Manche Diskussionen sind nicht tot zu kriegen. Dazu gehören sämtliche Diskussionen, wann uns wohl der eine oder andere Stoff ausgehen wird und dass der Untergang unserer Zivilisations dann unvermeidlich ist. Das wird dann begleitet von Presseberichten, dass uns Stoff X in 20 Jahren ausgehen wird, wenn wir so weiter machen.
Keine dieser Vorhersagen ist jemals eingetroffen und da haben wir nicht einfach nur Glück gehabt. Der Grund ist ein einfaches Missverständnis der Zahlen. Die Zahlen klingen immer sehr überzeugend. Wir bauen jedes Jahr 1mio Tonnen Triluptan ab. Die Reserven betragen nur noch 30mio Tonnen. Wir bauen aber jedes Jahr immer mehr Triluptan X ab. Folglich haben wir in 20 Jahren kein Triluptan mehr. Aber 20 Jahre später schaut man wieder zurück auf die Prognose und stellt fest, Triluptan gibt es immernoch. Und die Reserven sind sogal größer als vor 20 Jahren!
Darauf hin gibt es die nächste Story die sagt: Jaaahaaa, aber das war nur Glück! Man hat jetzt noch auf den Kerguelen mehr Triluptan entdeckt und die Lagerstätte auf den Kerguelen gehört jetzt zu den Reserven. Wäre das nicht passiert, wäre jetzt alles aus und der Untergang der Menschheit eine sichere Sache!
Es steckt aber kein Glück dahinter. Was sind denn “Reserven”? Wenn wir von dem Wort sprechen, dann meinen wir damit etwas, auf das wir sofort Zugriff haben. Früher zum Beispiel die Kohlen im Keller. Auch da kann man ähnliche Berechnungen anstellen. Man hat noch 300kg Kohlen im Keller und verbraucht etwa 10kg Kohlen pro Tag. In einem Monat sind die Reserven aufgebraucht und dann wird man in der Wohnung erfrieren und nie wieder heizen können. Oder man bestellt neue Kohle vom Lieferanten, denn außerhalb des Kellers gibt es noch jede Menge mehr Kohle.
So ähnlich ist es mit den Reserven im Bergbau. Sie sind das engste Kriterium überhaupt. Zur Reserve wird ein Stoff erst, wenn man so ziemlich alles über ihn weiß. Man muss wissen wo genau er ist. Wieviel sich in genau welcher Konzentration exakt wo befindet. Man muss genau wissen, wie man ihn abbauen kann und man muss auch die gesamte Kalkulation vorlegen können, was das kostet. Man muss dafür nicht nur exakt sagen, welche Technologie dabei verwendet wird. Es muss auch schon jahrelange Erfahrung im Umgang mit dieser Technologie geben. Sonst kann man nicht mit Sicherheit beurteilen, wieviel der Abbau kostet. Bei einer neuen Technik könnte es immer böse Überraschungen geben, durch die die Kosten höher sind als erwartet.
Wieso rede ich ständig von Kosten? Weil die Kosten ein wichtiger Bestandteil bei der Berechnung der Reserven sind. Sagen wir, wir wüssten, dass in einem Berg 50.000 Tonnen Triluptan sind und man genau weiß, wo wieviel ist, wie man das abbaut, wieviel es kostet und so weiter. Dann gehört es nicht zu den Reserven, wenn der Marktpreis für Triluptan gerade 600 Euro pro Tonne beträgt, der Abbau aber 650 Euro pro Tonne kosten würde. Die neuen Reserven von Triluptan auf der Kerguelen waren vielleicht schon lange bekannt. Sie haben nur nie dazu gezählt. Das kann mehrere Gründe haben.
