Nachdem SpaceX mit der Falcon 1 Rakete viel Lehrgeld bezahlt hat, mussten sie besser werden, und zwar schnell. In der letzten Folge habe ich schon von den Umständen geschrieben, unter denen der COTS Vertrag an SpaceX ging.

Der Weg hin zur Falcon 9

Ende 2008 hatte man zwar endlich den ersten erfolgreichen Flug der Falcon 1 absolviert, aber was nun folgte, hatte eine ganz andere Dimension. Einen Transporter zur ISS zu bringen brauchte die viel größere Falcon 9 Rakete, die bis dahin nur auf dem Papier existierte, auch wenn immerhin . Das Dragon Raumschiff war noch nicht viel weiter. Schon der Vertrag zur Entwicklung der Trägerrakete und des Transporters umfasste zu dieser Zeit knapp $300mio. Im Dezember 2008 wurde schließlich der CRS Vertrag (“commercial resupply services”) unterzeichnet. Er ging an SpaceX und Orbital Sciences und umfasste einen Wert von $3,5 Milliarden. Davon gingen $1,6 Milliarden an SpaceX für 12 Missionen mit dem Dragon und $1,9 Milliarden an Orbital Sciences für 8 Missionen mit dem Cygnus Transporter. Die Frachtmenge war dabei für beide gleich (der Cygnus Transporter ist etwas größer), aber nur SpaceX kann auch Fracht von der ISS zurück bringen.

Auch wenn SpaceX am Ende etwa $100mio mehr für die Entwicklung der Rakete und des Raumschiffs bekommen hat als Orbital Sciences, war die Verteilung also nicht wirklich gerecht. Orbital Sciences galt zu der Zeit als die zuverlässigere Firma und als bekannte Größe, trotz des Taurus XL Disasters mit zwei zerstörten Satelliten im Wert von über $500mio. Ende 2008 konnte man das im Grunde auch niemandem verübeln, schließlich hatte SpaceX zu dem Zeitpunkt eine Bilanz von 3 Fehlschlägen bei 4 Startversuchen.

Auch wenn ich selbst der Falcon 1 Rakete etwas hinterher trauere, ist hier die Perspektive wichtig. Sie hatte einen Preis von etwa $7mio, die Kosten werden etwas niedriger gewesen sein, aber ein Flug hätte kaum mehr als $1mio Profit eingebracht. Auf der anderen Seite waren da ein Entwicklungsvertrag im Wert von (am Ende) knapp $400mio und ein Transportauftrag im Wert von $1600mio. Das Geld wurde aber nur für das Erreichen gewisser Meilensteine in der Entwicklung, bzw. Transportflüge ausgezahlt. Wie man im Fall von Rocketplane Kistler gesehen hatte, war die NASA auch nicht zimperlich dabei, den Vertrag zu entziehen, wenn die Meilensteine nicht erfüllt werden. Es war also die einzig vernünftige Entscheidung, alles auf die Entwicklung von Dragon und der Falcon 9 zu setzen.

Zweifel an der Falcon 9

Das tat SpaceX nun auch. Auf der einen Seite unter dem Gejohle der (virtuell) versammelten Raumfahrtgemeinde, die der kleinen Firma das nicht zu traute und in SpaceX ein Geldgrab sah. Auf der anderen Seite waren da die Fans und unverbesserlichen Optimisten – und ich war einer davon. Natürlich empfand ich den CRS Vertrag als zutiefst ungerecht gegenüber SpaceX, weil ich nicht einsehen wollte, wie groß das Risiko für die NASA wirklich war.

Die Falcon 9 Rakete erschien einigen Leuten nicht völlig zu unrecht als ein Ding der Unmöglichkeit. SpaceX hatte es nur gerade so geschafft die Falcon 1 in den Orbit zu bringen, ohne dabei in Konkurs zu gehen. Die nächste Rakete sollte 10 mal so groß sein und dafür in der ersten Stufe 9 Triebwerke gleichzeitig benutzen. Die zweite Stufe sollte ein weiteres dieser Triebwerke benutzen, so dass die ganze Rakete nur einen Triebwerkstyp benutzt.  Das alles zu einer Zeit, als alle anderen Raketenhersteller außerhalb Russlands versuchten jede Stufe möglichst nur mit einem maßgeschneiderten Triebwerk zu betreiben. Man wollte so das Risiko des Triebwerksausfalls auf dieses eine Triebwerk zu beschränken und dafür dieses Triebwerk so zuverlässig wie möglich machen. 9 Triebwerke sah man als 9 Möglichkeiten, wie eine Mission scheitern würde.

