Ein Passagierflugzeug würde non-stop 20 Stunden brauchen. Ein Raumschiff braucht 45 Minuten. Ginge es auch schneller?

Das war eine Frage, die ich mir vor einigen Jahren gestellt habe. Ich gebe zu, sie gehört nicht zu den drängensten Fragen der Menschheit. Aber sie hat eine interessante Antwort.

Warum braucht das Raumschiff 45 Minuten?

So ein Raumschiff fliegt um die Erde. Das heißt, es fliegt ständig in einer Kurve mit einem Radius von etwa 6800km. Also eine verdammt große, verdammt langweilige Kurve. Wenn man mit dem Auto schnell durch eine Kurve fährt, dann merkt man sofort, dass da eine gewisse Fliehkraft nach außen wirkt. Diese Fliehkraft ist um so höher, um so enger die Kurve ist und um so schneller man um die Kurve fährt.

Wenn man nun eine Kurve mit einem Radius von 6800km fliegt, dann muss man schon verdammt schnell sein, um überhaupt etwas von der Fliehkraft mitkriegen zu können. Eines der schnellsten Flugzeuge, mit dem jemals Menschen geflogen sind, war die SR-71. Sie konnte mit einer Geschwindigkeit von etwas mehr als einem Kilometer pro Sekunde fliegen. Ein Flug halb um die Erde würde 20.000 Sekunden, oder 5 Stunden und 30 Minuten dauern.

Wenn man mit dieser Geschwindigkeit um eine Kurve mit einem Radius von 6400km fliegt (das Flugzeug ist etwas tiefer), dann erlebt man eine Fliehkraft von 0,016g. Eine Waage die im Flugzeug vor dem Start noch 100kg angezeigt hat, hätte im Flug mit dieser Geschwindigkeit also 98,4kg angezeigt. Das ist messbar, aber kaum spürbar. Die Geschwindigkeit geht aber mit dem Quadrat der Geschwindigkeit in die Rechnung ein. In einem vier mal so schnellen Flugzeug wäre der Effekt also 16 mal so groß. Und schon würde die Waage im Flug nicht mehr 98,4kg anzeigen, sondern 74,5 kg!

Der Grund, weshalb das Raumschiff in ziemlich genau 45 Minuten halb um die Welt fliegt ist, dass bei dieser Geschwindigkeit die Waage 0kg anzeigt. Es fliegt die riesengroße, unglaublich langweilige Kurve um die Erde genau so schnell, dass die Fliehkraft nach außen genauso groß ist, wie die Schwerkraft, die das Raumschiff zur Erde zieht.

Wenn man mit einem Raumschiff schneller um die Erde fliegen will, dann hat man ein Problem: Man fliegt aus der Kurve. Anstatt um die Erde zu fliegen, fliegt man von der Erde weg, weil die Schwerkraft zu schwach ist, um das Raumschiff noch in der Bahn zu halten. Um trotzdem noch die Kurve zu kratzen, müsste man mit den Triebwerken des Raumschiffs nachhelfen und zwar indem man die Triebwerke nach außen richtet, von der Erde weg. Das geht natürlich nur so lange gut, bis der Treibstoff ausgeht und dabei ist es schon schwierig genug mit dem Treibstoff überhaupt auf die Geschwindigkeit zu kommen!

Mit einem Raumschiff würde es also nicht gehen. Aber mit einem Zug!

Der Zug müsste natürlich in einem Tunnel ohne Luft fahren. Und er müsste Kopfüber an der Decke fahren, denn er fährt so schnell, dass er von der Fliehkraft von der Erde weg an die Tunneldecke gedrückt wird. Wie schnell genau er fahren kann, hängt aber davon ab, was die Passagiere aushalten.

Mit einer Geschwindigkeit von 7,8km/s würde man, wie im Raumschiff, gerade auf Schwerelosigkeit kommen. Mit 11,2km/s würde der Zug an der Decke fahren und es würde sich alles völlig normal anfühlen. Von der merkwürdigen Tatsache abgesehen, dass die Landschaft außerhalb des (hoffentlich durchsichtigen!) Tunnels auf dem Kopf steht und mit unglaublicher Geschwindigkeit vorüber zieht. Mit dieser Geschwindigkeit käme man in einer halben Stunde, 15 Minuten vor dem Raumschiff, am anderen Ende der Welt an.

