Dieses mal soll es eher um ein “Was ging” gehen. Das erste Flugzeug flog 1903, viel eher wäre es nicht gegangen. Warum?
Das wichtigste Teil eines Flugzeugs, ist der Motor. Wenn der Motor genug Leistung liefert, kann alles fliegen, auch wenn die Aerodynamik nicht optimal ist. “Genug Leistung” heißt hier, genug Leistung für das fette Ding, das in die Luft soll.
Stellen wir uns vor, die Gebrüder Wright hätten 1853 versucht, ein Flugzeug zu bauen. Was hätten sie tun können? Zur damaligen Zeit war die Dampfmaschine die Spitze der Technik. Erst 1863 wurde der Bau der Pacific Railroad begonnen und 1872/3 kam die erste große Pleitewelle der Eisenbahngesellschaften.
Der Versuch eine umgebaute Dampflok dauerhaft in die Luft zu befördern, ist wenig erfolgversprechend. Es braucht einen kleinen, leichten Motor, der trotzdem noch viel Leistung hat. Verbrennungsmotoren können viel kompakter gebaut werden und haben bei gleichem Gewicht eine viel größere Leistung als Dampfmaschinen. Aber erst 1886 waren sie ausreichend entwickelt, um auch nur das erste Automobil mit Verbrennungsmotor zu bauen. Zum Flugzeugmotor ist es da noch ein weiter Weg. Es ist erstaunlich, dass es danach nur noch 17 Jahre bis zum ersten Flugzeug brauchte. Bevor es dazu kam, brauchte es noch etwas ganz anderes.
(Quelle: wikipedia)
1884 wurde in den USA das Washington Monument fertig gestellt. Was hat ein Denkmal für den ersten Präsidenten der USA mit dem ersten Flugzeug zu tun? Nicht viel. Aber die Spitze des Denkmals bestand nicht aus Stein. Sie sollte etwas besonderes sein. Sie besteht auch nicht aus Gold oder Silber. Nein, die Spitze sollte aus etwas wirklich neuem, wertvollem bestehen: Aluminium.
Das ist kein Scherz. Zur damaligen Zeit war Aluminium eine schwer herzustellende Substanz, deren Herstellung Aluminium zu einem teureren Metall als Silber machte. Das änderte sich zwei Jahre später. 1886, im gleichen Jahr als auch das erste Auto gebaut wurde. Wie es oft passiert, lag die Erfindung in der Luft. Zeitgleich wurde der gleiche Prozess in Frankreich und den USA erfunden. Die Amerikanerin Julia Brainerd Hall assistierte ihren Bruder Charles Martin Hall bei der Entwicklung, während ihn in Frankreich Paul Heroult entwickelte.
Der Hall-Heroult Prozess wird, mit einigen Verbesserungen, bis heute verwendet. Charles Martin Hall gründete eine Firma deren erste Anlage 1888 fertig gestellt wurde. Die Firma ist heute unter dem Namen Alcoa bekannt. Der Hall-Heroult Prozess besteht darin, das Bauxit zunächst in einer Cryolith-Schmelze aufzulösen. Die braucht vergleichsweise bescheidene 1000 Grad um zu schmelzen. Das Aluminium wird dann aus der Schmelze durch Elektrolyse gewonnen.
(Quelle: wikipedia)
Die Elektrolyse großer Mengen eines derart leichten Stoffs wie Aluminium braucht große Mengen Strom. Mit Katzenfellen und Batterien wird man da nicht weit kommen. Man braucht einen Generator. Die ersten praktisch einsetzbaren Dynamos wurden aber erst 1866 ebenso fast zeitgleich von Wheatstone, Siemens und Varley erfunden und patentiert. Ohne eine Methode große Mengen elektrischen Strom herzustellen, hat sich auch niemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie man wohl mit Hilfe von Elektrolyse Aluminium herstellen könnte. Deswegen ist es kein Wunder, wenn neue Verfahren Schritt für Schritt fast gleichzeitig von mehreren Leuten unabhängig entdeckt werden.
Nun haben wir also Generatoren. Aber Generatoren müssen von etwas angetrieben werden. Das erste “Wasserkraftwerk” überhaupt wurde für Craigside House gebaut – ein Anwesen in England, das 1878 zum ersten elektrisch beleuchteten Haus der Welt wurde. Der Besitzer wusste wie er seine Gäste mit einigen Lichtbogenlampen beeindrucken konnte. (Ein viel zu langweiliger Name für etwas, das man genausogut als Plasmalampe bezeichnen könnte!) Elektrischer Strom mit großer Leistung wurde erst in diesen Jahren zu etwas real verfügbaren.
Cragside House (Britannica 1911)
Aber wieso das ganze Gerede über Strom, Dynamos, Wasserkraftwerke und Aluminium?
Der Motorblock des Motors mit dem der “Flyer” betrieben wurde, bestand aus Aluminium. Nur so konnte ein Motor dieser Zeit die nötige Leistung bei geringem Gewicht erbringen. Auch 1903 noch kein billiges Unterfangen, aber mit Sicherheit hätten auch die Gebrüder Wright davon abstand genommen, wenn sie allein das Material für den Motorblock mit Silber hätten aufwiegen müssen.
Und so ist es mit jeder Erfindung der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Neue Möglichkeiten entstehen, treten ein in die Realität der Welt und bilden die Grundlage für das Denken an neue Möglichkeiten. Ohne Dynamo kein Strom, ohne Strom kein Aluminium, ohne Verbrennungsmotor und Aluminium kein Flugzeug.
(Quelle: wikipedia)
Aber was war das für ein Flugzeug, der “Flyer”? Ein richtig schlechtes Flugzeug. Instabil, leistungsschwach, unsicher, kurz: lächerlich.
Aerodynamik und Kontrolle von Flugzeugen mussten erst noch wirklich entwickelt werden, nachdem die ersten Flugzeuge gebaut wurden. Das ist der Grund für den schnellen Fortschritt der Technik in den nächsten 10 Jahren. Auch ganz ohne die militärische Unterstützung im 1. Weltkrieg wurden die ersten modernen Flugzeuge aus den Erkenntnissen der Praxis heraus gebaut. Ohne funktionierende Flugzeuge, nur auf Grundlage der reinen Theorie, hätte man diese Erkenntnisse wohl niemals gewonnen.
Es brauchte erst einmal ein wirklich schlechtes Flugzeug, um zu wissen, wie man etwas bessere Flugzeuge baut.
Mich erinnert die Geschichte an den Fusionsreaktor ITER. Er wird supraleitende Magnete verwenden, deren Stärke noch vor 20 Jahren kaum machbar war. Er wird groß sein, teuer, instabil und richtig schlecht. Aber wenn erst einmal der erste selbst erhaltende Fusionsreaktion läuft und man sieht, wie genau sich das Plasma verhält und welche Schwachstellen der Entwurf hat, wird man einen weniger schlechten Fusionsreaktor bauen können. Schon jetzt ist die Materialforschung weiter fortgeschritten, als beim Entwurf von ITER. Es werden dann genauso starke oder noch stärkere Magnete zu viel niedrigeren Preisen zur Verfügung stehen.
Bevor man einen weniger schlechten Reaktor bauen kann, braucht es erst einmal einen richtig schlechten. Aber wer will schon Geld für etwas ausgeben, bei dem von Anfang an fest steht, dass es schlecht sein wird?
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