Es gibt Dinge die mich aufregen, weil sie immer falsch diskutiert werden. Dazu gehört die Sache mit den Jahrhunderthochwassern. Sie werden so diskutiert, als gäbe es einen ewigen Kalender in dem man nur nachschauen muss. Aha, es ist 100 Jahre her. Wird mal wieder Zeit.
So ist es aber nicht. Ein Jahrhunderthochwasser kann es jedes Jahr geben. Die Chance ist nur ziemlich klein, nämlich 1% pro Jahr. Viel wichtiger ist aber das Gegenteil. Die Chance, dass es in einem Jahr kein Jahrhunderthochwasser gibt, beträgt nur 99%. Das klingt noch gut. Aber wie sieht das in ein paar Jahren aus? Was ist die Chance, dass es 10 Jahre am Stück kein Jahrhunderthochwasser gibt?
Ganz einfach: 99% hoch 10. Grob überschlagen sind es etwas mehr als 90% – genau genommen 90,4%.
In den 10 Jahren nach einem Jahrhunderthochwasser kann es also ohne weiteres zu einem weiteren Jahrhunderthochwasser kommen. Die Chance, dass es wenigstens ein Jahrhunderthochwasser in den 10 Jahren nach dem letzten gibt, beträgt 9,6%. Das ist verdammt viel und geht weit über jede Vorstellung von Jahrhunderthochwassern als seltenem Ereignis hinaus.
Tatsächlich muss es sehr oft passieren, dass es nicht im Ansatz 100 Jahre bis zum nächsten Jahrhunderthochwasser dauert. Die Chance, dass es innerhalb von 18 Jahren zu einem Jahrhunderthochwasser kommt, ist genauso groß wie die Chance mit einem Würfel eine Sechs zu werfen. Solche Ereignisse sollen schon vorgekommen sein. Die Chance ein Jahrhunderthochwasser in 70 Jahren zu haben, beträgt ziemlich genau 50%.
Das widerspricht vollkommen der populären Vorstellung von dem, was ein Jahrhunderthochwasser sein sollte. Ein Jahrhunderthochwasser soll selten sein und nur alle 100 Jahre oder so vorkommen. Tun sie aber nicht, weil es nunmal keinen Terminkalender für Extremwetter gibt.
Übrigens ist es auch gar nicht so leicht zu wissen, was überhaupt ein Jahrhunderthochwasser an einem bestimmen Fluss ist. Denn die Sache mit der Chance funktioniert auch umgekehrt. Man muss damit rechnen, dass jeder 8. Fluss auf der Welt seit Napoleons Eroberungszügen durch Europa (so um 1805 herum) kein Jahrhunderthochwasser mehr hatte. Und mit allen weiteren 70 Jahren sinkt die Chance nur jeweils um nochmal die Hälfte.
Wenn man die zehn größten Flüsse Europas über 10.000 Jahre beobachten würde, hätte man am Ende eine Auflistung von 1000 Jahrhunderthochwassern. Etwa zehn dieser Jahrhunderthochwasser würden direkt im Jahr nach dem letzten Jahrhunderthochwasser kommen und weitere zehn mit nur 2 Jahren Abstand und so weiter.
Man hätte gute Chancen einmal einen Abstand von etwa 700 Jahren zwischen zwei dieser Jahrhunderthochwasser feststellen und zweimal einen Abstand von etwa 630 Jahren. (Viermal 560 Jahre, acht mal 490 Jahre, 32 mal ein Abstand von etwa 350 Jahren.)
Man stelle sich vor, man wäre in einer dieser Zwischenzeiten. Seit mehreren Jahrhunderten hat es kein Hochwasser gegeben, das für diesen Fluss eigentlich ein normales Jahrhunderthochwasser ist. Aber irgendwann ist es zwangsläufig so weit. Denn auch wenn es seit Jahrhunderten nicht mehr passiert ist, hat man in jedem verdammten Jahr eine Chance von 1%, dass es zu dem Hochwasser kommt.
Das Jahrhunderthochwasser kommt, und was wird passieren? Alle halten es für ein Jahrtausendhochwasser, weil es so etwas in tausend Jahren nur einmal gegeben hat. Was für ein böses Erwachen werden sie haben, wenn sie feststellen, dass es eigentlich ein ganz normales Jahrhunderthochwasser ist, dass in dieser Gegend viel häufiger vorkommt, als in den letzten Jahrhunderten? Haben diese Leute jetzt Glück gehabt, dass sie eine Jahrhunderte lange Pause hatten – oder hatten sie Pech? Denn nach einer zufälligen langen Pause haben sie gar keine Ahnung, dass die normalen Pausen viel kürzer sind.
Dabei wäre es heute durch die Geologie relativ einfach, die eigentlichen Häufigkeiten festzustellen. Die hinterlassenen Spuren gehen oft Jahrtausende und manchmal noch länger zurück. Wir sind in der äußerst glücklichen Lage, geologische Spuren ziemlich genau datieren zu können. Aber auch das hat seine Tücken in der menschlichen Natur. Denn Menschen wollen nicht immer einsehen, dass die ihnen vertrauten Verhältnisse vielleicht doch nicht so normal sind.
Die Bewohner der Eifel glauben nicht wirklich, dass sie in einem vulkanisch aktivem Gebiet leben. Die Amerikaner kennen die Geschichte der Pueblo Indianer und auch die Tatsache, dass sie immer wieder Siedlungen wegen lang anhaltender Dürren (50 Jahre und mehr) aufgeben mussten. Aber glauben sie wirklich, dass diese natürlich auftretenden Dürren auch sie selbst betreffen könnten? Aus den aktuellen Reaktionen lässt sich das Gegenteil schließen. Und das selbe gilt natürlich auch für die Hurricanes von New York oder New Orleans.
Am Ende holt die Realität sie alle ein.
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