Ungefähr alle 10 Jahre ist es soweit. Die Raketen blühen. Neue Raketenkonzepte sprießen aus dem Boden, um bald danach zu verwelken. Schauen wir sie uns an, so lange sie noch da sind.

Die Raumfahrt ist noch recht neu und trotzdem kann man in ihrer Entwicklung gewisse Muster erkennen. In halbregelmäßigen Abständen greift das Raketenfieber um sich und neue Raketen werden von allen möglichen Firmen außerhalb der traditionellen Industrie angeboten. Weil die Firmen neu sind, sind das im allgemeinen recht kleine Raketen, deren Kosten und Entwicklungsaufwand etwas überschaubarer ist. Das Schauspiel hat eine gewisse Tragik. Denn am Ende wird es nur noch eine geben, vielleicht zwei. Vielleicht auch gar keine.

Der Markt für Satelliten ist sehr begrenzt und kaum etwas profitiert so sehr von höheren Stückzahlen wie die Herstellung von Trägerraketen. Jede Firma sucht nach Tricks um die Bau- und Entwicklungskosten möglichst niedrig zu halten und die ändern sich mit jeder neuen “Saison”.

Mit dem Ende des Kalten Krieges stand in den 90er und 2000er Jahren die Verwendung ausgedienter militärischer Interkontinentalraketen im Vordergrund. Aus Russland und den USA kamen gleich eine ganze Reihe “neuer” Raketen. Shtil, Volna, Rockot, Start, Dnepr, Minotaur, Taurus, Conestoga.

Da alle auf ausgedienter Militärhardware beruhten, kamen auch alle zum Einsatz. Die Idee war denkbar einfach: Man nehme eine Interkontinentalrakete und ersetze die Atomsprengköpfe durch einen Satelliten und vielleicht noch eine weitere Raketenstufe. Die Idee war auch nicht neu. Die sovietisch/russischen Soyuz und Kosmos Raketen sind auf diese Weise entstanden, ebenso wie die amerikanischen Atlas, Delta und Titan. (Die Delta hieß eigentlich “Thor”, hatte also einen genauso mythisch-martialischen Namen wie die anderen beiden. Die Delta Oberstufe war aber der vierte und erfolgreichste Versuch eine Oberstufe für die Thor zu bauen. Aus der Bezeichnung Thor-Delta wurde schließlich nur “Delta”.)

Die Conestoga war die ambitioniertste dieser Raketen und auch die einzige, die nicht diesem Rezept folgte. Nicht weniger als sieben Minuteman Raketen bildeten die ersten Stufen. Vier wurden am Boden gezündet, zwei weitere weiter oben als zweite Stufe, eine weitere als dritte Stufe. Aber eine fehlerhafte Steuerelektronik führte zur ästhetisch anspruchsvollen Zerstörung der Rakete kurz nach dem Start.

Ein russisch-amerikanisches Jointventure namens Sealaunch war dagegen lange Zeit recht erfolgreich. Es benutzte eine schon vorhandene Rakete, die russische Zenit. Die Zenit war im Prinzip eine der vier Boosterraketen für die Energia Rakete, die das sovietische Buran Shuttle auf seinen einzigen Flug in den Orbit brachte, nur besser steuerbar und mit zwei Oberstufen ausgestattet. Eine Bohrplattform wurde zur Startrampe umgebaut und für jeden Start zum Äquator gezogen, was die Nutzlast deutlich erhöht. Am Äquator kann man mehr Geschwindigkeit aus der Erdrotation mitnehmen und man braucht auch nicht die Bahnneigung zu korrigieren. Nach einem Fehlstart kam die Firma in finanzielle Schwierigkeiten, als die Rakete auf die Plattform zurück fiel und dort explodierte. (Nebenbei lieferte sie das beste Beispiel, warum man Live-Übertragungen bei einem Unfall nicht sofort abbrechen sollte.)

Nach weiteren Fehlschlägen ist die Firma kaum noch existent. Die (ursprünglich sovietische) Zenit Rakete wurde in der Ukraine hergestellt, was die nunmehr großteils russischen Inhaber von Sealaunch vor ernsthafte Probleme gestellt hat.

