Als die Ariane 4 Rakete durch die viel größere Ariane 5 abgelöst werden sollte, gab es ein Problem. Die neue Rakete war zu groß um einzelne, kleine Satelliten in erdnahe Umlaufbahnen zu bringen. Vorallem der Start von Erdbeobachtungssatelliten die auf Sonnensynchronen Bahnen fliegen, wäre mit eine Ariane 5 viel zu teuer.
Es war nur einer der vielen Nachteile, die das Konzept der Ariane 5 mit sich brachte. Eine Ariane 5 gibt es nur ganz oder gar nicht. Die Ariane 4 flog zwar immer mit den gleichen drei zentralen Stufen, konnte aber je nach Bedarf mit bis zu 4 Boosterraketen fliegen oder auch ganz ohne. Bei Flügen der Ariane 5 ist der Start von zwei Satelliten der absolute Normalfall und auch notwendig um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Diese Möglichkeit hatte man schon bei der Ariane 4 eingeführt, aber dort diente das nur dazu um die Flexibilität des Systems weiter zu erhöhen.
Die Ariane 5 hingegen ist so sehr darauf angewiesen, dass sie durch das gleiche System unflexibel wurde.
Die Rakete
Mit der kleinen Vega Rakete sollte nun eine eigenständige Möglichkeit für die ESA entwickelt werden, wieder halbwegs wirtschaftlich kleine Satelliten zu starten. Das Projekt stand unter Italienischer Führung und resultierte in einer 4-stufigen Rakete mit 3 Feststoffraketenstufen, die 2500kg in einen niedrigen Orbit befördern kann. Sie ist damit vergleichbar mit der Standard Variante des indischen PSLV (Polar Satellite Launch Vehicle) und soll auch eine ähnliche Rolle einnehmen.
(Die Vega Rakete vor dem Start. Quelle. Daneben, das PSLV)
Zumindest für die ESA ist es die erste Rakete, die dabei vollständig auf die etwas leichteren Kohlefasergehäuse setzte. Während das tatsächlich für eine geringere Leermasse sorgt, ändert es nichts an dem eher bescheidenen spezifischen Impuls solcher Triebwerke. Keine der drei Stufen erreicht auch nur 300s bzw. 3km/s. Man sollte auch nicht annehmen, dass die Leermasse nun besonders niedrig wäre. Bei Feststoffraketen besteht die Brennkammer des Triebwerks aus der gesamten Raketenstufe! Die gesamte Stufe muss den hohen Druck bei der Verbrennung des Treibstoffs aushalten und muss entsprechend massiv gebaut sein.
Während die erste Stufe (“P80”) noch eine akzeptable Leermasse von 7,7% der Gesamtmasse hat, sind es bei der zweiten (“Zefiro 23”) schon rund 10% und bei der dritten (“Zefiro 9”) etwa 12%. Kein Vergleich mit den rund 4% bei der Oberstufe der Falcon 9 oder den 5% der ersten Stufe der Titan II Rakete aus den 60er Jahren. Nun wäre eine niedrige Leermasse aber gerade bei den oberen Stufen wünschenswert gewesen.
Weil sich Feststofftriebwerke nicht regeln lassen, musste noch eine vierte Stufe ein Triebwerk mit Flüssigtreibstoff zum Einsatz kommen, um die unvermeidlichen Abweichungen ausgleichen zu können. Dazu entwickelte man nicht etwa eine große, möglichst effiziente Stufe um die Nutzlast im Orbit zu optimieren. Vielmehr kooperierte man mit einem ukrainischen Hersteller, der eine kleine Raketenstufe (AVUM) herstellen sollte, die nicht viel mehr kann als das. Sie besitzt ein druckgefördertes Hydrazin/Stickstofftetroxid Triebwerk, mit einem ebenso bescheidenem spezifischen Impuls von 314s. Diese Stufe wiegt voll betankt knapp 700kg und hat einen Leermasseanteil von über 20%!