Der Marktpreis ist gestiegen, von 600 Euro pro Tonne auf 700 Euro. Schon gehört das Triluptan in dem Berg zu den Reserven. Oder es hat eine Wirtschaftskrise gegeben und die Löhne sind gesunken, so dass man nun für unter 600 Euro pro Tonne abbauen kann. Oder es wurde eine regelmäßige Schiffverbindung zu den Kerguelen eingerichtet, die den Transport zu vernünftigen Preisen möglich macht. Oder es gab schon vor 20 Jahren eine neue Technik, die jetzt erst ausgereift ist. Oder man wusste schon seit Jahrzehnten von dem Triluptan auf den Kerguelen und hat jetzt erst Leute mit der teuren Technik losgeschickt, die man braucht um genau sagen zu können, wieviel Triluptan sich in welchen Gesteinsschichten in welcher Konzentration befindet. Oder es hat sich einfach nur endlich jemand hingesetzt und Pläne gemacht, wie man es abbaut und wieviel es kostet.
Was zur Reserve eines Stoffs gehört, ist also sehr variabel. Vor allem kostet es viel Geld alles das ganz genau zu bestimmen. Wenn man jetzt der Chef einer Bergbaufirma ist und genau weiß: Da hinten in dem Berg, ist noch jede Menge Triluptan. Aber in dem Bergwerk das wir gerade betreiben ist noch genug für die nächsten 30 Jahre. Dann wird man keinen größeren Ehrgeiz entwickeln, jetzt schon ganz exakte Pläne zu machen wie man das Triluptan in dem Berg fördern wird. Wer weiß schon, wie sich die Preise, die Löhne und die Technik entwickeln? Außerdem kosten die Probebohrungen viel Geld, das aus dem laufenden Geschäft oder mit Krediten finanziert werden muss. Und das würde zu diesem Zeitpunkt noch niemand tun – erst wenn es so weit ist, oder wenn die Marktpreise und die Nachfrage so hoch sind, dass die Banken jederzeit günstige Kredite dafür gewähren.
Alles was nicht ganz so genau bekannt ist, aber ganz gut abschätzbar ist, gehört zur Reservenbasis. Dazu gehört auch alles, was bei der angenommenen Preis- und Technologieentwicklung später profitabel abbaubar sein wird.
Um einmal ein echtes Beispiel zu nennen: Die Kohlevorkommen im Ruhrgebiet werden nicht mehr abgebaut. Sie gehören auch nicht zur Reserve, weil der Abbau zu teuer ist. Ganz ähnliches gilt für die Kohle in Nordostengland. Tatsächlich sind sie nur ein kleiner Teil von Kohlevorkommen, die dort nur zufällig recht nahe an der Erdoberfläche liegen. Unter der Nordsee, Deutschland und den Niederlanden befinden sich auf riesigen Gebieten mächige Kohleschichten in mehreren Kilometern Tiefe, die weit über alles hinaus gehen, das bisher abgebaut wurde. Sie waren einmal die Quelle für die Erdöl- und Erdgasvorkommen, die wir derzeit dort abbauen.
Aber obwohl die Kohlevorkommen gut bekannt sind, werden sie in absehbarer Zeit niemals als Reserve oder echtes Kohlevorkommen gehandelt werden. Sie sind einfach zu tief um sie direkt abzubauen. (Es gibt aber Pläne, Wasser in die Kohleschichten einzupumpen, das sich dann vor Ort in CO2 und Methan verwandeln würde.)
So ähnlich sieht es mit praktisch allen Stoffen aus. Die genaue Bestimmung der Reserven findet nie viel schneller statt, als der Abbau selbst. Deswegen werden sich die Reserven der meisten Stoffe immer nur im Rahmen von einigen Jahrzehnten bewegen. Mehr als das ist für die Bergbauunternehmen einfach nicht nötig um Planen zu können.
Dazu kommen noch ganz andere Zusammenhänge. Viele Stoffe werden nicht abgebaut, sondern sind einfach nur ein Abfallprodukt beim Abbau eines anderen Stoffs. Man weiß, dass bestimmte Erze einen gewissen Anteil an Osmium oder Rhodium haben, aber man sucht nicht nach Osmium oder Rhodium Erzen. Ganz ähnliches gilt für einige der seltenen Erden. Eine direkte Suche war noch nie interessant. Man fängt erst an nach einem bestimmten Stoff zu suchen, wenn er interessant ist. Uran war typisch dafür. Wozu sollte man im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Uran suchen, wo man es doch nur in kleinen Mengen für die Gewinnung von Radium und einiger Glasuren von Keramik brauchte?
