Die Geschichte vom ältesten bekannten Kernreaktor der Welt.
Unsere Geschichte vom ältesten Kernreaktor der Welt beginnt mit einem Französischen Bürokraten. Nein, keiner von DENEN, obwohl …
Na wie auch immer. Sie beginnt mit einem französischen Bürokraten im Jahr 1972. Und nein, das ist kein Schreibfehler. Selbiger bekam zu hören, dass das Uran in der Urananreicherungsanlage Pierrelatte nur einen Uran-235 Gehalt von 0,7171% hatte, anstatt der 0,7202%, die alles andere Uran hat. Nun ist Urananreicherung eine halbwegs heikle Sache. Wenn man 1000t von diesem Uran verarbeitet, dann summiert sich ein Unterschied von 0,0031% auf 31kg Uran-235. Das Fehlen von 31kg Uran-235 zu erklären, könnte einem französischen Bürokraten mehr Ärger einbringen, als der Passierschein A38. Also ging man der Sache nach.
Wie sich heraus stellte, hatte der zu geringe U-235 Gehalt seine Ursache in dem Uranerz. Das wurde in der ehemaligen französischen Kolonie Gabun abgebaut, in einer Mine namens Oklo. Das Erz hatte nur 0,7171% an manchen Stellen sogar noch viel weniger. Das war merkwürdig, denn nach allem was man bis dahin sagen konnte, ist alles Uran auf der Erde früher bei einer Supernova entstanden und hat überall den gleichen Gehalt von spaltbarem U-235. Nämlich 0,7202%. Nur nicht in Oklo.
Den Grund dafür lieferte eine schon früher aufgestellte Hypothese. Der Gehalt von 0,7202% ist nur eine Momentaufnahme. Uran-235 hat eine Halbwertszeit von 700mio Jahren, während Uran-238 eine Halbwertszeit von 4,5 Mrd Jahren hat. Die Erde ist ebenfalls 4,5 Mrd Jahre alt, als sie entstanden ist, gab es also doppelt so viel Uran-238 wie heute.
Beim Uran-235 sieht das ganz anders aus. Seit der Entstehung der Erde sind 6,4 Halbwertszeiten von U-235 vergangen. Damals gab es also 86 mal so viel U-235 wie heute! Eine Tonne Uranerz heute, waren also einmal 2 Tonnen U-238 und 620 kg U-235. Man würde heute von einem Anreicherungsgrad von 23,7% reden. Wir reden also von ziemlich potentem Stoff!
Vor etwa 1,7 Milliarden Jahren davon schon deutlich weniger übrig, aber der Gehalt lag immernoch bei 3% – kein unüblicher Wert für einen Kernreaktor, der mit ganz normalem Wasser funktioniert. Das Uranerz in Oklo befand sich in einer porösen Sandsteinschicht hatte einen hohen Reinheitsgrad. Irgendwann kamen alle Bedingungen zusammen, es fehlte nur noch etwas Wasser und die Kettenreaktion konnte beginnen.
Dabei gilt für so eine Erzschicht das gleiche, das auch für unsere Kernreaktoren gilt. So lange sich die Reaktivität über dem kritischen Wert befindet, beschleunigt sich die Reaktion, wenn sie darunter sinkt, wird sie langsamer. Was sich nach einem Prozess anhört, der mit Sicherheit außer Kontrolle geraten muss, reguliert sich auch ganz ohne menschlichen Sachverstand von selbst. Denn es gibt nur sehr wenige Prozesse, die die Reaktivität erhöhen können, aber dafür sehr viele, die sie verringern.
(Das ist wichtig, wenn man einen Reaktor konstruieren will. Prozesse, die die Reaktivität erhöhen müssen am Ende kleiner sein, als Prozesse, die sie wieder verringern. Außerdem müssen die verringernden Prozess schnell genug greifen. Leider gab man sich manchmal damit zufrieden, dass man das durch Anweisungen an das Personal sicher stellte oder etwa durch eine umgehbare Steuerautomatik, anstatt von unumgänglichen physikalischen Prozesse. Aber mehr dazu später einmal.)
Ein wichtiger Prozess in Oklo war die Bildung von radioaktiven Spaltprodukten wie Xenon-135. Die fangen an Neutronen zu absorbieren, sobald die Kettenreaktion schnell genug abläuft, dass sich eine gewisse Menge Xe-135 angesammelt hat. Ist die Reaktion zu langsam, zerfällt das Xe-135 zu Cs-135 und wird wirkungslos.
Viele Prozesse hängen aber nicht direkt mit der Kettenreaktion zusammen, sondern mit der entstehenden Wärme. Um so mehr sich ein Stoff aufwärmt, um so leichter kann er Neutronen absorbieren. Das liegt daran, dass die Absorbtion von Neutronen ein Quantenprozess ist und es auch dort Spektrallinien wie beim Licht gibt. Neutronen mit genau der richtigen Energie haben eine sehr viel besser Chance absorbiert zu werden, als Neutronen einer nur etwas höheren oder niedrigeren Energie. Wenn sich ein Stoff aufwärmt und die Atome im Stoff zu schwingen anfangen, wird dieser Energiebereich etwas größer und Neutronen können insgesamt leichter absorbiert werden. Wenn es nun mehr Stoffe gibt, die von den Neutronen nicht sofort gespalten werden können (wie U-238), als spaltbare Stoffe, dann sinkt auch damit die Reaktivität.
Der wichtigste Prozess in Oklo hängt aber mit dem Wasser zusammen. Wenn Wasser eine Temperatur von 374 Grad Celsius erreicht, wird es zu Dampf – egal wie hoch der Druck unter der Erde ist. In dem porösen Sandstein entweicht das Wasser und die Neutronen werden nicht mehr so gut verlangsamt (moderiert) wie zuvor, bis sich das Gestein wieder abkühlt und das flüssige Wasser zurück kommt.
Das interessanteste an der Mine von Oklo ist, dass man alles das nach 1,7 Milliarden Jahren noch nachvollziehen konnte. Nicht nur das Uran blieb am Platz. Auch das Plutonium das in der Kernreaktion entstand, blieb im Erz. Dazu hat man die Bleiisotope und die Bleimenge in der Reaktorzone des Erzvorkommens in einer bemerkenswerten wissenschaftlichen Arbeit verglichen, mit den Erzen außerhalb der Reaktorzone. Plutonium zerfällt zu anderen Bleiisotopen als Uran und kann damit auch noch über eine Milliarde Jahre später erkannt werden. Es blieb dort, obwohl das Erz nur in einem porösen, von Wasser durchflossenem Gestein eingeschlossen war und noch dazu über hunderttausende Jahre teil eines aktiven Kernreaktors war. Das gilt nicht nur für das Plutonium, sondern auch für viele andere ehemals radioaktive Bestandteile.
Nun mag es sein, wie in der Wikipedia geschrieben wird, dass damit kein Beweis für Machbarkeit eines Endlagers erbracht ist. Aber es wurde mit Sicherheit der Gegenbeweis für die These erbracht, dass es unmöglich ist, Stoffe auf längere Zeit in der Erde einzuschließen. Noch dazu wurde dieser Gegenbeweis in der denkbar schlechtesten Umgebung dafür erbracht – in Sandstein mit viel Grundwasser und großer Hitze.
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