Raketen sind heute das mit Abstand größte und teuerste Wegwerfprodukt der Welt. Das ist ein Zustand, den man praktisch von Anfang an ändern wollte. Über die Jahre gab es eine ganze Reihe Vorschläge und Konzepte, aber keines war so fatal für die Idee der wiederverwendbaren Raketen, wie das Space Shuttle.
Aber beginnen wir von vorn. Eine normale Rakete wird grundsätzlich so leicht wie möglich gebaut, um die Nutzlast zu maximieren. Wenn man eine Rakete wiederverwenden will, dann wird man auf die eine oder andere Weise mehr Gewicht brauchen als sonst. Wer meinen Artikel über Raketenstufen gelesen hat, weiß wo man das am besten tun sollte. Nämlich möglichst weit unten. Zusätzliches Gewicht in den unteren Stufen fällt durch die Stufentrennung weiter oben im wahrsten Sinn des Wortes, nicht mehr so sehr ins Gewicht.
Die untere Stufe hat noch einen Vorteil bei der Wiederverwendung: Sie ist die langsamste. Die Geschwindigkeit ist je nach Rakete unterschiedlich, aber typische Werte sind grob 2-3km/s (6-10fache Schallgeschwindigkeit). Die dabei wirkenden Kräfte sind recht groß und die Wände der Rakete heizen sich auch etwas auf. Aber das ist nichts im Vergleich zu den enormen Geschwindigkeiten der 2. oder 3. Stufe. Noch dazu kommt, dass die erste Stufe die bei weitem größte ist und den meisten Schub liefern muss. Deswegen ist sie im allgemeinen auch der teuerste Teil der Rakete.
Daher kommen auch die vielen Konzepte für Starts von einem Trägerflugzeug. Das Flugzeug stellt eine (relativ schlechte) erste Stufe dar, die wiederverwendbar ist und immerhin die Nutzlast der restlichen Rakete verdoppeln kann.
Will man die zweite Stufe in einem Stück zurück haben, braucht die einen genauso guten, schweren und aufwändigen Hitzeschutz, wie ein Raumschiff. Aber jedes zusätzliche Kilogramm Gewicht der zweiten Stufe ist ein Kilogramm weniger Nutzlast (in einer zweistufigen Rakete). Wenn man nun vor hat durch Wiederverwendung von Raketenteilen Geld einzusparen, dann ist die zweite Stufe der falsche Ort um damit anzufangen.
Das Space Shuttle
Das Space Shuttle ist die zweite Stufe einer Rakete und das war nicht der einzige Fehler. Ein volles Space Shuttle mit Nutzlast und Treibstoff für die Manövriertriebwerke wog auf der Startrampe etwa 120 Tonnen. Das ist so viel, wie eine leere Boeing 787. Etwa 20 Tonnen davon sind Treibstoff, weitere 20 Tonnen sind Nutzlast, die restlichen 80 Tonnen waren das SpaceShuttle selbst.
Es nützt wenig, wenn man dieses Ding dann wieder zurück am Boden hat, denn der Aufwand es erst einmal in den Orbit zu bringen ist riesig und der Nutzen ist klein. Es wurden $200 Mrd für 135 Flüge ausgegeben. Es war ein derart mieses Beispiel, dass es über Jahrzehnte Investoren und Regierungen verschreckt hat, Pläne für die Wiederverwendbarkeit von Raketen zu finanzieren.
Dabei ist der Preis noch vertretbar, wenn man nur die Masse anschaut die in den Orbit gebracht wurde. Pro Flug 100 Tonnen in eine niedrige Umlaufbahn. Das macht $15mio pro Tonne. Eine Delta II von 1987 hätte 6 Tonnen für (inflationsbereinigt) $108mio in den Orbit gebracht – oder $18mio pro Tonne. (*) Sicher kein Preisbrecher, aber auch nicht übertrieben teuer. Bis man bedenkt, dass nur maximal 20% davon Nutzlast sind. (Tatsächlich war der Durchschnitt etwa 10-11 Tonnen Nutzlast pro Flug.) Dabei wurde das Space Shuttle als die billige Alternative zu allen anderen Raketen angepriesen.
(*) Wenn man der Wikipedia trauen darf. Ich fand mehrere leicht widersprüche Angaben, die aber alle halbwegs ähnliche Werte liefern.
Anstatt die teure erste Stufe wiederzuverwenden, glaubte man beim Shuttle einen besseren Weg gefunden zu haben. Man baut eine möglichst einfache, billige erste Stufe (die Feststoffbooster) und eine extrem effiziente zweite Stufe, die dann so teuer und komplex sein kann wie sie will. Schließlich kommt sie immer wieder in einem Stück zurück. Das Problem ist nur, dass eine möglichst billige erste Stufe immernoch sehr teuer ist.
