Egal wie man zur Braunkohle steht, sie existiert und der Braunkohleabbau hat stattgefunden. Wo er stattgefunden hat, muss man damit umgehen. Ich komme aus einer Gegend in der noch immer Braunkohle abgebaut wird.
Um die Größenordnungen klar zu machen: In einem typischen Braunkohletagebau werden über mehrere Jahrzehnte etwa 12mio Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut und verbrannt. Nach drei bis vier Jahrzehnten fehlt ein Volumen von 0,3 bis 0,4 Kubikkilometern. Die gesamte Menge des bewegten Materials ist natürlich noch größer, denn die Braunkohle liegt nicht direkt unter der Oberfläche. Wieviel genau das ist, hängt vom Einzelfall der geologischen Bedingungen ab. Vorzugsweise natürlich immer so wenig wie möglich, schon aus ökonomischen Überlegungen heraus.
Das Deckmaterial wird am Anfang auf einer Halde aufgeschichtet – es entsteht beim Tagebau also sowohl ein Loch, als auch ein Berg. Später wird dann im laufenden Betrieb das abgebaute Material anderswo zum auffüllen verwendet, schon um sich die Arbeit und Energie dafür zu sparen. Der fruchtbare Mutterboden der oberen Schicht wird gesondert behandelt und später wieder oben aufgebracht. Es wird also keine Wüste hinterlassen.
Was dort zurück bleibt, wo der Tagebau nicht verfüllt werden konnte, ist ein See. Im allgemeinen wird der See künstlich geflutet, teilweise werden sie auch in den Hochwasserschutz einbezogen. Beim Hochwasser der Weißen Elster 2013 wurden vor Leipzig 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Zwenkauer See umgeleitet, was ausreichte den Wasserspiegel unter der Höhe der Deiche zu halten. Das reichte nicht um den See zu fluten, er soll erst dieses Jahr sein geplantes Niveau erreichen – mit ausreichend Reserve im Fall von weiteren Hochwassern. Ganz anders lief es 2002 an der Goitzsche bei Bitterfeld, als ein Dammbruch den gesamten See in 2 Tagen überflutete.
Diese Seen sollte man nicht sich selbst überlassen. Die meisten Seen sind alte, geologische Gebilde, in denen eine ganze Reihe geologischer Prozesse abgelaufen sind. Wenn man ein Loch in den Boden macht, das unter den Grundwasserspiegel reicht, dann wird Wasser in dieses Loch hinein strömen. Es strömt aber auch durch danebenliegenden Erdschichten. Dabei wird das Wasser auch wasserlösliche Anteile aufnehmen und mit in den See tragen. Problematisch ist dabei vor allem Pyrit und andere sulfid- und eisenhaltige Minerale. Aus ihnen entstehen Säuren, die das Wasser der Seen versauern lassen würden, teilweise auf pH Werte von 1-2 oder sogar noch noch tiefer. Auch anderes Wasser, wie das der Spree, wird durch die Tagebaue beeinträchtigt. Dabei ist es allerdings egal, ob das Loch von Menschenhand gemacht wurde. Ein frisch entstandener Vulkankrater, wie sie gelegentlich in der Vulkaneifel entstehen, wird ganz ähnliche Phänomene hervorbringen wie ein Tagebau.
In alten Seen sind diese geologischen Prozesse längst Geschichte und die Säure wurde auf die eine oder andere Weise gebunden. Aber bis dahin wäre der See weitgehend tot. (Im Fernsehen würde man jetzt so einen See mit apokalytischer Musik unterlegen, wenn er aus einem Tagebau entstand. Bei einem vulkanischen See würde man auf die dennoch vorhandenen Mikroorganismen und die unglaubliche Anpassungsfähigkeit der Natur verweisen.)
Um das zu verhindern, wird Kalk in das Wasser und in den Boden um den See herum hinein gepumpt. Der Kalk dient als Puffer, der den pH Wert auf brauchbare Werte anhebt, wodurch auch Fische und Muscheln in den Seen leben können. Das ganze muss nicht ewig so weiter gehen – irgendwann ist der größte Teil der chemischen Prozesse abgelaufen und die notwendigen Eingriffe werden kleiner. Aber es braucht ständige Überwachung, genauso wie jedes andere Gewässer auch.
Natürlich gibt es noch ganz andere Prozesse. Aufgeschüttetes Material ist nicht so stabil wie Boden, der über zehntausende oder Millionen von Jahren entstand. Er wird sich im Laufe der Zeit setzen, ein Prozess der durchaus gefährlich sein kann, wie man im Tagebau bei Nachterstedt gesehen hat. Eine Halde, die wohl noch aus dem 19. Jahrhundert stammte, wurde 1930 für die Bebauung freigegeben. Ein Teil dieses Baulandes rutschte 2009 in den Concordia See. Es muss also genau untersucht werden, welches Land der ehemaligen Tagebaue für Bebauung geeignet ist und welches nicht.