Aber dieses und andere Argumente beruhten nicht auf Fakten. Sie waren durch Misstrauen motiviert und das merkte man ihnen auch an. Eine der erfolgreichsten und am meisten respektierten Raketen der 90er Jahre war die Ariane 4. Sie verband Zuverlässigkeit mit niedrigen Kosten und verdrängte so die US Trägerraketen vollständig vom kommerziellen Satellitenmarkt. Die am meisten verwendete Variante der Rakete war dabei die Ariane 44L. Mit 4 Viking Triebwerken in der ersten Stufe und 4 Boosterraketen mit je einem Viking Triebwerk. Die zweite Stufe besaß ein weiters Viking Triebwerk, einzig die dritte Stufe nutzte das gleiche HM7B Triebwerk, das auch die Ariane 5 noch bis heute hat. Dennoch beharrte mindestens ein bekennender Fan der Ariane 4 darauf, dass die Falcon 9 wegen ihrer 9 Triebwerke notwendigerweise unzuverlässig sein und schon beim ersten Start explodieren würde. (Ich respektiere ihn sehr und werde seinen Namen hier nicht nennen. Aber wer ihn kennt, weiß wen ich meine.)

Dazu kam die nicht sehr offene Informationspolitik und einige Eigenheiten, die SpaceX schlicht von anderen Herstellern von Trägerraketen unterschied. So lief das Merlin 1C Triebwerk in der Falcon 1 nicht mit voller Leistung. Wenn man auf dieser Grundlage die Leistung der Falcon 9 berechnen wollte, kam man auf ein falsches Ergebnis. Denn die Rakete war mit 9 Triebwerken 10 mal so schwer. Man glaubte den offiziellen Angaben für den Schub nicht und hielt sie für Betrug.

Um die Falcon 9 möglichst zuverlässig zu machen, plante man auch von Anfang an ein, dass sie den Ausfall eines Triebwerks im Flug kompensieren können sollte. Natürlich ist die Rakete dann nicht mehr so effizient und braucht zusätzliche Treibstoffreserven, die man in anderen Raketen so nicht hätte. SpaceX traf nun die Entscheidung, die maximale Nutzlast ihrer Rakete entsprechend des Standards in der Industrie anzugeben, also für den Fall, dass diese Reserven komplett aufgebraucht und für zusätzliche Nutzlast verwendet werden. Gleichzeitig verwendete man natürlich die Reserven bei den ersten Flüge. Auch hinter der Diskrepanz zwischen diesen beiden Werten, der offiziellen Nutzlastangabe und der tatsächlichen Nutzlast, witterte man Betrug.

Der ersten Flüge

Der erste Flug der Falcon 9 fand nun im Sommer 2010 statt und die Rakete schaffte es in den Orbit. Mit viel Glück. Schon beim Start drehte sich die Rakete kurz nach dem Abheben um 90 Grad, bevor die Steuerung der Rakete das zusätzliche Drehmoment ausgeglichen hatte. Es wurde durch die Anordnung der Auslässe der 9 Gasgeneratoren der Triebwerke verursacht und war offenbar falsch voraus berechnet. Der Rest des Fluges der ersten Stufe verlief wie geplant, allen Unkenrufen wegen der vielen Triebwerke zum Trotz. Auch die Stufentrennung war problemlos, aber der Flug der zweiten Stufe war es nicht.

Wie schon bei der Falcon 1 gab es ein Problem, das man ohne einen Test in der Vakuumkammer nur schwer voraussehen konnte. Diesmal war es nicht der Restschub des Triebwerks nach der Abschaltung, sondern die Erwärmung der Steuerelektronik durch die Strahlungshitze des Triebwerks. Bei Tests am Boden bestand ein gewisser Luftzug, der dort die Elektronik vor Überhitzung bewahrt hatte. Beim Flug im Vakuum war das nicht mehr der Fall und die Elektronik fiel aus.

Die Elektronik war für die Steuerung der Auslassdüse des Gasgenerators zuständig. Bei der ersten Version der Falcon 9 nutzte man die, um die Rollachse der zweiten Stufe kontrollieren zu können. Man sieht die kleine Düse im Video sehr gut beim Flug der zweiten Stufe. Für die Steuerung bewegt sie sich nach rechts und links und an einem Punkt weist der Kommentator auch darauf hin und sagt, dass das völlig normal ist.

Allerdings sagt er das kurz nach dem Zeitpunkt, an dem sich genau diese Düse für den ganzen Rest des Fluges zum letzten Mal bewegt hat. Die Rollkontrolle fiel aus und die Stufe fing langsam an zu taumeln. Diesmal aber nicht so stark wie noch beim zweiten Flug der Falcon 1. Das Triebwerk lief weiter und die Stufe erreichte taumelnd einen niedrigen Erdorbit. Freilich entsprach der nicht den Erwartungen an die Präzission, aber immerhin hat sie einen Orbit erreicht und ist nicht abgestürzt. Ein zusätzlicher Hitzeschutz für die Elektronik löste das Problem bei den nächsten Flügen.

