Als Jules Verne 1865 seinen Roman “de la terre a la lune” (“Von der Erde zum Mond”) veröffentlichte, war die von ihm gewählte Methode für die Reise recht … nunja, robust. Die Passagiere sollten sich in das Projektil einer Kanone zwängen. Realistisch ist das nicht wirklich, aber die Idee hat sich gehalten. Auch die berühmteste Invasion der Erde vom Mars, der Krieg der Welten, wurde mit einer Kanone durchgeführt.

Genau 100 Jahre später gab es tatsächlich ein Projekt namens HARP und es gab eine Reihe von Kanonen die Projektile ins Weltall schossen. Zumindest über die offizielle Grenze zum Weltall, in 100km Höhe. Das ganze sah recht spektakulär aus:
Project_Harp

Gerald Bull, dessen Idee das Projekt war, hatte dabei wirklich Glück gehabt. Der zweite Weltkrieg war vorbei und hat endgültig bewiesen, dass Schlachtschiffe mit großen, dicken Kanonen in einem modernen Krieg nichts mehr zu suchen haben. Für Bull hatte das den Vorteil, dass es reichlich große, dicke Kanonen gab.

Leider kann man nur mit einer Kanone nicht wirklich das Weltall erreichen. Die Projektile erreichten beim Start eine Geschwindigkeit von 3,6km/s, aber nur eine Höhe von (immerhin!) 180km. Dazu musste der Kanonenlauf verschlossen und der Luftdruck darin auf 0,1 Bar reduziert werden. Und da sehen wir auch schon eines der großen Probleme dieses Vorhabens: Die Luft.  Trotz ihrer aerodynamischen Form verlieren die Geschosse auf dem Weg nach oben fast die Hälfte ihrer Geschwindigkeit, oder drei viertel ihrer Energie durch Reibung an die Atmosphäre.

Eine sehr schöne Erzählung über das gesamte Projekt findet man hier auf Astronautix. Die Geschosse dieser Kanonen sind sehr viel billiger als Höhenforschungsraketen und so findet sich auch ein Paper über die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Forschungsprojekts.

Das Projekt kam aber schon in den 60er Jahren in Finanzierungsschwierigkeiten und wurde schließlich eingestellt. Nicht aber ohne zuvor wenigstens zu versuchen mit der Kanone doch noch einen Satelliten in den Orbit zu bringen. Das klingt zunächst aussichtslos. Das Projektil ist weit davon entfernt die nötige Geschwindigkeit zu erreichen. Aber die Idee war, als Projektil eine Rakete zu verwenden, die dann die restliche Geschwindigkeit aufbringen sollte.

Das erwies sich zumindest als zu schwierig um es in wenigen Jahren umzusetzen, bevor die Finanzierung ausging. Gerald Bull, dessen Idee das ganze Projekt war, arbeitete anschließend weiter an normaler Artillerie. Aber er hat diese Idee nie aufgegeben. Durch seine Arbeit im Militär knüpfte er schließlich Verbindungen und sah 1988 eine Chance sein Projekt doch noch umzusetzen … unter Saddam Hussein im Irak, beim Projekt Babylon.

Der Plan war, eine 156m lange Kanone für 1m Geschosse zu bauen. (Die Kanonen des HARP Projekts hatten ein Kaliber von “nur” 40cm.) Ein Testmodell im Maßstab 1:3 wurde im Irak auch gebaut. Aber 1990 wurde das Projekt eingestellt. Diesmal nicht, weil kein Geld da war, sondern weil sechs sehr kleinkalibrige Geschosse zu viel durch den Kopf von Gerald Bull flogen. Der israelische Geheimdienst Mossad sah in dem Projekt eine Gefahr und ließ Bull ermorden (oder liquidieren oder welchen Euphemismus man auch immer gerade bevorzugt).

Nun liefert uns dieses Beispiel zum einen die offensichtliche Erkenntnis, dass man sich seine Arbeitgeber wirklich gut aussuchen sollte. Man sieht aber auch, dass es wirklich schwer ist, etwas mit einer Kanone ins Weltall zu schießen. Zumindest von der Erde aus. Denn die höchste Geschwindigkeit haben die Geschosse genau dort, wo die Luftreibung am höchsten ist.

Während das also nur sehr schwer geht, könnte man sich auch die Frage stellen: Ist die Idee denn völlig nutzlos? Hier schon. Aber was wäre, wenn wir Jules Verne’s Idee umkehren? “De la lune a la terre” – vom Mond zur Erde?

