Warum zerlegen sich Raketen auf dem Weg zum Weltraum selbst und was bringt das?

Erinnern wir uns noch einmal an den Beitrag “Was geht mit Raketen”. Wir hatten die Raketengleichung hergeleitet und können jetzt jederzeit ausrechnen, wie schnell eine Rakete im Idealfall werden würde, wenn wir ihre technischen Daten kennen. Hier sind ein paar technische Daten einer Rakete:

Die Rakete 1 wiegt ohne Nutzlast 100t. Leer wiegt sie 16t. Sie trägt noch eine Nutzlast von 5t. Das Masseverhältnis beträgt damit genau 5. Wenn wir uns an den letzten Artikel erinnern, ist das eine richtig schlechte Rakete. Ihre Endgeschwindigkeit wird nur 1,6 mal so schnell ein, wie die Ausströmgeschwindigkeit ihrer Triebwerke.

Erinnern wir uns. Unsere Bierdosenrakete vom letzten Mal hatte eine Leermasse von 3,2% der Gesamtmasse, anstatt der 16% von unserer Rakete 1!

Also, lassen wir unsere Ingenieure nochmal ran und sagen ihnen, sie sollen uns eine bessere Rakete bauen. Nämlich, Rakete 2! Rakete 2 ist viel besser. Sie wiegt nur noch 3,2 Tonnen. Anstatt von 5t Nutzlast, kann diese Rakete 17,8t auf die gleiche Geschwindigkeit bringen! Na also, kaum sagt man den Ingenieuren, dass sie eine ordentliche Rakete bauen sollen, schon läuft die Sache.

Natürlich habe ich den Ingenieuren gerade unrecht getan. Denn ich habe eine winzige Kleinigkeit unterschlagen. Die Rakete 1 ist in Wirklichkeit gar keine 100-Tonnen-Rakete, sondern unsere 500-Tonnen-Bierdosenrakete. Aber genau hier ist der Grund, weshalb die Bierdosenrakete so eine schlechte Rakete ist. Natürlich ist sie beim Start eine wirklich tolle Rakete die fast nur aus Treibstoff besteht. Aber sobald sie die ersten 400 Tonnen Treibstoff verbraucht hat, sieht es eigentlich ziemlich traurig aus.

Die 84 Tonnen Treibstoff, die jetzt noch übrig sind, reichen immerhin aus um die 21 Tonnen von Rakete und Nutzlast um 4,828 km/s zu beschleunigen. Aber es ist doch extrem ärgerlich, dass der größte Teil davon aus dem Blech und den Triebwerken der Rakete besteht.

Zweite Stufe

Der gängige Trick um aus der schlechten Rakete eine gute Rakete zu machen, ist hinlänglich bekannt. Anstatt weiter mit der schlechten Rakete 1 zu fliegen, setzt man einfach die gute Rakete 2 auf die Spitze der Rakete 1 und fliegt damit weiter.

Eine suboptimale Möglichkeit, die sich aber schön rechnen lässt, sieht für unsere 500-Tonnen-Rakete konkret so aus:

Wir lassen die ganze Rakete wieder 505t wiegen, so wie unsere 1-stufige Bierdosenrakete. Wieviel davon Nutzlast ist, lassen wir offen. Weil die alte Rakete ziemlich mies aussah, nachdem sie 400t Treibstoff verbrannt hat, machen wir die Tanks einfach nicht ganz voll. Statt 484t Treibstoff, kommen nur 400t in die Rakete. Es ist nun immernoch die gleiche Rakete, deswegen wiegt sie leer immernoch 16t.

Insgesamt soll die Rakete 505t wiegen, es sind also noch 89t übrig und diese 89t müssen wir nun auf Treibstoff, Raketenstufe und Nutzlast verteilen. Eines wissen wir aus dem Beispiel von oben. Das Masseverhältnis muss wieder den Wert 5 haben. Raketenstufe und Nutzlast dürfen zusammen also nur 17,8 Tonnen wiegen, damit die Stufe 71,2 Tonnen Treibstoff aufnehmen kann.