Rocketplane Kistler hatte die eingemotteten Triebwerke der alten sovietischen Mondrakete N-1F aufgetrieben und wollte mit drei dieser NK-33 Triebwerke eine wiederverwendbare Rakete antreiben. Dazu kam es nie. Kistler ging pleite, aber die Triebwerke blieben in den USA. Mit ihnen baute die Firma Orbital Sciences die Antares Rakete. Die sollte eigentlich Taurus II heißen. Aber nachdem die namensgebende Taurus Rakete bei zwei Fehlstarts NASA-Satelliten im Wert einiger hundert Millionen Dollar zerstörte, wollte man mit dem Namen nichts mehr zu tun haben. Aus der Taurus wurde die Minotaur-C und aus Taurus II die Antares. Ihre Geschichte endete letztes Jahr nach vier erfolgreichen Starts so:

Die heutigen Anwärter für die nächste große Raumfahrtfirma sind aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Ihr Vorreiter ist die einzige Firma, die die letzte Raketenschwemme gut überstanden hat: SpaceX. Sie versuchte sich zunächst an genauso kleinen Raketen wie heute fast jeder Neuling. Die Falcon 1 genannte Rakete erlitt drei Fehlschläge in Folge, den dritten mit dem Satelliten eines Kunden an Bord. Am Rande der Insolvenz konnte sie eine Kooperation mit der NASA aushandeln und 8 Wochen nach dem letzten Fehlstart endlich einen erfolgreichen Testflug absolvieren. Der Rest ist Geschichte und wird ein anderes mal zu erzählen sein.

Einige der Firmen die heute Raketen für Satellitenstarts bauen wollen, gehen zurück auf die Zeit des Ansari-X-Price. Es wurden $10mio ausgelobt für den ersten, der einen Menschen zweimal in einem bestimmten Zeitraum in den Weltraum befördern würde (min 100km Höhe). Gewonnen hat den Preis damals Virgin Galactic, die noch immer kein Flugbereites Raumschiff für Passagiere haben. Das letzte – SpaceShipTwo wurde bei einem Unfall zerstört in dem einer der beiden Piloten getötet wurde und der andere nur durch Zufall überlebte. Auf Basis dieses Raumschiffs wollen sie eine Rakete names LauncherOne bauen, die zunächst mit einem Trägerflugzeug in große Höhe gebracht und dort gestartet wird. Raketentriebwerke, deren Düse für den Einsatz in großer Höhe optimiert werden können, sind bei sonst gleicher Bauweise viel effizienter als solche die vom Boden abheben müssen. Der Nachteil ist die begrenzte Masse. Wenn das Flugzeug nicht mehr abheben kann, nützt die Optimierung nichts mehr. Man stellt sih das dann so vor:

LauncherOne-Portrait

Die Forschungsbehörde des US-Militär arbeitet an einer kleinen Rakete, die von einem regulären F-15E Kampfflugzeug gestartet werden soll. Das Konzept läuft unter dem Namen ALASA und wird eine zweistufige Rakete sein. Das besondere ist der Treibstoff, eine Mischung aus Ethin und Lachgas. Brennstoff und Oxidator liegen in einer Mischung in einem einzigen Tank vor. Die zweite Stufe hat keine eigenen Triebwerke, sie nutzt die der ersten Stufe. Es wird nur der große Treibstofftank abgetrennt. Da der Treibstoff druckgefördert ist und der Tank entsprechend großen Druck aushalten muss und schwer ist, lohnt sich das durchaus.

Eine andere Firma namens Stratolaunch setzt auf die gleiche Idee, aber mit dem Prinzip klotzen statt kleckern. Zusammen mit der für speziell angefertigte Flugzeuge bekannten Firma Scaled Composites bauen sie gerade an ihrem Transportflugzeug. Als Antrieb kommen nicht weniger als sechs Düsentriebwerke von zwei Boeing 747-400 Flugzeugen zum Einsatz. Über die Rakete ist nicht viel bekannt. Stratolaunch hatte eine Kooperation mit SpaceX, die von SpaceX gekündigt wurde. Inzwischen arbeiten sie mit Orbital Sciences zusammen, deren Arbeit mit der Minotaur, Taurus und Antares Rakete schon gewürdigt wurde.

