Wenn von Kernkraft gesprochen wird, spricht man auch von spaltbarem und nicht spaltbarem Material. Aber so einfach ist das leider nicht.
Schon im Englischen trifft man bei der Diskussion spaltbarer Stoffe auf zwei unterschiedliche Worte, wo wir nur eins haben: “fissionable” und “fissile”. Fissionable beschreibt das, was der Begriff “spaltbar” wortwörtlich bedeutet. Das der jeweilige Atomkern gespalten werden kann. Nicht mehr und nicht weniger. Von Kettenreaktionen ist da noch keine Rede. “Fissile” hingegen beschreibt die Möglichkeit, mit dem Stoff eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion durch Kernspaltung zu erzeugen.
Die Kernspaltung ist dabei eine äußerst elegante Sache. Es geht nicht darum, ob ein Atomkern kaputt gemacht werden kann. Jeder 3-jährige weiß genau wie das geht: Man kann alles kaputt machen, wenn man nur doll genug drauf haut. Schon Protonen mit einem zehntausendstel der Energie im LHC sind mehr als genug um jedes beliebige Atom in sehr kleine Teile zu zerschlagen. Mit Kernspaltung hat das aber nur ungefähr soviel zu tun, wie ein Hacksteak etwas mit einem Steak zu tun hat.
Bei der Kernspaltung dringt ein Neutron in einen Atomkern ein, der daraufhin so instabil wird, dass von allein in zwei Teile und einige Neutronen zerfällt. (In sehr seltenen Fällen auch in drei Teile, aber für Atombomben und Kernreaktoren ist das nicht relevant.) Wenn das passieren kann, geht um eine Kernspaltung und man kann zurecht von einem spaltbaren Atom sprechen. Was aber, wenn ein Atom nicht gleich unter allen beliebigen Umständen mit einem Neutron gespalten werden kann? Und was, wenn dieser Prozess im weiteren Verlauf keinerlei Aussichten auf eine Kettenreaktion hat? Ist es dann immernoch “spaltbar”?
Im deutschen Sprachgebrauch ist die Bedeutung des Wortes “spaltbar” sehr wandlungsfähig. Im engeren Sinn, wie oben, ist zum Beispiel jedes Uran Atom spaltbar. Warum?
Atome können mit Neutronen gespalten weden, weil das Neutron Energie mitbringt. Selbst wenn das Neutron extrem langsam ist und nur zufällig in die Nähe des Atomkerns kommt, werden bei den “üblichen Verdächtigen” etwa 6MeV Energie frei, denn das Neutron wird vom Atomkern angezogen. Die Teilchen im Atomkern, die Nukleonen, ziehen sich gegenseitig durch die starke Kernkraft an. (Die Protonen stoßen sich aber gleichzeitig wegen ihrer elektrischen Ladung gegenseitig ab, was die Sache etwas heikel und, gerade bei großen Atomen, potentiell instabil macht.)
Das ist genauso wie, wenn sich ein Asteroid ganz langsam der Erde nähert. Irgendwann wird er von der Gravitation angezogen und schon befindet sich der Asteroid im freien Fall auf die Erdoberfläche. Bis er im freien Fall in die Erdatmosphäre eindringt, hat der Asteroid eine Geschwindigkeit von 11,2km pro Sekunde. Es wird also nie einen Asteroid zum streicheln geben, der sich sanft auf der Erde nieder läßt. Eine höhere Aufprallgeschwindigkeit ist dagegen immer möglich, wenn sich der Asteroid mit großer Geschwindigkeit der Erde genähert hat. Genauso geht es den Neutronen, die mit einem Atomkern in Kontakt kommen.
Nun reichen 6 MeV nicht ganz aus, um etwa ein Uran Atom zu spalten. Man braucht ungefähr 7MeV. Aber es gibt noch einen Weg, wie man noch etwas Energie heraus quetschen kann. Neutronen bilden im Atomkern bevorzugt Paare. Hat man eine ungerade Anzahl von Neutronen in einem Atomkern, bildet sich zusammen mit dem neuen Neutron ein neues Paar. Es werden dabei 2 MeV Energie frei und das Atom kann sich spalten. Entsprechend können Uran-233 und Uran-235 gespalten werden (andere ungerade Isotope sind zu instabil), genauso wie etwa Plutonium-239 und Plutonium-241. Dagegen können Uran-236 und Uran-238 nicht gespalten werden, genauso wenig wie Pu-238, Pu-240 und Pu-242. Oder etwa doch?
Wenn man 7 MeV braucht, um ein U-238 Atom zu spalten und der bloße Aufprall 6 MeV bringt, dann kann man trotzdem ein U-238 Atom spalten. Aber nur, wenn das Neutron so schnell ist, dass es 1MeV Energie von sich aus mitbringt. Solche Neutronen entstehen bei der Kernspaltung tatsächlich. Aber bei 100 Kernspaltungen entstehen nur etwa 40 Neutronen mit ausreichend Energie um ein weiteres U-238 Atom zu spalten. Es könnte also auch eine Kettenreaktion stattfinden. 100 Kernspaltungen könnten zu 40 weiteren Kernspaltungen führen, die führen zu 16 weiteren Spaltungen, die zu 6 weiteren die zu 2-3 weiteren und dann vielleicht noch eine. Das ist eine Kettenreaktion, die Kette ist nur nicht sehr lang. Sie ist nicht selbsterhaltend und muss immer wieder von außen angestoßen werden. Manche Isotope (wie Neptunium-237) können sogar nur mit schnellen Neutronen eine Kettenreaktion erreichen, aber nicht mit langsamen.
Die Frage, ob ein Atom spaltbar ist, hängt also von der Energie der Neutronen ab. Die meisten Reaktoren bremsen aber die Neutronen auf möglichst wenig Energie ab, weshalb man anfing von “spaltbarem” und “nicht spaltbarem” Uran oder Plutonium zu sprechen. Diese “nicht spaltbaren” Atome machen genau den Teil des Atommülls aus, wegen dem dessen Lagerzeiten nicht in Jahrhunderten, sondern in hunderttausenden von Jahren gemessen werden.
Mehr dazu später in einem Posting über Atommüll oder hier in den Kommentaren.
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