Die Falcon 9 v1.0, die damals geflogen ist, ist eine andere Rakete, als die Falcon 9 v1.1 heute (man merkt, dass der Chef aus der Softwarebranche kommt). Die Version 1.0 hatte ein quadratische Anordnung der 9 Triebwerke und wog beim Start etwa 333 Tonnen. Sie war wegen dieser Triebwerksanordnung meiner Meinung nach die hässlichste Rakete der Welt, aber sie flog auch nur 5 mal.

Flug 2 der Rakete brachte noch im gleichen Jahr das erste Dragon Raumschiff in den Orbit und es kehrte auch erfolgreich wieder zurück. An Bord war ein Käserad, aber noch war das Raumschiff nicht völlig einsatzbereit. Es fehlten die Umweltkontrolle und die Solarzellen für die Stromversorgung, sowie sicherlich noch viele andere Details. Der erste Flugtest (im Batteriebetrieb) war dennoch enorm wichtig.

Nach zwei erfolgreichen Flügen geschah im Jahr danach nichts mehr. Eigentlich war als zweiter Testflug nur die Annäherung an die ISS vorgesehen und erst im dritten Test sollte es zum Andocken an die ISS kommen. Nach längeren Verhandlungen legte man schließlich beide Tests zusammen. Aber bis dahin gab es viel zu tun. Der Dragon musste für die erste richtige Mission zur ISS mit mehr als einem Käserad als Proviant vorbereitet werden. Und das dauerte insgesamt 18 Monate. Erst im Mai 2012 kam endlich der dritte Flug der Falcon 9 und er war ein voller Erfolg.

Ein holpriger Flug

Mit dem dritten Flug war der COTS Vertrag erfolgreich absolviert und es standen die 12 Flüge des regulären Frachtvertrags CRS an (commercial resupply services). Nun hat der Dragon hinter der eigentlichen Raumkapsel ein großes, freies Volumen, das für weitere Fracht gedacht ist. Beim nächsten Flug im Oktober sollte deswegen ein kleiner Satellit in diesem Volumen transportiert werden.

Der Plan war, dass der Dragon von der zweiten Stufe getrennt wird und der Satellit an der zweiten Stufe verbleibt. Sobald der Dragon genug Abstand hat, sollte die zweite Stufe erneut gezündet werden und den Satelliten in seinen Orbit bringen. Aber es kam anders als geplant. Der Flug war allerdings spät in der Nacht. Obwohl ich ihn live gesehen habe und die Kamera alles einfing, habe ich vor Müdigkeit nicht mitbekommen, dass etwas schief ging.

79 Sekunden nach dem Start löste sich eines der 9 Triebwerke in seine Bestandteile auf. Elon Musk prägte daraufhin später das unvergessliche Akronym “RUD” – rapid unscheduled disassembly. (Ungefähr “Schneller ungeplanter Auseinanderbau”. Wobei disassembly mehrere Bedeutungen haben kann. Aber dieser Teil der Bedeutung machte es witzig und unvergesslich.)

Ganz ohne Folgen blieb es natürlich nicht. Die erste Stufe brauchte etwa 20 Sekunden länger bis zum Brennschluss, womit die Rakete knapp 200m/s an Geschwindigkeit verlor. Aber genau deswegen hat die Rakete die großen Treibstoffreserven, mit denen sie dennoch den geplanten Orbit erreichen konnte. Die Steuerung der Rakete erfolgt automatisch, so dass der Computer selbstständig nach Wegfall des Triebwerks den weiteren Flug optimierte.

Während der Dragon sicher seine Mission flog, fehlten der zweiten Stufe nun einige Sicherheitsreserven. Man errechnete eine 95%ige Chance, dass sie dennoch den Flug mit dem Satelliten durchführen konnte, aber das war der NASA nicht genug. Immerhin befand man sich in einem Orbit unterhalb der ISS und die Stufe sollte in einen Orbit oberhalb der ISS fliegen. Man wollte keine Risiken eingehen und so wurde der Satellit an Ort und Stelle ausgesetzt. Da es nur der erste von 18 Satelliten sein sollte, wog der Verlust weniger schwer, aber er ist dennoch ein Verlust – wenn auch der einzige aller Varianten der Falcon 9 bisher.

Der fünfte Flug der Falcon 9 v1.0, die Mission CRS-2, sollte die letzte dieser Rakete sein. Er fand im März 2013 statt. Bis dahin hatte die Falcon 9 erst zwei Flüge im Jahr 2010 und zwei weitere im Jahr 2012. Es sollten noch viele folgen.

Bei diesen Flügen kam aber die Falcon 9 v1.1 mit dem neuen Merlin 1D Triebwerk zum Einsatz und auch sonst hat sich einiges geändert. Mehr dazu im nächsten SpaceX Artikel.

Kommentare (2)

  1. #1 PDDOW
    27. Mai 2015

    Danke, wiedermals sehr interessant!

  2. […] Ich habe auch schon zwei Hintergrundartikel zur Geschichte SpaceX geschrieben. Die findet man hier und hier. […]