Sehr viel bodenständiger ist da die Firma Firefly. Sie will eine Rakete namens “Alpha” bauen (“Beta” ist selbstverständlich auch in Planung), die Methan und flüssigen Sauerstoff als Treibstoff nutzt. Die Triebwerke sind dabei druckgefördert, die einfachste und ineffizienteste Form eines Raketentriebwerks. (Auch das wird in einem späteren Posting noch zu erklären sein.) Um das zu kompensieren will man an anderer Stelle effizienter arbeiten. Die Treibstofftanks aus leichter Kohlefaser gebaut. Anstatt den Druck in den Tanks mit Helium aufzubauen, soll die Hitze der Triebwerke einen Teil des Treibstoffs verdampfen, womit man einige Drucktanks einspart. Und letztlich sollen die Triebwerke der ersten Stufe um einen Aerospike angeordnet werden. So ein Aerospike erlaubt es, Triebwerke für den Einsatz im hohen Luftdruck auf Meereshöhe zu optimieren und dennoch bei sinkendem Luftdruck zumindest etwas besser als bei einer konventionellen Düse zu profitieren.

Rocketlab baut eine Rakete namens Electron. Der ungewöhnliche Name geht natürlich nicht auf das griechische Wort für Bernstein zurück, sondern auf einen elektrischen Antrieb in der Rakete. Elektrisch angetrieben wird hier die Treibstoffpumpe, die flüssigen Sauerstoff und Kerosin in die Brennkammern der Triebwerke pumpen. Durch die Weiterentwicklung der Batterietechnik sind elektrische Pumpen zumindest bei sehr kleinen Triebwerken mit den herkömmlichen Turbopumpen konkurrenzfähig geworden. Man verspricht sich davon ein einfacheres, billigeres und trotzdem zuverlässigeres System. Die Rakete soll pro Start nur knapp $5mio kosten.

Es gibt auch eine Reihe von neuen Raketen der etablierter Firmen über die ein anderes mal zu schreiben sein wird. Wer jetzt schon darüber diskutieren will: Die Kommentare bieten sich dafür an.

Kommentare (6)

  1. #1 Hendrik
    2. Mai 2015

    Wenn ich das so als leihe lese scheint es ja tatsächlich so zu sein das das “Rocket Science” ein Thema ist was Staatliche stellen wesentlich besser beherrschen als Private.
    Woran liegt das?
    Ich kann mir nicht vorstellen das da nur inkompetente Leute arbeiten.
    Vlt. weil sie unbedingt billig sein müssen im Gegensatz zu Staatlichen stellen wo nicht so extreme darauf geachtet wird?

    • #2 wasgeht
      2. Mai 2015

      Das scheint nur so. Vor allem deshalb, weil ich über die staatlichen Stellen noch nichts geschrieben habe. ;)

      Etwas ausführlicher:

      Orbital Sciences gehört beispielsweise im Prinzip in die staatliche Kategorie. Sie leben im wesentlichen von Militär und staatlichen Forschungsaufträgen, die äußerst reichlich bezahlt werden. Trotzdem ist die Erfolgsquote des Unternehmens als ganzes schlechter als das der russischen Proton Rakete, die als unzuverlässig verschrien ist. Einzig die Minotaur Raketen sind recht erfolgreich, aber die sind auch Peacekeeper und Minuteman Raketen mit vglw. minimalen Veränderungen.

