlich mal wieder alarmierend…

    Dennoch: Danke für den Text und viele Grüße!