Auch die Komplexität des Shuttles – der zweiten Stufe – der Triebwerke, der Flügel, der Passagiere und der Ansprüche der Crew auf ein möglichst wahrscheinliches Überleben des Fluges, hat man bei weitem unterschätzt. Die Triebwerke waren viel wartungsanfälliger als man glaubte. Anstatt das frisch gelandete Space Shuttle gleich wieder auf die Startrampe bringen zu können, kam vor jedem Flug etwas, das bei Flugzeugen eine Generalüberholung alle 10-20 Jahre wäre. Wobei ein guter Teil der Probleme auch dem politischen Verfahren der Entwicklung des Shuttles geschuldet ist. Während der Planung sollte es immer größer werden, immer mehr Nutzlast befördern können und immer größere Manöver beim Landeanflug vollführen können. Das Trieb die Kosten und die notwendige Leistung entsprechend immer weiter in die Höhe.
Die Flügel sind beispielsweise nur deswegen so groß, weil das Shuttle einen Flug über die Pole vollführen können sollte, dabei einen Spionagesatellit aussetzen und trotz der Erdrotation wieder zurück zum Startpunkt fliegen sollte. Damit wäre es kein orbitaler Flug gewesen und nur orbitale Flüge müssen nach dem Weltraumvertrag international angekündigt werden. Nichts dergleichen wurde auch nur im Ansatz jemals getan. Die US Airforce, die diese Anforderung aufgestellt hat, verzichtete auf die eigene Shuttle-Flotte (“Blue Shuttles”) die sie eigentlich haben wollte.
Dabei ist es in der Politik offensichtlich nie konsensfähig geworden, erst einmal mit einem kleinen Demonstrationsraumschiff anzufangen, um Erfahrung zu sammeln. Es musste gleich das ganz große Ding sein und natürlich bemannt. Die Triebwerke gehören bis heute zu den komplexesten der Welt. Zuverlässige Technik, die man sofort wieder verwenden kann, ist aber nicht komplex, sondern möglichst einfach aufgebaut. Wenigstens am Anfang, wenn man noch keine Erfahrung hat. Und das SpaceShuttle war das erste seiner Art.
Delta Clipper, X-33 und Hopper
Die einzigen die nach dem Space Shuttle noch von Wiederverwendbarkeit sprachen, waren einige Unverbesserliche, die es mit skeptischen Finanziers zu tun hatten. Dazu gehörte das Team um die DC-X “Delta Clipper”. Ein Prototyp im Modellmaßstab für eine wiederverwendbare Rakete, die im vollen Maßstab ohne Stufentrennung direkt in den Orbit gelangen sollte.
Das Modell wurde erfolgreich getestet. Beim letzten Testflug brach aber eine der Landestützen, die DC-X explodierte und die Finanzierung fehlte für eine Fortsetzung. Das Modell hätte es auch nie in den Orbit geschafft. Es hatte einen Leermasseanteil von etwa 50% und wäre damit maximal auf eine Geschwindigkeit von etwa 2km/s gekommen. Für den Flug in den Orbit hätten aber wenigstens 88-90% der Rakete aus Treibstoff bestehen müssen – den Treibstoff für Rückflug und Landung nicht eingerechnet! Man wäre damit wohl stufenlos unglücklich geworden, weshalb wohl letztlich auch die Finanzierung fehlte. Denn ein wirtschaftliches Konzept war darin kaum zu sehen.
Ganz ähnlich erging es der X-33 die nach $1,2Mrd Investitionen wegen Undichtigkeiten im Kohlefaser-Wasserstofftank noch vor der Fertigstellung des Prototyps eingestellt wurde. Man hätte ihn wohl schwerer bauen müssen. Aber weil auch die X-33 ohne Stufentrennung auskommen sollte, wäre sie dann nicht mehr mit der geplanten Nutzlast in den Orbit gekommen. Und mehr als erwähnen möchte ich die “Rotary Rocket” Ende der 90er Jahre auch nicht.
Hier ging man immer davon aus, dass man eine wiederverwendbare Rakete entwickelt, indem man eine neue Rakete konstruiert die von Anfang an wiederverwendbar ist. Wie ein Flugzeug, nur schneller. Meistens extrem komplex und teuer, bei sehr kleiner Nutzlast, weil man keine zweite Stufe haben wollte.
Etwas besser machte es der Hopper von der ESA. Der sollte von einer Magnetschienenbahn aus mit einer gewissen Anfangsgeschwindigkeit starten, mit drei Vulcain Triebwerken von der Ariane 5 Rakete angetrieben werden und eine zweite Raketenstufe aussetzen. Ein Modell im Maßstab 1:6 wurde gebaut, in 2,5km Höhe ausgesetzt und ist automatisch zurück geflogen. Von dem Projekt hat man nie wieder etwas gehört. Die Investitionen, allein für die Startbahn und die Entwicklung des gesamten Hoppers, wären wohl zu groß geworden.
Baikal und der Liquid Fly-Back-Booster
Aber wie wäre es, nur den unteren Teil der Rakete wiederverwendbar macht und den Rest so läßt wie er ist? Das ist eine bessere Idee, aber auch nicht immer leicht umzusetzen. Da gab es zum Beispiel den Liquid Fly-Back Booster (LFBB) für die Ariane 5. An sich eine gute Idee. Die Rakete ist die gleiche, man baut nur neue Booster. Statt Feststoffboostern benutzt man eine Art Flugzeug mit Wasserstoffraketenantrieb – drei Vulcain 2 Triebwerke pro Stück. Die höhere Leermasse wird durch die effizienteren Triebwerke mehr als nur ausgeglichen. Für den Rückflug kommen Wasserstoffbetriebene Düsentriebwerke zum Einsatz.