Bisher war alles noch harmlos. Erst wenn man noch schneller fahren will, wird es wirklich ernst. Wenn man doppelt so schnell fährt, wie ein Raumschiff fliegt, wirkt das 4-fache der Schwerkraft als Fliehtkraft nach außen. Immerhin reduziert die Schwerkraft die Fliehkraft etwas, aber die Passagiere hätten mit dem 3-fachen ihres normalen Körpergewichtes zu kämpfen. Immerhin nur für 22 Minuten und 30 Sekunden. Auf einer 15-Minuten-Fahrt, 3 mal so schnell wie das Raumschiff, entspricht die Fliehkraft dem 9-fachen der Schwerkraft. Der Zug würde also immernoch mit dem 8-fachen der normalen Schwerkraft an die Decke gepresst. Auch wenn die Fahrt nur 15 Minuten dauert, würden diese Tortur wohl nur wenige Passagiere überleben, wenn überhaupt welche.

In diesem Sinne: Kommt man schneller ans andere Ende der Welt als ein Raumschiff? Ja. Aber auch das hat seine Grenzen.

P.S.: Ich weiß schon. Ich habe kein Wort davon geschrieben, wie man den Zug beschleunigt oder abbremst. Natürlich wären die Kräfte dabei viel größer und die Fahrt wäre insgesamt langsamer. Man könnte niemals das andere Ende der Welt in den Zeiten erreichen, die hier in dem Blog stehen. Aber darum ging es nicht. Es ging um Fliehkräfte und darum, warum Raumschiffe nicht schneller um die Erde fliegen können.

P.P.S.: Wem meine Postings gefallen oder glaubt, sie könnten besser werden: Bitte schreibt es in den Kommentaren, sagt es weiter und/oder schaut euch mal den Flattr-Button an. Alles wäre hilfreich.

Kommentare (26)

  1. #1 Turi
    4. Mai 2015

    Die Postings in diesem Blog erinnern mich ein wenig an die What IF Serie von XKCD, nur mit, bisher, weniger zerstörten Planeten. Ich finde das toll, die Beiträge sind gut zu lesen und sehr informativ. Weiter so :)

    • #2 wasgeht
      4. Mai 2015

      Danke. :)

      Das ganz genau Konzept von dem Blog kenne ich auch noch nicht, es entsteht gerade und du hast etwas dabei mitgeholfen. :)

  2. #3 schlappohr
    4. Mai 2015

    (Im Absatz mit der SR71 fehlt am Ende etwas.)

    Du gehst von einer gebogenen Bahn aus. Man könnte sich vielleicht auch eine abschnittsweise gerade Bahn vorstellen, wobei an den Übergangsstellen abgebremst und neu beschleunigt wird. Die Frage ist, ob im Durchschnitt eine höhere Geschwindigkeit herauskommt.
    Ich stelle mir allerdings gerade die Frage, wie eine Bahn durch das Gravitationsfeld eines Planeten aussehen müsste, sodass beim durchfliegen mit einer bestimmten Geschwindigkeit keine Kräfte wirken. Gibt es so etwas?

    • #4 wasgeht
      4. Mai 2015

      Der Absatz ist ergänzt. Da war ich mit den Gedanken schon weiter als ich hätte sein sollen.

      Die Bahnen, auf denen man das Gravitationsfeld eines Körpers ohne Kräfte durchfliegt, gibt es. Es sind genau die Bahnen, auf denen sich Monde, Satelliten, Kometen und alles andere bewegt, das keinen Antrieb hat. Genau genommen sind es die Kegelschnitte: https://de.wikipedia.org/wiki/Kegelschnitt

      Das können Ellipsen und Kreise sein, oder Hyperbeln (wenn das Raumschiff zu schnell fliegt).

      Wer jetzt anmerkt, dass die Bahnen wegen der allgemeinen Relativitätstheorie gar keine echte Ellipsen und Hyperbeln sind, hat vollkommen recht, aber die Spielregeln nicht verstanden. ;)

      Abschnittsweise gerade Bahnen kann es nicht geben, ohne dass man ständig mit den Triebwerken gegen die Gravitation gegenhält. In der Himmelsmechanik sind krumme Bahnen nunmal die natürlicheren. Und tatsächlich könnte man zwei Bahnen finden die sich schneiden und zusammen schneller sind. Zum Beispiel der erdnächste Punkt von zwei Hyperbeln oder langgestreckten Ellipsen. Das Problem liegt im Übergang zwischen den beiden. Das Bremsen und Beschleunigen versaut einem hier die Bilanz. Die Kreisbahn, bei der man das Raumschiff mit den Triebwerken auf der Bahn hält, kann auf jeden Fall schneller sein als das – zumal es dir ja offensichtlich nicht auf die Optimierung des Treibstoffverbrauchs ankommt. ;)

