Über Thorium wird viel gesprochen und tatsächlich hat es einige sehr nützliche Eigenschaften. Schon die Tatsache, dass es vier mal so häufig wie Uran ist (etwa so häufig wie Blei) und als Nebenprodukt der Gewinnung von seltenen Erden anfällt, macht es verlockend.
Aber leider werden ihm auch wundersame Eigenschaften angedichtet, die es gar nicht hat. Es soll darum gehen, welche Eigenschaften Thorium als Ausgangsstoff für den Betrieb eines Kernreaktors im Vergleich zu Uran hat. Alles weitere wird in späteren Blogbeiträgen und in den Kommentaren diskutiert.
Also schauen wir uns die Sache mal an. Soviel sei vorweg gesagt: Es ist wirklich gut, aber keine Magie.
Welche Reaktoren sind für Thorium geeignet?
Der größte Mythos in Diskussionen über Thorium, den man bitte nicht weiter verbreiten sollte und ihm auch aktiv widersprechen sollte, ist der Mythos vom “Thorium Reaktor”. Jeder Kernreaktor lässt sich auch mit Thorium betreiben, manche etwas besser, manche etwas schlechter. Es gibt keine Reaktortechnik, die nur aufgrund der Benutzung von Thorium dem Reaktor ganz spezielle Spezialeigenschaften verleihen würde, nur weil sie mit Thorium statt Uran funktioniert. Das heißt aber auch, dass man keine speziellen Spezialreaktoren braucht, um Thorium benutzen zu können.
Alle Reaktorenkonzepte, die als Thoriumreaktoren bezeichnet werden, funktionieren genauso auch mit Uran und Plutonium und umgekehrt. Auch die Flüssigsalzreaktoren, die fast immer im Zusammenhang mit Thorium genannt werden, wurden mit Uran und Plutonium betrieben. Über Reaktorkonzepte werde ich demnächst schreiben.
Nichts davon sollte wirklich überraschen. Denn was ist das erste das passieren muss, damit Thorium zum Reaktorbrennstoff wird? Man verwandelt es in Uran, genau genommen Uran-233. Denn Thorium kommt in der Natur nur als Thorium-232 vor und ist nicht spaltbar. (Sehr kleine Mengen von Thorium-230 entstehen beim Zerfall von Uran-238. Aber die spielen hier keine größere Rolle.)
Wie macht man Thorium spaltbar?
Das alles funktioniert nach genau dem gleichen Prinzip wie die Verwandlung von Uran-238 in Plutonium-239. Das jeweilige Atom fängt ein Neutron ein und wird zum nächsthöheren Isotop. Beim Thorium wird aus Th-232 das Isotop Th-233. Das ist nicht stabil und zerfällt zu Protactinium-233. Auch das Pa-233 ist nicht stabil und zerfällt irgendwann zu dem gewünschten U-233. Der letzte Prozess hat eine Halbwertszeit von fast einem Monat. Das ist etwa zehn mal so lang wie bei der Entstehung von Pu-239.
(Das war nur ein Problem während des Manhattenprojekts, weil es die Untersuchung der Eigenschaften von Uran-233 sehr viel langsamer machte. Wäre es schneller gegangen, hätte man schneller herausgefunden, dass Thorium als Ausgangsmaterial für Atombomben schlecht geeignet ist. Zu dem Thema Thorium im Manhattenprojekt hat jemand in den USA eine Masterarbeit verfasst. Sie gibt einen guten Überblick, zitiert im Anhang hunderte Seiten von Originalquellen aus der Zeit und ist eine echt lohnende und lesenswerte Fleißarbeit.)
Das Prinzip beim Thorium ist das gleiche, aber die Details unterscheiden sich. Th-232 hat einen fast drei mal so großen Neutronenquerschnitt wie Uran-238. (7,3 barn und 2,7 barn) Wenn eine bestimmte Zahl Neutronen eine Menge Th-232 durchdringt, werden drei mal so viele Neutronen absorbiert wie im Fall von Uran-238. Es gehen dadurch weniger Neutronen bei der Erzeugung von U-233 verloren, als bei der Erzeugung von Plutonium-239.