Nun wiegen kleine Raketenstufen meistens mehr als große Stufen, im Verhältnis zu ihrer Treibstoffladung. Aber selbst wenn die zweite Stufe ein Leergewicht von 5t hat, bleiben noch immer 12,8t als Nutzlast übrig. Mehr als doppelt so viel, wie ohne die zweite Stufe. Wer Spaß am Lösen von Gleichungssystemen hat, kann mit der Optimierung der richtigen Masse Raketenstufen sehr viel Spaß haben. Leider habe ich dabei noch nie viel Spaß empfunden.

Man kann allerdings einiges in unserem Modell sehen. Wenn man in der zweiten Stufe eine Tonne mehr Gewicht braucht, dann hat man eine Tonne weniger Nutzlast. Wenn man in der ersten Stufe eine Tonne einspart, dann fällt einem das gleiche Prinzip auf die Füße, das die Stufentrennung erst so praktisch macht. Das Leergewicht der ersten Stufe hat keinen so großen Einfluss mehr auf die Nutzlast.

Der obere Teil der Rakete, zweite Stufe und Nutzlast, macht nur ein Fünftel der Startmasse aus. Deswegen bleibt von der Einsparung in der ersten Stufe am Ende nur noch ein Fünftel übrig.

Und nun?

Nun kann man sich Gedanken machen, wo man vorzugsweise Gewicht einsparen kann und wo sich der Einsatz der teuersten Technik lohnt. Das Space Shuttle ist da ein absolutes Negativbeispiel. Die vergleichsweise billigen und schweren Feststoffbooster sind dort die erste Stufe. Der große Wasserstofftank und das Space Shuttle selbst sind die zweite Stufe.

Nun hat man geglaubt Geld einsparen zu können, indem man das Space Shuttle landet und wieder verwendet. Die Fähigkeit das zu tun, kostet unglaublich viel Masse. Das Shuttle wog 80 Tonnen und der Treibstofftank schlug nochmal mit 26,5 bis 35 Tonnen zu Buche. (Im Lauf der Zeit wurden die Tanks immer leichter … und teurer.) Die Nutzlast des Shuttles war aber nur etwa 24 Tonnen, bei einer Startmasse von 2000 Tonnen. Eine normale Rakete dieser Größe hätte wenigstens 80 Tonnen Nutzlast gehabt. Das war nicht das einzige Problem, aber eines der wichtigsten.

Wenn man aus einer Rakete durch bessere Triebwerke mehr Nutzlast heraus holen will, dann ist auch dort, die oberste Stufe die erste Wahl. Um so kleiner die Raketenstufe, um so billiger ist meistens das Triebwerk und der Tank. Die Technik der Wasserstofftriebwerke ist im allgemeinen die teuerste. Die Ariane 4 Rakete war ein gutes Beispiel dafür. Die erste und zweite Stufe hatten kostengünstige Hydrazin Triebwerke, nur die dritte Stufe war von Anfang an ein Wasserstofftriebwerk.

Die Ariane 5 bestand am Anfang aus Feststoffboostern in der ersten Stufe, einem Wasserstofftriebwerk in der zweiten Stufe und einem einfachen Hydrazintriebwerk in der dritten Stufe. Diese Kombination war so unsäglich schlecht, dass man bald danach eine neue Oberstufe auf Basis des veralteten Triebwerks der Ariane 4 für die Ariane 5 baute. Die Nutzlast stieg dabei um 50%. Ein besseres Triebwerk für die Oberstufe ist seit über 10 Jahren in Planung und wird nun für die Ariane 6 hoffentlich gebaut.

Demnächst habe ich vor, einige Raketen etwas detaillierter zu beschreiben. Wünsche bitte in die Kommentare, sonst seit ihr dem ausgeliefert, was mir gerade in den Sinn kommt.