      Staatliche Stellen brauchen sich keine Gedanken um die Wirtschaftlichkeit zu machen. Und dann ist es leicht den Anschein von Kompetenz zu erreichen, indem man absurden Aufwand betreibt. Echte Kompetenz sieht man aber nicht nur im Ergebnis, sondern auch im dafür betriebenen Aufwand. Der ist bei staatlichen oder eng mit dem Staat verbundenen Unternehmen extrem groß. Die Entwicklung der Ariane 6 Rakete aus vorhandener Technik der Ariane 5 soll 4 Milliarden Euro kosten. SpaceX hat weniger als eine Milliarde Dollar für die Entwicklung der Falcon1 und Falcon9 Rakete, sowie dem Dragon Transporter ausgegeben. Inklusive der Entwicklung von 3 unterschiedlichen, neuen Triebwerken.

      SpaceX mag die ersten drei Flüge in den Sand gesetzt haben und manche Fehler mögen lächerlich gewirkt haben (Aluminium-Schrauben die durch Salzwasser im Pazifik korrodierten, wegen Gewicht eingesparte Prallbleche die das Schwappen von Treibstoff verhindert hätten, unerwartet viel Restschub des neuen Merlin-1C Triebwerks), aber sie resultierten daraus, dass man nicht versucht hat *alles* mit extremen Aufwand zu untersuchen, sondern möglichst nur das was für den Erfolg nötig und nicht absolut unangemessen teuer ist. Manchmal ist es kosteneffizienter den Verlust von Raketen bei Testflügen zu riskieren.

      Die untere Grenze dessen was nötig ist, haben die regierungnahen Unternehmen nie ausgetestet und auch nie austesten können. Sie müssen zuverlässig liefern (damit die Regierung nicht ihr Gesicht in der Öffentlichkeit verliert) oder mindestens zeigen, dass sie absolut alles getan haben und das Problem nicht ihre Schuld ist. Sonst heißt es sofort, dass dort Steuergelder verschwendet werden. Deswegen sind sie immer übervorsichtig, sobald ein mögliches Problem bekannt ist und geben viel Geld aus um sicher zu sein, dass es wirklich nicht auftritt. Weil dabei keine Rakete zu schaden kommt, fällt auch niemandem auf, dass dabei viel mehr Steuergelder verschwendet werden.

      Andererseits kommt es dabei zu blinden Flecken, wo es dann doch zu Problemen kommt. Bei der Ariane 5 dachte man sich zum Beispiel, es wäre eine gute Idee die erprobte Steuersoftware der Ariane 4 zu übernehmen und nur für die Ariane 5 anzupassen. Minimales Risiko, weil die Software ja funktioniert. Nur, dass die Steuervariable für die seitlichen Kräfte bei der Ariane 5 über den Definitionsbereich hinaus gelangte, weil sie viel größer waren als bei der Ariane 4. Statt positiver Werte lieferte die Software negative Werte, die Rakete steuerte nicht gegen die seitliche Bewegung, sondern verstärkte sie noch und musste gesprengt werden. Und schon sieht eine staatliche Stelle genauso dumm aus wie eine Private.

  2. #3 Hendrik
    2. Mai 2015

    Danke für das ausführliche Kommentar.

  3. #4 Alderamin
    13. Mai 2015

    @Frank

    Als Ergänzung zum Obigen:

    Wo Du Stratolaunch und Orbital erwähnst: Die Pegasus (auch eine Minirakete) von Orbital fliegt schon seit 1990 einigermaßen erfolgreich von ihrem TriStar Trägerflugzeug aus. Das klingt oben im Zusammenhang ein wenig so, als ob Orbital (mit der Antares) Neulinge seien oder Stratolaunch/LauncherOne ein neues Konzept.

    Schöner Blog, übrigens. Bin ja auch Raumfahrt-Fan. Wenn ich darf, schau’ ich öfters rein.

    • #5 wasgeht
      13. Mai 2015

      Ich habe mit mir gerungen, ob ich die Pegasus mit rein nehme oder nicht. Denn so richtig erfolgreich (vor allem wirtschaftlich) ist das geflügelte Pferdchen auch nicht wirklich.

      Am Ende gab es nur falsche Entscheidungen und ich habe eine davon gewählt.

  4. […] noch meinen Artikel “Angriff der Miniraketen” im Hinterkopf hat erinnert sich vielleicht an diese Rakete. Da wir nun die auch etwas mehr […]