Ohne die lästige Atmosphäre auf der Erde und mit der viel kleineren Gravitation auf dem Mond, sieht die Idee gleich viel verlockender aus. Der Mond hat eine Fluchtgeschwindigkeit von nur 2,4km/s. Selbst Gerald Bull’s Kanonen aus dem HARP Projekt könnten das ohne Probleme überschreiten. (Ja, ein elektromagnetischer Antrieb ist viel sinnvoller. Aber ich mag die Vorstellung der Kanone auf dem Mond, also macht mir die nicht kaputt!)

Und was ist mit H.G. Wells Marsianern? Nun, ich bezweifle sehr, dass sie den Abschuss aus der Kanone überleben würden. Aber mit einer Fluchtgeschwindigkeit von nur 5km/s und der sehr dünnen Atmosphäre auf dem Mars, könnte man sicherlich auch von dort das Weltall mit einer Kanone erreichen – auch wenn man die Technik noch etwas verbessern müsste, aber mit Leichtgaskanonen ist soetwas durchaus im Bereich des möglichen. Wahrscheinlich würde auch ein Knallgasgemisch als Treibladung für die Kanone funktionieren.

Wir sehen also, die altvorderen hatten Recht. Mit der Kanone ins Weltall zu schießen geht! … Nur leider nicht von der Erde aus und auch nicht mit Menschen an Bord, die dort dann Pfeife rauchend und lächelnd herum stolzieren.

Kommentare (6)

  1. #1 Bern Bertholt
    16. Mai 2015

    “Der israelische Geheimdienst Mossad sah in dem Projekt eine Gefahr und ließ Bull ermorden …”

    Woher wissen Sie das? Oder wollen Sie Israel etwas anhängen?

    • #2 wasgeht
      16. Mai 2015

      Ich habe die Quellen verlinkt.

      Im übrigen würde ich Israel jederzeit den Besitz von Atomwaffen “anhängen”. Das Fehlen oder Vorhandensein des Eingeständnisses eines Geheimdienstes kann kein Kriterium für Glaubwürdigkeit sein.

  2. #3 Chemiker
    16. Mai 2015

    Barbicane und Genossen haben es ja nicht so sehr mit der Physik. Die machen ja sogar während des Fluges die Fenster auf. Um ein Thermometer rauszuwerfen und eine halbe Stunde später wieder reinzuholen, weil sie die Temperatur des Weltalls messen wollen. Das Resultat ist dann −140°C. ☺

  3. #4 Chris Sabian
    16. Mai 2015

    Kann man nicht eine sehr lange Röhre auf einen sehr hohen Berg bauen (geringer Luftdruck in 8000 Meter Höhe) und in dieser Röhre dann mit Magneten und Raketentriebwerken ein Vehikel beschleunigen welches eine entsprechend höhere Nutzlast tragen könnte…?

    • #5 wasgeht
      16. Mai 2015

      Könnte man und man würde auch die halbe Atmosphäre hinter sich lassen … aber eben auch nicht mehr als das. Reibung wäre immernoch ein sehr großes Problem, zumal die Geschwindigkeiten sehr viel höher sein müssten um eine ernsthafte Hilfe darzustellen (womit die Luftreibung dann auch entsprechend höher ist).

      Von der Problematik, dass diese Berge ein ernsthaftes Infrastrukturproblem haben und der lokalen Bevölkerung als heilig gelten einmal ganz abgesehen.

      Dazu kommt noch ein Problem: Die Beschleunigung muss immernoch extrem groß sein um auf ausreichend kurzer Strecke die Geschwindigkeit zu erreichen – oder bei ausreichend hoher Geschwindigkeit die gekrümmte Kurve nach oben zu schaffen. Ein Kurvenradius von 6000km reicht schon für mehr als 1g bei 8km/s. Was wäre der Radius der Bahn, die auf den Berg hoch fährt? Wohl kaum 600km (->10g), sondern eher 60km (-> 100g) oder noch weniger.

  4. #6 Stefan
    17. Mai 2015

    @Bern Bertholt: Bewiesen ist gar nix, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es der Mossad war sehr groß. Und das mein ich gar nicht mal negativ wertend. Also ja, es war Mord. Aber einen Regime, das (und nicht nur dieses eine Regime, sondern ein ganzer Haufen arabischer Länder) immer mit Vernichtung eines Landes gedroht hat, eine solche Waffe zu bauen … das erinnert mich immer an Toreros, die verletzt werden … im Wienerischen gibts dafür die Phrase “Verspü di und verkü di” (Verspiele dich und verkühle dich) oder das berühmte “Rütteln am Watschenbaum” … ;-)