Auf die Gefahr hin, dass ich hier jetzt total ins Fettnäpfchen trete, mische ich mich mal in die “Was ist Wissenschaft Diskussion” ein, die seltsamerweise vor ein paar Tagen bei Ludmila und bei Aardvarchaeology gleichzeitig losgetreten wurde. Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang?
Es gibt auf jeden Fall Parallelen. Ludmila schreibt im Kommentar, dass sie ihren Artikel geschrieben hat, um auf die immer wiederkehrende Argumentation zu reagieren, Wissenschaft sei ein Glaubenssystem.
Martin Rundkvist positioniert sich als “Scientist”, verteidigt als Archäologe also seinen positiven Bezug auf die Naturwissenschaften und greift die “postmodernen” Geistestwissenschaftler an, welche den Wahrheitsgehalt der empirischen Daten in ihrer hermeneutische Mühle ad absurdum führen würden. (Dazu muss man Wissen, dass im englischsprachigen zwischen Humanities und Science unterschieden wird. Es gibt also nicht wie im Deutschen eine Wissenschaft die sich in Geistes- und Naturwissenschaft unterteilt.).
Beiden kann ich nur Zustimmen wenn es darum geht was sie als Wissenschaft sehen. Ludmila:
“Klare eindeutige, vernünftige Formulierungen und Argumente und nachvollziehbare und dokumentierte Tests und Experimente; das sind die Grundlagen der Wissenschaft und nichts anderes. Subjektive Meinungen und Erfahrungen, die man gemacht zu haben glaubt, haben hier rein gar nichts zu suchen.”
Martin Rundkvist bringt es auf den Punkt:
“Ask clearly phrased questions, look at the evidence (quasars, amber bead hoards, census data, Victorian novels), draw clearly phrased rational conclusions, present your work to your peers for scrutiny, see who salutes.”
Soweit so gut.
Mir stellt sich da nun nur folgende Frage: Warum sind diese Wissenschaftskritiker, seien es nun die postmodernen Geisteswissenschaftler, die orthodoxen Gläubigen, oder die geschäftstüchtigen Journalisten so penetrant ihrem Zweifel an der ja eigentlich ethisch so reinen Naturwissenschaft? [1]
Ich habe vor ein paar Wochen endlich Derridas “Die Stimme und das Phänomen” gelesen und meine, hier kann ich mit Derrida zumindestens den Beginn einer Antwort finden. Es ist vielleicht Paradox hier Derrida anzuführen, weil Derrida gerade als Vordenker der Postmodernen gilt, aber ich Denke wir Naturwissenschaftler sollten nicht immer sagen “Ich verstehe die Philosophen nicht, das ist mir zu kompliziert” etc, sondern wir sollten uns ernsthaft mit ihnen Auseinandersetzen, wenigstens mit der Philosophie der Wissenschaften. Es kann uns nur gut tun, wenn wir uns als Wissenschaftler (im Sinne von “Scientists”) die Zeit nehmen, die gegenwärtige Philosophie der Wissenschaften ein wenig zu verstehen. Nun ist Derrida kein Wissenschaftsphilosoph aber es ist extrem hilfreich Derridas kritisches Denken zu verstehen, wenn man Wissenschaft betreibt.
Komme ich also zurück auf die Gläubigen, die Philosophen und die Journalisten … Man mag es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich ein gemeinsames Motiv für deren Skeptizismus an den Naturwissenschaften, wenn auch von diametral gegensätzlichen Standpunkten aus: es ist der Glaube.
Man kann für Glauben auch andere Worte finden, zum Beispiel das Vertrauen in etwas, das uns nur unmittelbar Angezeigt wird, dass aber nicht präsent ist und dessen wir uns nicht hundertprozentig sicher sind.
Was nicht Augenblicklich ist, oder was wir nicht direkt in seiner Präsenz erfahren, zB. der Donner im Augenblick des Blitzes, die Klimakatastrophe, ein Schwarzes Loch, ein Quark, von dem Wissen wir nur, weil wir es durch Zeichen vermittelt bekommen.
Wir Wissen vom Donner im Augenblick des Blitzes, weil wir dem Blitz als Zeichen mit hinlänglicher Sicherheit trauen können das bald der Donner folgen wird.
Ich meine, das Ziel von Wissenschaft ist es unser Inventar an Zeichen zu erhöhen denen wir mit hinlänglicher Sicherheit trauen können. Wenn Ingenieure ein Flugzeug entwerfen, dann hilft ihnen kein Glauben, dass ihr konstruiertes Ding schon fliegen wird, sondern, sie müssen über eine Menge an Zeichen verfügen, die ihnen ermöglichen sichere Zukunftsvoraussagen zu treffen. Sie müssen ihren Zeichen auf den Messgeräten trauen können, damit sie ein Flugzeug mit 300 Leuten in die Luft schicken. Der Prozess der dieses Zeichen-Finden bezeichnet ist in erster Linie Erkenntnis, in zweiter Linie wissenschaftliche Erkenntnis.