Das eigentliche Problem bei Pu-239 ist aber, dass es mit langsamen Neutronen nicht sonderlich gut spaltbar ist. Zwar entstehen bei der Spaltung von Pu-239 im Schnitt etwa 3 Neutronen, aber Pu-239 wird nur in 2 von 3 Fällen auch durch ein Neutron gespalten. Sonst wird es zu nicht spaltbarem Pu-240 und das Neutron ist verloren.
Insgesamt bleiben damit zu wenige Neutronen übrig, wenn man in so einem Reaktor das gesamte Uran-238 in Pu-239 verwandeln nud spalten will. Denn ein Neutron braucht man, um das nächste Atom in der Kette zu spalten. Dann gehen unweigerliche einige Neutronen verloren: an die Spaltprodukte, das Kühlmittel, die Strukturen im Reaktor, die Steuerstäbe, einige entkommen dem Reaktor auch ganz und gar. Das macht statistisch pro Spaltung vielleicht 0,2-0,4 Neutronen aus, aber das reicht schon. Denn wir hatten von Anfang an nur 2 Neutronen und haben schon 1,2-1,4 Neutronen verloren. Man bräuchte aber wenigstens noch 1,0 Neutronen um das durch Kernspaltung verlorene spaltbare Atom durch ein neu erzeugtes zu ersetzen.
Druckwasser und Siedewasserreaktoren haben deswegen eine Brutquote von nur etwa 0,6. Der EPR verliert weniger Neutronen und wird eine Quote von 0,8 erreichen. Nur Reaktoren, die Neutronen nicht so stark abbremsen, können so viel Pu-239 aus U-238 erzeugen, wie sie im Betrieb verbrauchen. Mit Thorium ist das anders.
Uran-233 wird in 91,2% aller Fälle von langsamen Neutronen gespalten, nicht nur in 66% der Fälle. Dadurch fällt es weniger ins Gewicht, dass bei der Spaltung im Schnitt nur 2,5 Neutronen entstehen und nicht 3 Neutronen wie bei Pu-239. Denn es bleiben pro Spaltung noch 2,28 Neutronen übrig und nicht nur 2. Das reicht gerade noch, um mit einem effizienten Reaktor so viel U-233 im Betrieb zu erzeugen wie er verbraucht. Das wurde zwischen 1977 und 1982 zum ersten Mal mit dem Shippingport Reaktor getan – einem einfachen Druckwasserreaktor.
Uran-233 ist aber im Nachteil im Vergleich zu Plutonium-239, wenn man nicht-moderierte Reaktoren benutzt. Mit schnelleren Neutronen steigt die Chance Pu-239 zu spalten ebenso in die Nähe von 100%. Bei der Spaltung mit schnellen Neutronen werden auch noch mehr Neutronen frei. Für die Transmutation einiger Isotope im Atommüll ist das sehr praktisch, weil man dadurch mit einem relativ kleinen Reaktor die Isotope aus mehreren großen Reaktoren transmutieren kann. Ein moderierter Reaktor mit Thorium und Uran-233 hätte dafür nicht genug Neutronen übrig.
Die Frage ist aber: Braucht er das?
Was ist mit Atommüll?
Thorium-232 ist in einer Hinsicht ein anderer Stoff als Uran-238 – es ist die Zahl 232. Diese Zahl ist weit weg von der Zahl 239, mit der die größten Probleme bei der Endlagerung entstehen. Natürlich ist nicht die Zahl selbst das Problem, sondern die Stoffe die dahinter stehen. Plutonium-239 braucht hunderttausende Jahre, bis es vollständig zerfällt und Pu-240 ist mit einer Halbwertszeit von 6500 Jahren statt 24.000 auch nicht viel schneller. Nicht zu sprechen von den Problemen mit den Stoffen die darüber anfangen.
