Manchmal passiert es, dass jemand etwas schreibt und man im Anschluss seine Meinung über ihn gründlich ändert.
Das ging mir diese Woche so mit einem Forums-Thread in dem Dr. Antonio Elias vor 9 Jahren anfing Fragen zu beantworten. Er ist derjenige, der die Pegasus-Rakete von Orbital Sciences (jetzt Orbital/ATK) mit entworfen hat und auf dessen Idee sie beruhte.
Einer der wichtigsten Gründe, war die Zeit zu der das stattfand. Orbital Sciences ist bekanntlich neben SpaceX der zweite private Anbieter von Transportflügen zur ISS. Aber 2006 war das längst nicht abzusehen. Es war eine Zeit bevor SpaceX auch nur die Falcon1 zum ersten Mal gestartet hat. Rocketplane-Kistler hatte den zweiten COTS Vertrag bekommen und geriet kurz danach in Zahlungsschwierigkeiten.
Es war noch bevor die Taurus XL in zwei aufeinander folgenden Fehlstarts Satelliten im Wert von über einer halben Milliarde US-Dollar vernichtete. Zu dieser Zeit arbeitete man bei Orbital Sciences an einer neuen Rakete, die die Delta II ersetzen sollte. Diese Rakete war lange Zeit das Arbeitspferd der Amerikanischen Raumfahrt, das oft, zuverlässig und günstig geflogen ist. Das änderte sich aber mit dem EELV Programm, aus dem die Atlas V und Delta IV Raketen hervor gingen. Die machten in ihrer leichtesten Konfiguration der Delta II in ihrer schwersten Konfiguration Konkurrenz. In der Folge wurden immer weniger Delta II Raketen gebraucht und das ist ein ernsthaftes Problem.
Wenn etwas in so kleinen Stückzahlen produziert wird wie Raketen, dann sind die Kosten der eigentlichen Produktion fast völlig egal. Viel wichtiger sind die laufenden Kosten um die Produktionsanlagen in Schuss zu halten und das Personal zu beschäftigen und zu bezahlen. Wenn von einer Rakete nicht mehr 12 Starts pro Jahr gebraucht werden, sondern nur noch 3 oder 4, dann ist das ein großes Problem. Die Rakete wird sofort viel teurer, weil die ohnehin vorhandenen laufenden Kosten auf viel weniger Raketenstarts verteilt werden müssen.
Für Orbital Sciences gelten natürlich auch keine anderen ökonomischen Regeln als für alle anderen auch. Sie mussten sich also etwas einfallen lassen, wie sie eine Rakete bauen konnten, die die Delta II ersetzen kann und trotz der wenigen Starts im Jahr noch für das Unternehmen rentabel ist. Das ist durchaus eine Kunst für sich. Nun ist es ein offenens Geheimnis, dass es nie dazu kam, dass Orbital Sciences die Missionen der Delta II ersetzen konnte. Aber die Rakete die entwickelt wurde bekam trotzdem eine Aufgabe. Es war die heute als Antares bekannte Rakete, die den Cygnus Raumtransporter zur ISS brachte.
Um eine solche Rakete trotz der wenigen Starts noch rentabel zu machen, dürfen die Entwicklungskosten nicht zu hoch werden. Nun war Orbital Sciences schon zu dieser Zeit kein kleines Unternehmen. Den Hauptteil des Geschäfts machte man mit dem Bau von Satelliten, nicht mit dem Bau und Start von Raketen. Obital Scienes ist Weltmarktführer im Bau kommerzieller Satelliten. Das bringt das Unternehmen in eine Situation, in der es möglich ist, zu viel für die Entwicklung einer Rakete auszugeben. Das Unternehmen würde davon nicht Bankrott gehen, wie es bei einem Startup der Fall wäre. Aber es würde das Geschäft schädigen und der Verkauf Raketenstarts könnte wohl niemals die Entwicklungskosten wieder herein holen.
Die Raketenentwicklung ist bei Orbital deswegen ein sehr sparsames Geschäft. Antonio Elias schreibt (auf Seite 9 der Kommentare), dass mit der Entwicklung der Pegasus Rakete in der heißesten Phase nur etwa 50 Leute beschäftigt waren. Bei der Taurus Rakete waren es im Maximum etwa 75 Leute. Das ist durchaus beeindruckend, zeugt aber auch von der Schwierigkeit der Aufgabe, eine profitable Rakete zu bauen die nur so selten gebraucht wird.
Über aktuelle Projekte gibt es natürlich keine derartigen Angaben, weder von SpaceX noch von Orbital. Aber SpaceX hatte schon zur Zeit des Kommentarthreads über 300 Angestellte und heute über 3000. Schon diese Verhältnisse sagen viel darüber aus, wie viel ambitionierter die Pläne von SpaceX im Vergleich zu denen von Orbital Sciences ind.
Das Ergebnis in der Zuverlässigkeit der Raketen ist dann auch nicht mehr überraschend. Die Pegasus hatte 3 Fehlstarts von 42 Starts und zwei Flüge mit zu niedrigem Orbit. Bei der Taurus waren 3 von 9 Flügen nicht erfolgreich und bei der Antares Rakete (die ursprünglich die Delta ersetzen sollte) gab es einen Fehlstart bei 5 Flügen. Die Falcon 9 hat in 18 Flügen noch keine Fehlstarts gehabt. Von einem kleinen Orbcomm Satelliten abgesehen, der als Sekundärnutzlast mitflog. Der Aufwand dafür war aber auch entsprechend größer.
Was ich dort gelesen habe, hat wirklich mein gesamtes Bild von Orbital Sciences und SpaceX im Verhältnis zu den anderen Firmen auf den Kopf gestellt. Zumindest bis zu der kürzlichen Fusion mit ATK war die Raketensparte von Orbital wohl nie mehr als eine kleine Klitsche. Dass dabei keine völlig zuverlässigen Raketen heraus kommen, ist leider kaum zu vermeiden. Die letzten paar Prozent Zuverlässigkeit machen immer den größten Teil der Arbeit aus. Man wird sehen, ob sich das nun mit der Zusammenarbeit mit ATK ändert. Früher war ATK bekannt als Thiokol, ein Name der fest mit dem Challenger Unglück verbunden ist. Allerdings haben sie seit dem sehr gute Arbeit abgeliefert.
Das Fazit aus einer Nacht die ich mir dem Lesen dieses Kommentarthreads um die Ohren schlug, ist jedenfalls, dass ich viel mehr Respekt vor der Arbeit von Orbital Sciences bekommen habe. Nicht weil sich meine Einschätzung des Ergebnisses geändert hätte, sondern weil ich die Größe des Raketengeschäfts bei weitem Überschätzt hatte.
Kommentare (5)