Es ist wirklich keine neue Erkenntnis, dass Wildschweine in Deutschland auch heute noch teilweise mit Cs-137 in Folge des Unfalls von Tschernobyl vor knapp 30 Jahren belastet sind. Nun geriet ich in eine Diskussion deswegen (es wurde wohl ein Schwein mit über 4000Bq/kg entdeckt) und bekomme das Thema gerade nicht aus dem Kopf.
Tatsächlich kann man die gemessenen Werte der letzten 3 Jahre aus der Probennahme öffentlich einsehen. Darin gibt es noch zwei weitere Fälle mit über 4000Bq/kg. Der höchste hatte sogar knapp 10.000Bq/kg. Der Durchschnitt der Proben wird nicht automatisch angegeben, nur der Median. Aber man kann die Werte in diversen Formaten herunterladen und beliebig bearbeiten. Der Durchschnitt aller Proben lag bei 255 Bq/kg. Der Durchschnitt aller Proben unter dem Grenzwert von 600Bq/kg lag bei etwa 55Bq/kg.
Nun stellt sich die Frage: Was sollen uns diese Zahlen sagen? Kann man Wildschweinfleisch noch essen? Und wenn ja, wieviel? Nun kann ich mich nicht erinnern, in einem Jahr einmal ein ganzes Kilogramm Wildschweinfleisch gegessen zu haben, aber nehmen wir einmal diesen Wert als “realistisch” an. Aber um auf der sicheren Seite zu sein, nehmen wir noch einen unrealistischen Wert von 90kg pro Jahr. Das ist der durchschnittliche Fleischkonsum pro Kopf in Deutschland.
Für sich betrachtet, sind die Angaben völlig nutzlos. Einen Wert gewinnen sie nur, weil wir wissen, dass es sich um Cs-137 handelt. Denn jedes Element verhält sich im Körper anders und jedes radioaktive Isotop hat andere Einflüsse auf den Körper, je nach Art und Energie der Strahlung. Cäsium reichert sich dabei hauptsächlich in den Muskeln an, weshalb man es auch immer wieder im Fleisch von Wildschweinen findet. Im Menschen passiert das gleiche. Das “Anreichern” ist dabei nicht so zu verstehen, dass es ewig im Körper verbleibt. Es wird mit der Zeit ausgeschieden, in der Zwischenzeit ist es aber natürlich im Körper. Cäsium ist nun ein Gammastrahler, so dass die Strahlung den gesamten Körper betrifft und nicht nur die Muskeln. Einige Stoffe betreffen fast nur ein bestimmtes Gewebe oder ein bestimmtes Organ. Iod-Isotope sind zum Beispiel bekannt für ihren Einfluss auf die Schilddrüse.
Der nächste Schritt besteht dann darin, aus der Verteilung des Cäsiums die Strahlungsdosis der diversen Organe auszurechnen und entsprechend ihrer Anfälligkeit auszurechnen, wie groß die potentielle Radiotoxizität des Stoffs ist. Das ist letztlich nichts anderes als die Strahlendosis eines Gewebes multipliziert mit einem Faktor, der die Empfindlichkeit des Gewebes beschreibt.
Nun gibt es zum Glück Leute, die uns die Arbeit abnehmen und ausrechnen, welche Wirkung daraus zu erwarten ist. Je nach Annahmen sind die Werte unterschiedlich. Aber da kann man sich leicht behelfen, indem man den höchsten Wert wählt und somit auf der sicheren Seite ist. Der höchste Wert aus diesen vier Quellen liegt bei 1,3*10^-5 mSv/Bq. (Also 0,013 µSv/Bq) Das ist die gesamte Dosis die der Körper absorbieren würde, bis das Cäsium den Körper wieder verlassen hat.
Wenn jemand also ein halbes Kilogramm der am höchsten belasteten Probe (10.000Bq/kg) gegessen hat, dann entspricht das einer Dosis von 5000*0,013 µSv/Bq = 65µSv. Die typische Strahlungsdosis eines Bürgers in Deutschland liegt bei etwa 4000µSv pro Jahr. Selbst diese Menge würde also kaum ins Gewicht fallen.
Aber was, wenn man selbst dieses Schwein geschossen hat, nichts von dem Cäsium weiß und sich nun das ganze Jahr von dessen Fleisch (90kg/Jahr) ernähert? In dem Fall würde man 900.000 Bq zu sich nehmen. Würde man das nun jedes Jahr tun, entspräche es einer Dosis von 11,7mSv/Jahr. Das entspricht ziemlich genau der natürlichen Hintergrundstrahlung in Denver, Colorado. (Es würden aber noch 2mSv nat. Hintergrundstrahlung in Deutschland und durchschnittlich 2mSv hauptsächlich durch medizinische Anwendungen hinzu kommen.)
Man kann die Sache auch etwas realistsicher betrachten. Anstatt von der höchsten gefunden Belastung auszugehen, könnte man von der Durchschnittlichen Belastung ausgehen die man hätte, wenn niemand das Fleisch überprüfen würde und auch Fleisch mit hoher Belastung noch verkauft werden würde. Der Durchschnitt liegt bei etwa 255Bq/kg.
Wer 90kg Wildschweinfleisch pro Jahr mit 255Bq/kg zu sich nimmt, der setzt sich dabei einer zusätzlichen Strahlung von 90kg/Jahr*255Bq/kg*0,013 µSv/Bq = 298 µSv/Jahr aus. Das entspricht dem Unterschied zwischen der normalen Strahlenbelastung in Deutschland und Österreich. Und dazu muss man schon so viel Wildschwein essen, dass man mit einiger Sicherheit den Appetit darauf verlieren wird, und muss sein Fleisch von Händlern kaufen, die ihr Fleisch nicht kontrollieren lassen. Denn der Durchschnitt von 255Bq/kg kommt nur zustande, wenn man zum Beispiel die beiden Proben mit etwa 6.000Bq/kg und 10.000Bq/kg mit einrechnet.
Also, kann man bedenkenlos deutsches Wildschweinfleisch essen? Ja.
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