Während der Streit um die Krim erst 2014 wieder in das Bewusstsein der Westeuropäer rückte, war er keineswegs neu. Schon 1991 machte das neu entstandene Russland seine Ansprüche an der Krim klar. Die Ukraine war lange Zeit eine Sowjetrepublik, deren genaue Grenzen innerhalb der Sowjetunion keine große Rolle spielten. Die Krim kam erst 1954 durch Nikita Chruschtschow zu der Republik hinzu. Russland bestand auf den Status quo ante und die Ukraine auf die neuere Grenzziehung. Aber damit ist längst nicht alles gesagt.
Vor Chruschtschow wurde die Sowjetunion vom in Ungnade gefallenen Menschenfreund und Alliierten der Alllierten Josef Stalin regiert. Dessen Regierung zeichnete sich durch massive Umsiedlung ganzer Völker aus. Das alte Polen, das ein Drittel von Weißrussland und etwa ein Sechstel der Ukraine ausbachte, wurde bekanntlich nach Westen ins heutige Territorium verlagert. Gleichzeitig siedelte er die Krimtataren von der Krim in andere Gebiete der Sowjetunion um. Diese kühle Beschreibung lässt die Brutalität des Vorgehens und natürlich völlig verblassen. Es kam zu Millionen von Toten.
Die Krimtataren wurden in der Diskussion um die Krim vor allem als Ureinwohner oder ethnographische Kuriosität vorgestellt. Tatsächlich geht deren Geschichte aber bis auf die Urspünge des heutigen Konflikts zurück. Denn es handelt sich um niemand geringeren als die Nachfahren der Goldenen Horde der Mongolen. Als die Mongolen die asiatische Steppe trafen sie im Gebiet der heutigen Ukraine auf die Kiewer Rus. Ein russischer Staat, dessen Hauptstadt die heutige ukrainische Hauptstadt Kiew war, dessen Territorium aber auch bis in die nördlicher gelegenen Waldgebiete an der Moskwa reichten.
Je nach Geschichtsauslegung führte das nun entweder dazu, dass die Moskauer sich der Mongolen besser erwehren konnten oder dazu, dass es den Moskauern besser ging, weil sie mit den mongolischen Barbaren gemeinsame Sache machten. In jedem Fall führte die Invasion der Mongolen nicht nur zu einem gesellschaftlichen Kollaps und unglaublichem Blutvergießen, sondern auch zum Ende der Kiewer Rus.
Das Reich der Mongolen zerfiel in kaum mehr als 100 Jahren, aber jedes der vier Khanate hinterlies Staaten und Menschen, die dort verblieben. Das größte Gebiet nahm das westliche Khanat ein, das der goldenen Horde. Deren Einfluss schrumpfte im Lauf der Zeit immer mehr. Das Gebiet der südlichen Krim war vor dieser Zeit ein Teil des byzantinischen Reichs, das nach der Eroberung durch die Mongolen auch wieder von den Byzantinern zurück erobert wurden. Die Byzantiner ihrerseits waren natürlich Griechen, die sich Römer nannten und hauptsächlich in der heutigen Türkei lebten, bis sie im 11./12. Jahrhundert größtenteils von den Seldschuken verdrängt wurden. Die kmen aus der Gegend östlich des Kaspischen Meeres, die heute Turkmenistan ist – die Seldschuken gehörten zu den Turkvölkern.
Beim Zerfall des byzantinischen Reichs erklärten sie die Bewohner der südlichen Krim und einiger Gebiete im südlichen schwarzen Meer zum Reich Trebizont. Das hatte noch etwa 100 Jahre Bestand, bis es von dem aufstrebenden Osmanischen Reich erobert wurde. Der Rest der Krim und die Gebiete der heutigen südlichen Küstengebiete der Ukraine wurden damals noch von den Mongolen der Goldenen Horde beherrscht. Der äußerste Osten der Ukraine – der heutige Donbass – gehörte zur inzwischen etablierten Moskauer Monarchie.