Das Problem ist nur: Das ist schon wieder eine hochkomplexe und teure Maschine. Es ist ein ganzes Flugzeug, das sehr ungewöhnliche Kräfte und extrem hohe Geschwindigkeiten aushalten muss. Es muss ein exotisches Triebwerk gebaut werden und das ganze muss funktionieren. Wenn es nicht funktioniert, oder die Wartungskosten auch nur etwas höher sind als geplant, dann rechnet es sich nicht und bis dahin hat man Milliarden ausgegeben. Folglich wurde das Projekt auch nicht weiter verfolgt.
Ein ganz ähnliches Schicksal wird wohl auch dem russischen Pendant widerfahren, dem Baikal Booster. Wobei man es bei dem noch nicht abschließend sagen kann, denn er ist für die Angara Rakete geplant, die erst letztes Jahr ihre ersten Testflüge absolviert hat.
Falcon 9-R
Der neueste und bisher realistischste Ansatz ist wohl die Falcon 9-R. Sie ist in einer Hinsicht anders als alle anderen Vorschlägen bisher. Es geht nicht darum eine neue, hochkomplexe Rakete zu entwerfen, sie zu bauen und dann zu hoffen, dass das alles schon irgendwie wirtschaftlich sein wird. Die Falcon 9-R ist eine herkömmliche Falcon 9 Rakete, die auch heute schon eine sehr wirtschaftliche, zuverlässig funktionierende Rakete ist.
Anstatt große Flügel und zusätzliche Triebwerke an die ganze Rakete anzubauen (Baikal/LFBB), oder die Triebwerke abtrennbar zu machen und daran Flügel und Triebwerke anzubauen (Adeline – für die Ariane 6) oder die Triebwerke abzutrennen, mit einem Fallschirm auszurüsten und dann mit einem Hubschrauber einzufangen (Vulcan Rakete “Smart Reuse” Konzept) – hat man sich auf minimale Änderungen beschränkt und diese an realen Raketen getestet.
Das waren einmal die Grasshopper Testraketen, die aus einer ersten Stufe der Falcon 9 mit nur einem Triebwerk bestanden. Mit ihnen wurde hauptsächlich die Steuerung der Landung erprobt. Zusätzlich gab es Tests während der ganz normalen Starts der Falcon 9 Rakete. Nach erfolgreich durchgeführter Mission ließ man die erste Stufe probeweise Landemanöver über dem Meer fliegen. Man benutzte zunächst die Raketentriebwerke um die Stufe im Flug abzubremsen, damit die Raketenstufe die Querkräfte durch die Luftreibung übersteht, dann um zum Landegebiet zu fliegen und ein weiteres mal um kurz vor dem Meer abzubremsen.
Nach einigen Versuchen fügte man kleine Gitterflossen zur besseren Steuerung der Raketenstufe hinzu und Landebeine, die man schon mit dem Grasshopper erprobt hat. Für die Landung hat man unbemannte Lastschiffe geleast (engl. Barge … kennt jemand dafür eine griffige deutsche Übersetzung?) und mit einem Landedeck versehen. Noch ist keine Landung geglückt. Aber da die Raketenstufen im Moment der Stufentrennung abgeschrieben sind, sind die Tests vergleichsweise günstig. – Auch wenn der Einsatz der Schiffe gewisse Kosten verursacht, besonders durch die Beschädigungen bei den missglückten Landeversuchen. In einem Fall ist das Schiff auch in einen Sturm geraten und wurde dabei schwer beschädigt.
Der erste Landeversuch scheiterte daran, dass der Steuerung für die Gitterflossen die Hydraulikflüssigkeit ausging und mit vollem Ausschlag in einer Richtung stecken blieben. Der Landecomputer steuerte die Rakete trotzdem zielgenau zur Schiff … was, schräg wie die Rakete angeflogen kam, durchaus unterhaltsam endete:
Es ist jedenfalls absehbar, dass die Landung irgendwann funktionieren wird. Beim letzten Versuch reagierte ein Treibstoffventil langsamer als es sollte, was zu erratischem Steuerverhalten der Rakete im Landeanflug führte. Und trotzdem kam man einer erfolgreichen Landung schon sehr nahe:
Hätte man die Falcon 9-R so entworfen, wie alle anderen Raketen die ich hier vorgestellt habe, wäre das Projekt längst Geschichte. Alle anderen Rakete waren nur wirtschaftlich, wenn von Anfang an alle Flüge und Landungen tadellos klappen. Die Falcon 9-R kann dagegen einige Slapstick Einlagen verkraften, die sehr an die ersten Raketen der 50er und 60er Jahre erinnern, als schon das Starten ein großes Problem war.
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