Wirtschaftlichkeit
Nun sind solche technischen Daten im Grunde egal. Wenn die Rakete zuverlässig im Orbit ankommt und nicht zu viel gekostet hat, interessiert es niemanden mehr, welche Technik ihr zu dieser Fähigkeit verhalf. Aber genau hier liegt das nächste Problem.
Die Entwicklung der Rakete war trotz der ukrainischen Unterstützung bei der Oberstufe mit 710mio Euro keineswegs billig. (Die ESA sponsort außerdem 5 Entwicklungsflüge und gibt dafür 400mio Euro aus, aber lassen wir das einmal außen vor.) Der Einsatz neuester Materialien hat die Leistung nur marginal verbessert und die Startkosten für kommerzielle Kunden werden mit 32mio Euro pro Flug beziffert. Die indische PSLV kostet nur halb so viel, bei gleicher Leistung und primitiverer Technik. (Darunter eine Kopie des Viking Triebwerks der Ariane 4 in der zweiten Stufe!)
Offensichtlich hat man keine Möglichkeit, die Entwicklungskosten aus dem Verkauf von Raketenstarts zu finanzieren.
Selbst wenn vom Startpreis 50% in die Refinanzierung der Entwicklungskosten flössen, bräuchte es fast 50 Flüge um das zu refinanzieren. Aber defacto kostet die Raketenhardware 25mio Euro und der Rest sind Servicekosten der ESA. Es wird dazu auch aus einem zweiten Grund nicht kommen: Die Ariane 6.
Weiterentwicklung
Die Ariane 6 soll neue, kleinere Booster Raketen bekommen. Diese sollen aus der ersten Stufe der Vega heraus entwickelt werden, aber 50% größer sein. Aus dem P80 Booster der Vega, soll ein P120 werden. (Die Namen gehen auf die Treibstoffmasse zurück. Und zwar die Treibstoffmasse, die Booster mit der gleichen Gesamtmasse hätten, wenn sie aus Stahl bestünden. Ein aus Stahl bestehender Booster mit 80t Treibstoff würde 96t wiegen. Der P80 wiegt ebenso 96t, hat nun aber etwas mehr als 88t Treibstoff. Es ist ein verdammtes Chaos.)
Sobald der P120 für die Ariane 6 fertig entwickelt ist, soll auch die Vega damit fliegen (Vega-C – für “consolidated”, weil dann Vega und Ariane die gleichen Booster benutzen). Erst im Anschluss daran sollen auch noch eine größere Oberstufen entwickelt werden (Vega-E – “enhanced”). Als zweite Stufe soll eine Zefiro 40 entwickelt werden und die dritte und vierte Stufe sollen endlich durch eine einzige, größere Stufe mit Methanantrieb ersetzt werden. Genaue technische Details zu dem Methantriebwerk habe ich zu der noch nicht gefunden. Aber selbst wenn es druckgefördert wäre, hätte es einen deutlich besseren spezifischen Impuls als die bisherige Kombination aus Zefiro 9 und AVUM. Gleichzeitig ist abzusehen, dass eine solche Oberstufe eine viel niedrigere Leermasse hätte.
Das Problem daran? Wir reden von einer Rakete, die nur noch dem Namen nach die gleiche ist. Wenn kein bürokratisches Wunder passiert, werden die Entwicklungskosten für die Vega E wohl nochmal genauso hoch sein, wie die für die Vega heute.
Was geht?
Wenn dieser Blogbeitrag negativ klingt, dann liegt es daran, dass weder Ariane 5 noch Vega ein glänzendes Beispiel für Raumfahrttechnik abgeben. Aber weil das hier “Was Geht” ist und ich trotzdem gerne etwas euphorischer abschließen möchte, zuletzt noch ein Gedankenspiel:
Wenn man schon dabei ist, die Vega E zu entwickeln, dann sollte man noch weiter gehen. Dazu gehen wir einmal zurück in die Geschichte der Entwicklung der Ariane 6.
