Der Motorblock des Motors mit dem der “Flyer” betrieben wurde, bestand aus Aluminium. Nur so konnte ein Motor dieser Zeit die nötige Leistung bei geringem Gewicht erbringen. Auch 1903 noch kein billiges Unterfangen, aber mit Sicherheit hätten auch die Gebrüder Wright davon abstand genommen, wenn sie allein das Material für den Motorblock mit Silber hätten aufwiegen müssen.

Und so ist es mit jeder Erfindung der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Neue Möglichkeiten entstehen, treten ein in die Realität der Welt und bilden die Grundlage für das Denken an neue Möglichkeiten. Ohne Dynamo kein Strom, ohne Strom kein Aluminium, ohne Verbrennungsmotor und Aluminium kein Flugzeug.

Wright_brothers_patent_plans_1908

(Quelle: wikipedia)

Aber was war das für ein Flugzeug, der “Flyer”? Ein richtig schlechtes Flugzeug. Instabil, leistungsschwach, unsicher, kurz: lächerlich.

Aerodynamik und Kontrolle von Flugzeugen mussten erst noch wirklich entwickelt werden, nachdem die ersten Flugzeuge gebaut wurden. Das ist der Grund für den schnellen Fortschritt der Technik in den nächsten 10 Jahren. Auch ganz ohne die militärische Unterstützung im 1. Weltkrieg wurden die ersten modernen Flugzeuge aus den Erkenntnissen der Praxis heraus gebaut. Ohne funktionierende Flugzeuge, nur auf Grundlage der reinen Theorie, hätte man diese Erkenntnisse wohl niemals gewonnen.

Es brauchte erst einmal ein wirklich schlechtes Flugzeug, um zu wissen, wie man etwas bessere Flugzeuge baut.

Mich erinnert die Geschichte an den Fusionsreaktor ITER. Er wird supraleitende Magnete verwenden, deren Stärke noch vor 20 Jahren kaum machbar war. Er wird groß sein, teuer, instabil und richtig schlecht. Aber wenn erst einmal der erste selbst erhaltende Fusionsreaktion läuft und man sieht, wie genau sich das Plasma verhält und welche Schwachstellen der Entwurf hat, wird man einen weniger schlechten Fusionsreaktor bauen können. Schon jetzt ist die Materialforschung weiter fortgeschritten, als beim Entwurf von ITER. Es werden dann genauso starke oder noch stärkere Magnete zu viel niedrigeren Preisen zur Verfügung stehen.

Bevor man einen weniger schlechten Reaktor bauen kann, braucht es erst einmal einen richtig schlechten. Aber wer will schon Geld für etwas ausgeben, bei dem von Anfang an fest steht, dass es schlecht sein wird?

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Kommentare (6)

  1. #1 bazille2003
    Wien
    11. Mai 2015

    Jeder ihrer Beiträge ist interessant, nur woher nehmen Sie die Zeit dafür, man kommt ja fast nicht mit dem lesen nach ;)

  2. #2 A-P-O
    11. Mai 2015

    Ich muss dem Vorposter zustimmen: sehr guter Schreibstil, alles wunderbar erklärt und sehr interessante Themen.

    Weiter so, und ich komme mit dem Lesen schon nach … :)

  3. #3 JoselB
    11. Mai 2015

    Ein Lehrer von mir hatte an seinem Pult in etwa diesen Spruch stehen:

    Fortschritt entwickelt sich immer vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen.

    Passt hier ziemlich gut. Auch wenn “einfach” relativ ist…

    • #4 wasgeht
      11. Mai 2015

      Stimmt auch. Kompliziert ist immer erstmal einfacher, als es einfach einfach zu machen. Wenn du noch ein Beispiel für diese Tatsache brauchst, dann nimm den letzten Satz.

  4. #5 Alderamin
    14. Mai 2015

    Stellen wir uns vor, die Gebrüder Wright hätten 1853 versucht, ein Flugzeug zu bauen. Was hätten sie tun können? Zur damaligen Zeit war die Dampfmaschine die Spitze der Technik. […] Der Versuch eine umgebaute Dampflok dauerhaft in die Luft zu befördern, ist wenig erfolgversprechend.

    Rein hypothetisch hätte man damals aus Holz einen Segelflieger bauen und mit einer Dampfmaschine am Schleppseil hochziehen können. Da man, wie Du sagst, allerdings noch wenig Ahnung von Aerodynamik hatte, wäre das wohl verwegen gewesen. Aber witziger Gedanke, was gegangen wäre (und was vielleicht heute schon ginge, und nur das Know-How noch nicht da ist).

    • #6 wasgeht
      14. Mai 2015

      Irgendwann hätte man wohl auch Otto Lilienthals Konstruktionen so in die Luft gezogen. Aber wie du schon sagst, es wäre verwegen gewesen und es sind bis dahin schon einige Leute bei solchen Experimenten gestorben.