Der Rest der Ukraine war je nach politischer Gesinnung und angestrebter Argumentation entweder soetwas wie eine Kolonie der polnischen Unterdrücker oder ein unabhängiger, selbstverwalteter Staat der Kossaken (die heute als die Wurzeln der Ukrainer gelten). Die Rolle der Polen oszilliert in der politischen Geschichtsdarstellung genauso zwischen Beweis westlicher Dekadenz und Beweis der Nähe zum Westen.
Nach der Eroberung von Trebizont und der angrenzenden Gebiete setzten die Osmanen im 15. Jahrhundert wieder einen mongolischen Khan als Herrscher eines Vassallenstaats ein, der bis zum 18. Jahrhundert bestand hatte. Denn im 18. Jahrhundert taten es die Osmanen den Byzantinern vor ihnen gleich. Ihr Reich zerfiel langsam. Stück für Stück verloren sie an Macht, bis ins 20. Jahrhundert hinein. 1783 wurde das Khanat schließlich von Russland annektiert, als Gouvernement Taurien (benannt nach dem griechischen Namen der Krim).
Der Niedergang des Osmanischen Reichs machte den westeuropäern Sorgen, weil sie in jedem Fall ein stärkeres Russland verhindern wollten. Deswegen alliierten sich Mitte des 19. Jahrhunderts Franzosen und Engländer mit den Osmanen, die Russland 1853 den Krieg erklärten um möglichst die Krim und Sevastopol zu erobern. Die Stadt war damals schon Schwarzmeerhafen der russischen Flotte. Nach 3 Jahren sahen sich alle Parteien zu Verhandlungen gezwungen. Russland behielt die Krim und verlor seinen Einfluss weiter westlich in Moldawien, durfte aber laut Friedensvertrag kein Arsenal in Sevastopol errichten und so blieb die russische Flotte mit wenig Einfluss im Schwarzen Meer.
Nach der russischen Revolution 1917 erklärte sich die Halbinsel Krim kurzfristig zur eigenen Volksrepublik Krim, während der Festlandanteil Tauriens den östlichen Rand der Ukraine bildete. Nur die Hafenstadt Sevastopol gehörte weiter explizit zu Russland. Aufstände der Bolschewiki in der Ukraine und der Einmarsch sovietischer Truppen in die Ukraine führten schließlich 1917 zum Krieg. Die Ukraine kämpfte zusammen mit deutschen und österreichischen Truppen und eroberte das Gebiet der damaligen Ukraine, die Krim und auch den Donbass. Bis zu Kapitulation Deutschlands Ende 1918, als sich die Truppen zurück zogen und die Sowjetunion die Ukraine eroberte.
Die ukrainische Sicht der ganzen Geschichte kann man jedenfalls in einem 4-teiligen englischsprachigen Film sehen, die der polnische Regisseur Jerzy Hoffman 2008 in Zusammenarbeit mit ukrainischen Historikern gedreht hat.
Der Film hat bei mir einen bitteren nationalistischen Beigeschmack hinterlassen. Diese Darstellung der Geschichte erreicht eine Identifikation der Ukraine nicht durch Abgrenzung von Russland, sondern durch dessen Abqualifizierung. Das ist aber genau der Punkt, an dem Patriotismus und Zusammengehörigkeitsgefühl zu Nationalismus und Fremdenhass umschlagen. Die Russische Seite ist da natürlich auch nicht besser.Gerade soweit es die Geschichte der Krim betrifft, hat sich hier niemand mit Ruhm bekleckert. Weder Franzosen, noch Engländer, noch Deutsche, Österreicher, Osmanen oder Russen.
Es ist also kaum zu erwarten, dass irgendeine Seite in diesem Konflikt mit einem höheren moralischen Anspruch punkten können wird. Von dem Pragmatismus der in dieser Situation nötig wäre, ist man aber auch weit entfernt. Vielleicht sollte man die Verhandlungen denen übergeben, die von allen am wenigsten zu verlieren haben: Den Mongolen.
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