Das wieder aufgeschüttete Land und die Seen sind aber kein Ersatz für das Land das einst dort war. Am wenigsten für die Menschen, deren Heimat dort einmal stand oder das Land vor dem Tagebau kannten. Der Tagebau Profen wird demnächst auf Land ausgeweitet, das ich aus meiner Kindheit kenne und zu meiner Heimat rechne. Ich kenne dieses Gefühl.
Aber andererseits kenne ich auch die Tagebauseen.
Ich kenne das Land um den Mondsee, wie es sich über 20 Jahre von einem kargem Land mit dürren, frisch gepflanzten Bäumen ohne Schatten hin zu Wiesen und jungen Wäldern verändert hat. Für mich hat etwas anderes nie existiert. Die Landschaft vor dem Tagebau existiert in meinem Bewusstsein nur auf Karten und alten Photos. Die Landschaft jetzt, nach dem Tagebau, ist alles zu dem ich eine echte Verbindung habe. Es ist absehbar, dass die Leipziger Seen, die aus dem Braunkohleabbau entstanden, zu einem beliebten Naherholungsgebiet werden. Selbst Seen die noch nicht vollständig geflutet sind, ziehen an Wochenenden Besucher und Wanderer an, die die Uferpromenade füllen und in teilweise absurd großen Ausflugsschiffen die Seen befahren. Das ist auch nicht überraschend. Die Seen in der direkten Nachbarschaft von Leipzig und eine Abwechslung in der Landschaft. In Zwenkau wird ein ganzer Stadtteil am Seeufer neu gebaut. (Das künftige Hafenbecken am Neujahrstag. Ein paar Meter Wasser fehlen noch. Ich habe es zum ersten Mal 2013 gesehen, als es noch trocken lag.)
Das ist keine Rechtfertigung. Ich will nicht sagen, das Tagebaue nicht so schlimm wären und auch nicht behaupten, dass die neue Landschaft besser wäre als die alte. Sollte man mit Baggern riesige Seen graben um “die Landschaft zu verbessern”? Nein. Die ökologischen Auswirkungen sind schwerwiegend. Es wird mehr als einige Jahrzehnte brauchen, bis sich die Ökosysteme des Umlands eingespielt haben. Man kann auch kaum behaupten, dass ein See ein Ersatz für das verlorene Land ist. Es wird keine Landwirtschaft mehr darauf stattfinden. Und der Möglichkeit von schwimmenden Städten zum trotz, wird es wohl auch kein gleichwertiger Wohnraum mehr sein. Es wird dabei Menschen ihre Heimat und ein Teil ihrer Geschichte genommen.
Und trotzdem bleibt der Gesellschaft die Verantwortung, zu jedem Zeitpunkt das beste aus dem zu machen, was da ist. Dieser Verantwortung stellt man sich recht erfolgreich.
Die Zukunft der Braunkohle ist aber heute genauso absehbar wie ihre Vergangenheit. Durch die praktisch umgesetzte Politik der Energiewende wurden Alternativen zur Braunkohle zuerst abgeschafft. Kernkraftwerke wurden genauso abgeschaltet wie einige der effizientesten Gaskraftwerke. Anstatt Fracking als Chance zum Ersatz der Braunkohle zu begreifen, wurde es bekämpft. Obwohl die Auswirkungen noch im schlimmsten Fall wesentlich weniger schwerwiegend sind als die der Braunkohletagebaue. Obwohl man drei mal soviel Braunkohle wie Steinkohle fördern muss, um die gleiche Energiemenge zu erhalten, wurde beides in einen Topf geworfen und keine Rangfolge hergestellt. So wird wohl der Ausstieg aus der immernoch umweltfreundlicheren Steinkohle vor dem Ausstieg aus der Braunkohle erfolgen.
Aber selbst wo der Ausstieg aus der Braunkohle passiert, gibt es andere Probleme. Menschen leben von den Arbeitsplätzen, die Tagebaue mit sich bringen. Die Zukunftsängste dieser Menschen dürfen nicht abgetan werden. Es sind nicht die ewig gestrigen, dummen Menschen als die sie dargestellt werden. Es sind Menschen die nicht wissen, wovon sie in Zukunft leben sollen. Statt Alternativen und Perspektiven angeboten zu bekommen, schlagen ihnen herablassende und selbstgerechte Kommentare entgegen. Durchweg von Leuten die weit weg, gesellschaftlich gut integriert und in sicheren Arbeitsverhältnissen leben.
Die Deindustrialisierung, besonders in Ostdeutschland, hat diese industriell geprägten Gegenden ohnehin zu sozialen Brennpunkten gemacht. Die Rücksichtslosigkeit der Kommentare und der Forderungen an die Politik, ohne dass auch nur ein Wort über diese Menschen fallen würde, stellt eine große soziale Gefahr dar. Fehler dieser Art gab es in der Sozialpolitik der Nachwendezeit ohnehin immer wieder. Sie hat zu einem wachsenden Gefühl gesellschaftlicher Entfremdung beigetragen. Und wie wir zuletzt gesehen haben, beschränken sich die Resultate solcher Politik bei weitem nicht nur auf Abwanderung und Wahlbeteiligungen unter 50%.
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