(Ariane 6 PPH Konzept)
Die Ariane 6 sollte einmal aus 4 Feststoffboostern und einer Wasserstoff-Oberstufe bestehen, wenn auch mit P145 Boostern. Für die neuen Ariane 6 und Vega Varianten sind aber nur P120 vorgesehen. Von dem alten Konzept ist man abgegangen, weil die Rakete so zu unflexibel gewesen wäre. Denn sie sollte nur in exakt dieser Konfiguration starten, maximal die Oberstufe wollte man austauschen.
Für einen Ausbau der Vega könnte das alles aber Sinn machen. Man stellt dem P120 Booster der ersten Stufe der normalen Vega noch zwei P120 Booster zu Seite. Darüber folgen die Zefiro 40, die man den Italienern wohl nicht ausreden können wird, und die Methan Oberstufe.
Für die P120 Booster gibt es noch keine Daten, aber ausgehend vom P80 dürften sie etwa 144t wiegen und 360t Schub haben. Drei diese Booster wiegen also 432 Tonnen. Nehmen wir außerdem an, dass die Zefiro 40, skaliert auf Grundlage der Zefiro 23, etwa 50t wiegt und die Oberstufe mit Nutzlast auf etwa 25t kommt.
In dem Fall wöge die gesamte Rakete beim Start etwas mehr als 500t. Zwei P120 allein würden mit 720t Schub völlig reichen, um die Rakete abheben zu lassen. Sie wären die erste Stufe der Rakete. Der zentrale P120 könnte mit einer größeren Düse ausgestattet und auf Vakuumbetrieb optimiert werden, als zweite Stufe. Die dritte und vierte folgten dann wie gewohnt.
Wegen der hohen Leermasse und dem schlechteren spezifischen Impuls dürfte die Nutzlast wohl nicht an die genauso schwere Falcon 9 heran reichen. Aber eine solche “Vega Heavy” könnte die Lücke zwischen der Vega und der Ariane 5 schließen, die derzeit von der Soyuz Rakete gefüllt wird.
Ich werde das bei Gelegenheit einmal ausrechnen. Aber Überschlagmäßig würde ich auf eine Nutzlast von vielleicht 10-12t LEO (niedriger Orbit) tippen und etwa 4t zum GTO.
Wenn der angepeilte Kostenunterschied zwischen der Ariane 64 und Ariane 62 von 20mio Euro pro Start auch hier gilt, könnte dabei eine Rakete mit Startkosten um die 50mio Euro heraus kommen. (Die Ariane 62 hat zwei Booster, die Ariane 64 hat vier Booster.)
Sollte sich heraus stellen, dass sich die P120 Booster doch billiger herstellen lassen als gedacht oder die Ariane 6 teurer wird als geplant (was von vielen erwartet wird), dann ginge natürlich auch noch mehr, wie jeder Kerbal Spieler weiß.
Mit vier weiteren Boosterraketen könnte man die Nutzlast nochmal ungefähr verdoppeln. Wir reden jetzt von einer Rakete mit 6 dicken Boostern, die ringförmig um einen zentralen Booster herum angeordnet sind. Vier dieser Boosterraketen würden als erste Stufe gleichzeitig gezündet werden. Nach dem Abwurf dieser vier Booster würden zwei weitere die zweite Stufe spielen und danach der zentrale Booster als dritte Stufe zum Einsatz kommen. Darüber käme eine neu entwickelte, große Oberstufe mit etwa 100t Gewicht.
Die Leistung dieser Konstruktion würde die der Ariane 6 noch übertreffen. Allerdings nur, wenn die P120 keine 10mio Euro pro Stück kosten. Das könnte in Massenproduktion durchaus passieren, weiß man aber nicht. Außerdem dürfte die Neuentwicklung und der Bau der neuen Oberstufe trotz ihrer Größe nicht zu teuer werden.
So eine Monster-Vega als Alternative zur Ariane 6 in der Hinterhand zu haben, fände ich jedenfalls durchaus spannend.
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