Kommentare (10)

  1. #1 A-P-O
    13. Mai 2015

    Im sechsten Absatz fehlt ein ²: “um 4,828 km/s² zu beschleunigen”.

    Diesen Satz habe ich nicht ganz verstanden:
    “Die Rakete 1 wiegt ohne Nutzlast 100t. Leer wiegt sie 16t. ”
    Ist “ohne Nutzlast” “leer”?

    • #2 wasgeht
      13. Mai 2015

      … und ich hab mir noch gedacht, “ob die Formulierung nicht zu Missverständlich ist” …

      Leer heißt hier, ohne Treibstoff und ohne Nutzlast.

  2. #3 MG
    13. Mai 2015

    Wie siehts aus mit Vega oder Atlas V?

    Und was mich am Space Shuttle mal interessieren würde: Wie genau funktioniert das da mit dem Treibstofftransfer vom großen Tank in die Triebwerke? Schließlich muss man da doch Tonnenweise Treibstoff am Hitzeschild vorbei (oder hindurch?) pumpen.

    • #4 wasgeht
      13. Mai 2015

      Vega kommt auf jeden Fall zusammen mit der Ariane 6 und die Atlas V auch. Ich werde versuchen, die recht bald zu besprechen.

      Was das Shuttle angeht, es geht “durch” den Hitzeschild hindurch. Die Öffnungen wurden anschließend mit (sehr hitzeresistenten) Platten aus Beryllium verschlossen. In der letzten Zeichnung hier (“aft fuselage structure”):
      https://www.worldspaceflight.com/addendum/us_rockets/sts.php

      Steht unten links “umbilical doors” – das sind die Klappen, die die Öffnung verschließen. Eine ist für Sauerstoff zuständig, die andere für Wasserstoff.

      P.S.: Wenn man “um eine Geschwindigkeit” beschleunigt, braucht man kein Quadrat. Man beschleunigt ja auch von 50km/h um 50km/h auf 100km/h.

  3. #5 ThomasG
    14. Mai 2015

    Meiner Meinung nach sollte die Saturn V auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Ist ja meines Wissens immer noch die stärkste Rakete überhaupt.
    Außerdem wäre auch etwas über das aktuelle Modell der USA interessant, der Delta IV Heavy. Für mich wohl die asthetischte aller Raketen und von der Leistung her wohl auch nicht ohne. :-)

    • #6 wasgeht
      14. Mai 2015

      Alles Geschmackssache. :)

      Das Problem mit der Delta IV Heavy ist, dass sie auch die mit Abstand teuerste Rakete ist. Sie soll in den 2020er Jahren zusammen mit der Atlas V durch eine Rakete namens Vulcan abgelöst werden.

  4. […] Nun möchte man sich als Kosmonaut nicht in eine 1,3t schwere Kapsel zwängen, wenn noch nie jemand so etwas für einen Menschen gebaut hat. Aber ein Mensch sollte mit der Rakete fliegen und die Raumkapsel war natürlich schwerer als das. Die Rakete brauchte mehr Nutzlast und wir alle wissen, wie das geht. Raketen sind stufenlos unglücklich. […]

  5. #8 Alderamin
    15. Mai 2015

    @Frank

    Die SLS (in der Endkonfiguration, Block II, oder wie das heißt) und die Falcon Heavy im Vergleich (auch zur schon gewünschten Saturn V) wären interessant, die konkurrieren doch um den Mars.

    • #9 wasgeht
      15. Mai 2015

      Kommt auf die immer länger werdende Liste.

  6. […] will, dann wird man auf die eine oder andere Weise mehr Gewicht brauchen als sonst. Wer meinen Artikel über Raketenstufen gelesen hat, weiß wo man das am besten tun sollte. Nämlich möglichst weit unten. Zusätzliches […]