      Ganz abgesehen davon: Ich bin kein Himmelsmechaniker. Frag doch den Florian. :)

  3. #5 pelau
    4. Mai 2015

    Dann wäre da noch der senkrechte Schacht durch den Erdmittelpunkt…

    • #6 wasgeht
      4. Mai 2015

      Ja, aber ein Loch durch die Erde zu bohren ist deutlich schwerer, als einen Zug zu bauen der in einer Röhre oder einem Tunnel um die Erde fährt. Vor allem wäre letzteres mit der Technik die wir haben wenigsten theoretisch Möglich (wenn auch wahnwitzig).

  4. #7 bruno
    4. Mai 2015

    …ich finde den blog gut. interessante themen und gut lesbar geschrieben. grosses lob von mir!
    …(aber) schauen wir mal in 5-6 jahren, die “latte” liegt recht hoch ;)

    • #8 wasgeht
      4. Mai 2015

      In der Tat. Die Latte liegt ganz da oben und ich bin ganz hier unten …

      Die meisten Leute, die so einen Blog längere Zeit schreiben sagen, dass die Themen von allein kommen. Scheinbar geht das. Es könnte also sein, dass die ultimative Frage von “Was geht?” sein wird, ob ich so einen Blog schreiben kann. :)

  5. #9 Hobbes
    4. Mai 2015

    Mir gefällt der Blog auch sehr gut, viele interessante Gedankengänge. Man könnte ja auch noch überlegen wie weit man das Spiel mit Druckanzügen treiben könnte.

    “Es ging um Fliehkräfte und darum, warum Raumschiffe nicht schneller um die Erde fliegen können.”
    Ganz streng genommen passt das ja auch nur bedingt. Jede Kreisbewegung ist ja eine Beschleunigung. ;-)

  6. #10 bruno
    4. Mai 2015

    ….wenn dir bei “was geht?” die themen ausgehen machst du einfach einen neuen blog mit “passt schon!” … :)

    • #11 wasgeht
      4. Mai 2015

      Werd den Vorschlag mal im Hinterkopf behalten. :)

  7. #12 bruno
    4. Mai 2015

    …ausserdem finde ich dich definitiv nicht “ganz unten”, war ja auch die aussage. ich finde dich ganz weit oben. die frage ist halt, ob du (auf dauer) auch dort bleibst…
    ich würde es mir (und dir) so wünschen!

  8. #13 A-P-O
    4. Mai 2015

    Mir gefällt der neue Blog. Frisch, eine Bereicherung.
    Weiter so!

  9. #14 PDP10
    4. Mai 2015

    @wasgeht:

    “Es könnte also sein, dass die ultimative Frage von “Was geht?” sein wird, ob ich so einen Blog schreiben kann. :) “

    Nö. Dass du das kannst, hast du inzwischen hinreichend bewiesen.

    Natürlich ist das nur meine bescheidene Meinung als äusserst kompetenter und erfahrener (hier noch mehr beliebige Superlative einsetzen) Wissenschaftsblogleser, der die meisten (aber nicht alle) deiner Beiträge hier gelesen hat. … ;-)

    Weiter so bitte.

    PS: Nein im Ernst:

    1. Es ist wirklich nicht nötig, die Schreibfrequenz eines Florian Freistetters zu toppen. ;-)

    2. Deine Artikel sind wirklich interessant und können gut für sich stehen.

    • #15 wasgeht
      4. Mai 2015

      Naja. Ich blicke so in die Zukunft und daran denke, dass ich davon möglichst bald leben möchte (um nicht zu sagen: muss). Deswegen ist Punkt 1 vielleicht nicht notwendig, aber möglichweise wäre ein gleichziehen hilfreich.

  10. #16 PDP10
    4. Mai 2015

    @wasgeht:

    “Naja. Ich blicke so in die Zukunft und daran denke, dass ich davon möglichst bald leben möchte (um nicht zu sagen: muss).”

    Öhm … ich möchte nicht despektierlich sein, aber ich glaube, dass kannst du knicken …

    Florian hat da schon so einiges drüber geschrieben. Der lebt auch nicht vom Bloggen, sondern von den Büchern die er schreibt und den Vorträgen, die er hält usw.

    Ich wünsche dir trotzdem viel Glück – nicht zuletzt, weil mir dein Blog bis hier her sehr gut gefällt!