Wenn Uran-233 ein Neutron einfängt, wird es nur in 8,8% der Fälle nicht gespalten. Dann bleibt ein Uran-234 Atom zurück, das nicht spaltbar ist. Aber Uran-234 hat eine sehr gute Chance, ein weiteres Neutron einzufangen und zu Uran-235 zu werden. Der Neutronenquerschnitt liegt bei 100 barn, im Vergleich zu 2,7 Barn für Uran-238 oder 7,3 Barn für Thorium-232. Es wird sich also nicht anreichern, sondern zu spaltbarem Uran-235 werden. Uran-235 wird nur in 12% der Fälle nicht gespalten, so dass am Ende nur etwa 1% der ursprünglichen Menge Thorium-232 zu Uran-236 verwandelt wird.
Der Uran-Plutonium Kreislauf hat ohne die Verwendung von nicht-moderierten Reaktoren ein grundsätzliches Problem: Irgendwann reichern sich so viele nicht spaltbare Plutonium Isotope an, dass man den Kreislauf mit moderierten Reaktoren nicht mehr schließen kann. Danach braucht man einen schnellen Brüter oder zumindest einen Reaktor, der die Neutronen weniger abbremst als es beispielsweise Druckwasser- und Siedewasserreaktoren tun.
Bei der Verwendung von Thorium als Ausgangsmaterial sind diese Mengen aber immer klein genug um langfristig kein größeres Problem für die Kettenreaktion darzustellen. Sie können also immer “mitgeschleift” werden, bis sie einmal in eine spaltbare Form gebracht sind und gespalten werden. Oder es kommt zwischendurch zu einem Alpha-Zerfall und das Spiel fängt 4 Plätze weiter unten wieder von vorne an. Pu-238 würde beispielsweise wieder zu Uran-234.
Die Aufarbeitung und das Schließen des Kreislaufes ist mit Thorium ein weitaus kleineres Problem. Weil von Anfang an viel weniger der problematischen Actinide vorkommen, kann es auch nur zu einer kleineren Verunreinigung der Spaltprodukte mit Actiniden kommen. Weil es immer wieder für Verwirrung sorgt, bleibt aber noch ein Problem zu klären.
Henne oder Ei – Woher kommt U-233?
Weil Thorium an sich kein Reaktorbrennstoff ist, muss es zunächst mit Hilfe von anderen Stoffen erbrütet werden. Tatsächlich ist das schon geschehen. Es gibt gewisse Vorräte an U-233, sonst hätte man den Shippingportreaktor nie so betreiben können, wie man es tat. Man könnte auch jederzeit einzelne Brennstäbe in einem Reaktor durch Stäbe aus reinem Thorium austauschen und warten, bis sich durch die Neutronen das U-233 von allein gebildet hat.
Man kann aber auch von der reinen Lehre abweichen und Thorium mit angereichertem Uran oder Plutonium mischen. Besonders die letzte Option ist interessant. Denn meistens wird Plutonium für die Nutzung in Brennstäben wieder mit Uran vermischt. Das hat den Nachteil, dass aus dem Uran-238 noch mehr Plutonium-239 wird, von dem ein Drittel zu noch mehr Pu-240 wird. Wenn man hingegen Thorium mit Plutonium vermischt, entsteht während des Reaktorbetriebs Uran-233 statt Pu-239. Dadurch kann der Verlust von spaltbarem Plutonium für den Betrieb des Reaktors zu einem großen Teil wieder ausgeglichen werden, ohne dass mehr Plutonium entsteht. Das wäre auch ein wichtiger Schritt um einen größeren Teil des Plutoniums aus Wiederaufbereitungsanlagen in vorhandenen Reaktoren benutzen zu können.
Solche Brennstäbe müssen aber zuerst lizensiert und noch haben sie keine Lizenz. Zur Zeit befinden sich eine Reihe von Brennstäben dieser Art in einem Testreaktor in Norwegen. Allerdings dauert der Test mehrere Jahre und bevor er nicht erfolgreich abgeschlossen ist und die Brennstäbe untersucht wurden, kann es keine Lizenz dafür geben.
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