Man hat nicht danach gesucht und so waren in den 1940er Jahren auch nur wenige Vorkommen bekannt. Man glaubte, Uran wäre ein knapper Stoff und war sich sicher, dass er ohne den Einsatz von schnellen Brütern sehr schnell ausgehen würde. Aber er blieb nicht lange knapp. Uran ist heute, im Vergleich zum Verbrauch, billig und reichlich vorhanden. Es kostet etwa $100 pro kg und die Reserven bewegen sich im Rahmen von einigen Millionen Tonnen. Aber noch bevor der Preis $1000 pro kg erreicht, wird man Uran aus Meerwasser wirtschaftlich gewinnen können. An dem Punkt werden die Reserven sprungartig um 3-4 Milliarden Tonnen ansteigen.
Aus dem gleichen Grund stiegen auch die Erdölreserven und die Erdölförderung genau zu dem Zeitpunkt an, als der Peakoil angekündigt wurde und scheinbar absehbar war. Die Preise stiegen so weit, bis man altbekannte Vorkommen lohnenswert abbauen konnte. Davor gehörten sie nur nicht zur Reserve, weil das Öl zu billig war.
Man sollte auch nicht vergessen, dass gerade beim Öl immer nur ein Bruchteil der eigentliche Ölmenge im Boden gefördert wird. Bei der derzeit verwendeten Technik, kann man nicht alles Öl födern. Aber im Lauf der Zeit hat man immer mehr Techniken gefunden um diesen Anteil zu steigern und auch das wird in Zukunft nicht aufhören, erst recht nicht, wenn sich bei steigenden Preisen auch ein immer höherer Aufwand lohnt.
Zuletzt sei noch gesagt, dass uns alle Stoffe, die keine Brennstoffe sind, nicht ausgehen können. Und selbst da wissen wir, dass es Alternativen gibt die uns nicht ausgehen werden. Atome verschwinden nicht von der Erde. Wenn wir Platin in Katalysatoren verwenden, können wir Platin aus Katalysatoren gewinnen. Wenn wir Neodym in Dynamos von Windturbinen verwenden, dann können wir Neodym in Dynamos von alten Windturbinen finden und so weiter. Auch Phosphor ist nicht einfach weg. Es findet sich in Form von Biomasse in der Natur und lässt sich auch in Form von Biomasse abbauen. Es gibt mehr als genug abgestorbener Tiere und Pflanzen am Boden der Ozeane. Und genau dort landet auch der Phosphor, der uns angeblich ausgeht.
Aber noch bevor Phosphor jemals Biomasse wird, ist er Bestandteil von Felsen gewesen. Nur hat sich noch nie jemand damit ernsthaft beschäftigt, wie man daraus effizient Phosphor gewinnt und wo es die dafür am besten geeigneten Minerale gibt. So lange es riesige Vorkommen von Vogelscheiße .. äh, pardon … Guano gibt, ist das einfach nicht nötig.
Um die Frage zu beantworten: Wann wird uns [furchtbar wichtiger Stoff X] ausgehen?
1) Niemals.
2) Wenn doch, wird er ersetzt.
(Helium ist in gewisser Weise ein Sonderfall. Diese Atome können tatsächlich aus der Atmosphäre entkommen. Allerdings entsteht Helium ständig neu, durch den radioaktiven (Alpha-)Zerfall von Uran und Thorium. Und auch Helium ist heute nur ein Nebenprodukt von der Erdgasförderung. Bisher hat noch niemand gezielt nach Heliumvorkommen in der Erdkruste gesucht, um sie abzubauen. Trotzdem wäre es – wie bei allen anderen Stoffen – gut, mit Helium nicht verschwenderisch umzugehen.)
Kommentare (18)