Als SpaceX entstand, war es eine kleine Firma in den USA mit großen Versprechungen und einem neureichen, vorlauten Chef der sein Vermögen während der Dotcom Blase gemacht hatte. Die Versprechungen sind immernoch groß, der Chef ist immernoch vorlaut, aber die Firma ist nicht mehr klein und Elon Musk ist nun auch schon seit einer ganzen Weile ziemlich reich.
Jedenfalls gab es gute Gründe der ganzen Sache skeptisch gegenüber zu stehen. Elon Musk war nicht der erste Gründer einer privaten Firma, die mit großen Versprechungen Raketen bauen will. Bei aller Selbstsicherheit wurden Artikel wie dieser über SpaceX in den frühen Jahren wie 2006 eher skeptisch aufgenommen. Zu oft wurde man enttäuscht. Es wäre nun leicht zurück zu blicken und zu sagen, dass bei SpaceX natürlich alles anders war. Aber es ist wie bei allen Dingen, die die Geschichte betreffen: Damals sah es wirklich nicht danach aus. Es ist normal, dass man aufgrund des Erfolges einer Firma im Nachhinein nach Erfolgsfaktoren sucht, aber manchmal ist Glück ein großer Teil des Erfolgs. Doch selbst Glück ist nicht immer Alternativlos. Wenn man einen Gewinner aus einem Lostopf zieht, dann sagt man leicht, der Gewinner hätte Glück gehabt. Aber es war kein Glück, dass jemand gewonnen hat – das stand von vorn herein fest.
Ich bin nun wirklich ein großer Fan von SpaceX, aber ein wenig errinnert mich die Geschichte daran. Das große Los, das für SpaceX gezogen wurde, war allerdings hart erkämpft und wurde auch nicht aus einem großen Lostopf gezogen.
Der Lostopf hörte auf den Namen COTS. Das steht in den USA eigentlich für “commercial off-the-shelf”. Auf Deutsch würden wir sagen “von der Stange”. Es ist in den meisten Bereichen der US-Bürokratie ein gern gesehenes Kürzel, verspricht es doch, dass man einfach etwas kauft, das sowieso schon in Massenproduktion hergestellt wird.
2006 rief die NASA nun eine Initiative namens “Commercial Orbital Transportation Services” aus. Wer die NASA kennt, weiß genau, dass Akronyme dort niemals Zufall sind. In diesem Fall war das Kürzel sicher kein Zufall, aber sehr sicher auch prätentiös. Man kauft nicht mal eben eine Rakete und einen Raumtransporter “von der Stange” und die Sache würde sehr viel mehr Aufwand benötigen, als das Kürzel üblicher weise versprach.
Allerdings befand sich die NASA in einer Zwickmühle. Das Space Shuttle wurde immer mehr als ein riskantes Gefährt ohne Notausstieg wahrgenommen. Im Jahr davor ist die letzte Titan IV Rakete geflogen. Es verblieben nur noch die Atlas V von Lockheed Martin und die Delta IV Rakete von Boeing. Darin lag noch kein Problem. Das übliche Vorgehen hätte jetzt gewesen, von beiden Firmen Angebote für einen Raumtransporter einzuholen und das beste Angebot zu nehmen. Aber Lockheed Martin und Boeing verhandelten 2006 darüber, ihr Trägerraketengeschäft in einem Joint-Venture namens United Launch Alliance (ULA) zusammen zu legen. Das wurde letztlich auch erlaubt.
An der Stelle konnte man bei der NASA nicht einfach trotzdem den Auftrag nur an die ULA zu vergeben, auf das beste zu hoffen und zu bezahlen was die ULA verlangt. Seit Explosion der Challenger wurde verlangt, dass die NASA nie wieder nur auf ein Pferd bei Transportaufträgen in der Raumfahrt setzt. Durch das Jointventure fiel das zweite Pferd weg und die ULA hatte ein Monopol, das seit dem mysteriöser Weise mit ständig steigenden Kosten für ihre Trägerraketen zu kämpfen hat.
Der erste COTS Vertrag sollte 2006 zwischen Rocketplane Kistler und SpaceX entschieden werden. Es gab zwar noch andere Anwärter, aber diese beiden kamen in die engere Auswahl. Rocketplane Kistler war die Firma, die schon in den 90er Jahren für den Import der NK-33 Triebwerke aus Russland verantwortlich war. Kistler war zu dem Zeitpunkt schon 10 Jahre alt und gut bekannt – wenn auch nur für ein Konzept und nicht für fliegende Rakete. Ihre K-1 Rakete sollte insgesamt vier solcher Triebwerke benutzen. Beide Stufen sollten durch Fallschirme und große Airbags (und Hitzeschild in der 2. Stufe) vollständig wiederbenutzbar sein.
Die Firma geriet aber von Anfang an in finanzielle Schwierigkeiten und wurde 2007 aus dem COTS Programm ausgeschlossen. Die Triebwerke wurden später von Orbital Sciences aufgekauft, die dann mit der daraus entwickelten Taurus II Antares Rakete tatsächlich im Februar 2008 der zweite Vertragspartner von COTS wurden.
Ohne einen etablierten Konkurrenten wurde es für SpaceX nun sehr viel einfacher, einen COTS Vertrag zu bekommen. Aber sie mussten immernoch beweisen, dass sie ein funktionierendes Konzept dafür hatten. Das Dragon Raumschiff befand sich in Entwicklung, hatte aber noch keine real existierende Trägerrakete. Real existierte zu diesem Zeitpunkt die Falcon 1 Rakete und sie hatte 2006 ihren ersten Flug. (Start bei 0:50)
Eine korrodierte Aluminium Mutter sorgte für eine kaputte Treibstoffleitung und das hat noch keiner Rakete sonderlich gut getan. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts von SpaceX gehört. Aber seit sie offiziell ein möglicher Partner der NASA waren, gingen die Nachrichten durchs Netz und beim zweiten Flugversuch der Falcon 1 im Jahr darauf war ich mehr durch Zufall als durch Planung live per Videostream dabei.