Jetzt komme ich zu Derrida: Jedes Zeichen existiert nur weil man von seiner Wiederholbarkeit ausgeht. Ein Zeichen repräsentiert etwas, holt also eine Sinneserfahrung, einen Messwert, oder was auch immer aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Ohne die Möglichkeit seiner Repräsentation ist ein Zeichen kein Zeichen. “Ein Zeichen, was nur einmal stattfindet wäre kein Zeichen.” Unsere empirischen Daten sind überhaupt nur da, weil wir sie Aufgezeichnet haben, weil wir uns ihrer in der Zukunft erinnern können und sie dann in einem anderen Zusammenhang benutzen können.
Wenn wir jetzt versuchen, ausgehend von diesen Zeichen, dahin zurückzukehren wo diese Zeichen gegenwärtig waren, dann geraten wir an einen seltsamen Punkt. Die Zeichen entstehen ja erst in jenem Augenblick, wo wir uns der Möglichkeit ihrer Wiederholbarkeit bewusst werden, oder wo wir ihre tatsächliche Wiederholung wahrnehmen. Wenn man so will, dann wird die ganze Gegenwart erst an dem Punkt möglich, wo wir uns der Möglichkeit bewusst werden sie erinnern zu können, also in der Retrospektive.
Dieses Denken von Derrida, das ich hier nur ganz kurz anschneide, hat eine gravierende Konsequenz: Unsere empirischen Daten wären originär nicht von Zeichen zu trennen. In dem Moment, wo wir die Welt wahrnehmen ist sie schon ein System von Zeichen. Das heißt nicht, das es die Welt nicht ohne uns gibt und das die Welt keine originäre Spur in unserer Wahrnehmung hinterließe, aber unsere Wahrnehmung der Welt ist untrennbar und von Anfang an mit der Erfahrung, Erwartung und dem Vertrauen auf (/Glauben an) Wiederholbarkeit verbunden.
Wenn wir Wissenschaft betreiben, dann latschen wir nicht deppert durch die Gegend und merken nach dem fünften Blitz, dass da immer ein Donner dazugehört, sondern wir halten gezielt Ausschau, Zeichnen Dinge fein säuberlich auf weil wir von ihnen erwarten, sie könnten Zeichen sein und machen sie damit gleichzeitig zu Zeichen. Wenn wir Wissenschaft betreiben, dann betreiben wir eine durchs Prinzip der Falsifikation abgesicherte aktive Suche nach der Wiederholbarkeit. Diese Suche und noch mehr das Vertrauen auf die gefundenen Zeichen, ist, weil sie sehr viel Spezialwissen vorraussetzt, für Nicht-Fachleute kaum mehr nachvollziehbar. Wissenschaftliches Wissen ist daher für den Laien eine Frage des Vertrauens (des Glaubens). Ein Flugzeugabsturz und die Explosion eines Kernkraftwerkes stellen dieses Vertrauen in die Wissenschaft für die Nicht-Fachleute möglicherweise grundsätzlich in Frage, für den Wissenschaftler mag es ein Detail im Prozess der Falsifikation sein.
An dieser Stelle kommen für mich die Philosophen, die Journalisten und die Gläubigen wieder ins Spiel. Ich meine, die Philosophen, die Gläubigen und die Journalisten wissen, oder spüren das das Zeichensystem der Wissenschaftler aus einer ihnen eigenen Logik entstammt. Wenn ein Flugzeug abstürzt oder ein Kernkraftwerk explodiert, wenn also ein unerwartetes Ereignis eintritt, dann wird das Vertrauensverhältnis gebrochen und die unterschiedlichen Zeichensysteme werden sichtbar.
Ich meine, das ist kein postmodernes Wischiwaschi, wenn man diese unterschiedlichen Sichtweisen auf die Dinge ernst nimmt. Man muss die unterschiedlichen Positionen von Grund auf ernst nehmen und – man muss sich positionieren gegen die Entwertung der Wissenschaft und gegen blindes Vertrauen.
Was für einen besseren Ort gibt es eigentlich um so etwas zu tun, als zum Beispiel die gute alte Universität. Leider geht die Entwicklung der Universitäten immer mehr dahin, dass ein Austausch zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen immer weniger möglich gemacht wird. Welcher Bachelor Physik Student hat heute schon noch Zeit sich in eine Philosophie Vorlesung zu setzen, welcher Theologe in Physik oder welcher Geologe in Theologie?
[1] Ich gehe hier bewusst nicht auf den Begriff Postmodernismus ein, denn ich kenne weder den Hintergrund der Diskussionen innerhalb der Archäologie noch kann ich den Bergriff in diesem Zusammenhang mit etwas konkretem füllen. Ich denke der Begriff Postmodernismus ist in erster Linie ein ideologischer Kampfbegriff, sowohl der Leute die sich Positiv darauf beziehen, als auch der jeweiligen Gegner.
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