    • #17 wasgeht
      4. Mai 2015

      Es geht nicht ums bloggen, sondern ums schreiben. In dem Fall: Für jemanden schreiben. So habe ich wenigstens etwas vorzuweisen, was ich bisher noch nicht hatte.

      So ein Blog schreibt sich im Prinzip von allein, wenn man motiviert ist. Aber Motivation kommt nicht vom schreiben, sondern vom Lesen – vom Lesen der Leser.

      In der letzten Woche hatte dieser Blog halb so viele pageviews wie mein letzter Blog in 4 Jahren hatte. Entsprechend sah es früher mit der Motivation aus und entsprechend sahen es auch Leute, denen ich das alte Blog als Referenz vorlegte.

      Also sagen wir mal: Jetzt ist in fast jeder Hinsicht alles anders.

  11. #18 PDP10
    4. Mai 2015

    “Es geht nicht ums bloggen, sondern ums schreiben. In dem Fall: Für jemanden schreiben. So habe ich wenigstens etwas vorzuweisen, was ich bisher noch nicht hatte. “

    Ah, ok. Verstehe …

    “In der letzten Woche hatte dieser Blog halb so viele pageviews wie mein letzter Blog in 4 Jahren hatte. “

    Das ist allerdings ein Argument :-)

    Also viel Erfolg, bei was immer du auch vor hast und ich hoffe, wir lesen trotzdem hier noch oft von dir, egal, was dann demnächst passiert :-)

  12. #19 Kosta(s)
    5. Mai 2015

    wenn wir schon in der Theorie leben kannst ja die Schwerkraft erhöhen :) so könnte man schneller fahren.

    Als ich klein war hab ich bei “was ist was” gelesen das wenn man auf einem Neutrinostern(?!) ist theoretisch sein Hinterkopf sehen kann weil die Anziehung das Licht um den Stern fliegt.
    Wie plausibel das ist mag ich nicht beurteilen, aber mit 7-8 Jahren fand ich das extrem cool.

    • #20 wasgeht
      5. Mai 2015

      Der Witz bei solchen Diskussionen ist, dass man möglichst immer nur einzelne Elemente aus der Realität heraus nimmt und dann nach und nach wieder hinzu fügt. (Wie z.B. die Coriolis-Kraft) Wenn man stattdessen immer mehr hinaus nimmt, kommt man mit beliebiger Geschwindigkeit in Teufels Küche. Ich kann den Drang dazu aber gut nachvollziehen. :)

  13. #21 Christian
    5. Mai 2015

    Ist das andere Ende der Welt (= Erde) nicht… hinter einem? ;-)

  14. #22 MartinB
    5. Mai 2015

    Was passiert denn mit deinem Zug auf Grund der Coriolis-Kraft? Die dürfte auch ziemlich heftig werden, wenn du nicht genau am Äquator fährst…

  15. #23 UMa
    5. Mai 2015

    “Wenn man mit dieser Geschwindigkeit um eine Kurve mit einem Radius von 6400km fliegt (das Flugzeug ist etwas tiefer), dann erlebt man eine Fliehkraft von 0,016g. Eine Waage die im Flugzeug vor dem Start noch 100kg angezeigt hat, hätte im Flug mit dieser Geschwindigkeit also 99,84kg angezeigt. Das ist messbar, aber kaum spürbar. Die Geschwindigkeit geht aber mit dem Quadrat der Geschwindigkeit in die Rechnung ein. In einem vier mal so schnellen Flugzeug wäre der Effekt also 16 mal so groß. Und schon würde die Waage im Flug nicht mehr 99,84kg anzeigen, sondern 74,5 kg!”
    Das stimmt was nicht. Bei 0,016g weniger als 1g, wiegen 100kg nur noch so viel wie 98,4 kg

    • #24 wasgeht
      5. Mai 2015

      Ich und Kommastellen. Eine lange Geschichte.

  16. […] Zu guter Letzt gab es noch Artikel, die hier nirgends rein passen. Der Artikel über die Hyperloop zum Beispiel, in dem steht, warum das gar keine so gewagte Idee ist. Nun ist Hyperloop ganz schön schnell, aber wie schnell geht es überhaupt, wenn man einen Menschen wohl behalten von auf der Erde von A nach B bringen will? Das habe ich auch mal diskutiert. […]

  17. […] konnte. Diese Zeit kann mit normalen Raketen nicht beliebig kurz sein, wie ich schon einmal hier erklärt habe. Aber wenn man ein Raketentriebwerk mit einem sehr effizienten Treibstoff hätte, dann wäre […]