Während ich das Gefühl hatte “Mensch, es war so knapp!”, dominierte bei anderen die Häme über den zweiten Absturz. Die Stufentrennung klappte nicht ganz reibungslos. Das Merlin 1A Triebwerk war zwar abgeschaltet, aber gewisse Restmengen an Treibstoff kommen immernoch nach und sorgen für einen kleinen Restschub, den man nur in einer Vakuumkammer oder bei einem Testflug herausfinden kann. SpaceX hatte kein Geld für einen Test in einer Vakuumkammer.
Die erste Stufe berührte das Triebwerk der zweiten Stufe ganz leicht, woraufhin die zweite Stufe ins schlingern und der Treibstoff im Inneren ins Schwappen geriet. Das sah gar nicht dramatisch aus, aber vor dem erfolgreichen Raketenstart steht die erfolgreiche Beherrschung der Physik. Die sagt, dass der Drehimpuls erhalten bleibt. Um so weniger Treibstoff im Tank blieb, um so schlimmer wurde das Schlingern der Rakete und das Schwappen des Treibstoffs. Irgendwann blieb dem Triebwerk der Treibstoff weg und das war es.
Peinlich war an der Geschichte, dass es längst üblich war, Bleche in die Tanks einzubauen, die so ein Schwappen des Treibstoffs verhindern sollten. Die wollte man aber aus Gewichtsgründen lieber einsparen, denn jedes Kilo mehr Blech in der zweiten Stufe ist ein Kilo weniger Nutzlast. Daher kam dann auch die Häme.
Beim dritten Flug, mit dem neuen Merlin 1C Triebwerk, wurde alles besser. Vor allem die Rakete, die nun etwas mehr Schub hatte und noch viel mehr Schub für den Einsatz in der Falcon 9 bekommen sollte. Die Brennkammer des neuen Triebwerks war nun regenerativ gekühlt, also “normal” mit Treibstoff der durch die Brennkammerwand fließt. Das Merlin 1A war noch ablativ gekühlt: Es wird eine Schicht aus einem Material auf der Wand aufgebracht, das nach und nach verdampft und damit das darunter liegende Material kühl hält. Schließlich kam es zum dritten Flug der Falcon 1.
Nach Behebung der Fehler der letzten beiden Flüge, aber auch in Anbetracht all der Dinge die gut gelaufen sind, war man sich der Sache äußerst sicher. So sicher, dass man schon einen kommerziellen Satelliten und diverse Cubesats an Bord hatte. Im August 2008 war man so weit:
Wir erinnern uns an das neue Merlin 1C mit der regenerativen Kühlung? Nun, der heiße Treibstoff in den Kühlkanälen der Brennkammer hat noch deutlich mehr Schub entwickelt, als der restliche Schub des alten Merlin 1A. Auch wenn man den Restschub des Merlin 1A nun im Griff gehabt hätte, war es für das Merlin 1C viel zu wenig.
Die Rakete baute also bei der Stufentrennungen einen genauso teuren wie peinlichen Auffahrunfall. SpaceX stand vor dem Bankrott und wurde nur durch “Augmented Funding” aus dem COTS Vertrag gerettet, was nichts anderes heißt, als dass der Vertrag geändert und allen Mitbewerbern etwas früher etwas mehr Geld gegeben wurde.
Das hat sich ausgezahlt, denn nur zwei Monate später stand der nächste Start der Falcon 1 an. Diesmal wartete man etwas länger mit der Stufentrennung und es lief alles gut. Einen Ruf als zuverlässiges Unternehmen hatte SpaceX so allerdings nicht gewonnen.
Es ist deswegen wohl auch verständlich, wenn im nächsten Jahr nicht jeder an der Erfolg glaubte, als die Falcon 1 noch einmal abhob um einen Malaysischen Satelliten zu starten. Aber auch das funktionierte.
Es war der letzte Flug der Falcon 1. Eigentlich sollte die Falcon 1 zur Falcon 1e ausgebaut werden, aber die Zeit drängte und der COTS Vertrag verlangte die volle Aufmerksamkeit der Firma. Denn man hatte immernoch weder eine Rakete noch einen fertigen Raumtransporter.
Die Rakete für den Dragon sollte die Falcon 9 mit neun Merlin 1C Triebwerken werden. Davor gab es auch Pläne für eine Falcon 5 Rakete, die aber genauso beerdigt wurden wie die Pläne für die Falcon 1e. Eine Falcon 9 S5 sollte es auch nicht geben. (Eine Falcon 9 mit zwei Falcon 5 Raketen als Booster an den Seiten.)
Mit 5 Flügen und 3 Fehlschlägen von der Falcon 1 in der Bilanz, sprach SpaceX nun immernoch davon, dass die Falcon 9 die zuverlässigste Rakete der Welt sein würde. Große Worte, denen erst noch große Taten folgen mussten. Dass es die Firma überhaupt bis hier her geschafft hat, war nicht selbstverständlich. Rocketplane Kistler hat gezeigt, dass so eine Firma nur zu leicht in den Bankrott gehen kann und das Schicksal der Antares Rakete zeigt auch, dass man diesem Schicksal nie sehr leicht und selten auf Dauer entkommt.
Die Geschichte der Falcon 1 hat jedenfalls einen tiefen Eindruck in der Firmenkultur von SpaceX hinterlassen.
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