Der Wissenschaftsjournalismus steckt in einer Krise. Soviel immerhin ist unstrittig. Die zumindest angedachte Einstellung des Wissenschaftsmagazins Nano hat nun eine Debatte angefacht, die auf Twitter mit dem Hashtag #KeineNische geführt wird. Dabei glaube ich, dass schon dieses Hashtag an der Realität vorbei geht. Heute findet Wissenschaft in den Medien in drei Nischen statt.
Da ist das Edutainment, bei dem die Wissenschaft bestenfalls am Rande noch eine Rolle spielt. Mythbusters gehört da tatsächlich zu den besseren Vertretern, in denen die Wissenschaft hinter Explosionen und übertrieben dramatischen Sprechern noch nicht völlig verschwindet. Aber am Ende kommt die eigentliche Wissenschaft hier immer zu kurz.
Im anderen Extrem kommt der Journalismus zu kurz. Und genau deswegen möchte man sich schon vor der Nennung am liebsten Entschuldigen und sagen “Ich habe das nicht so gemeint!”. Aber ja, das Telekolleg gehört auch zu den Medien, ist aber kein journalistisches Format und dient der reinen Wissensvermittlung ganz ohne jeden Anlass. Es zeigt in Reinkultur das, was überall sonst fehlt, nämlich echte belastbare Erkenntnisse der Wissenschaft. Das ist genau das, was uns Wissenschaft bringt und es ist genau die Wissenschaft, die jeden Tag in allen Bereichen des Lebens auf die eine oder andere Art tatsächlich zur Anwendung kommt. Wissenschaft als Produkt vergangener Arbeit, eines vergangenen Prozesses.
Aber genau diese Tatsache kommt in dem verklausulierten Format der reinen Lehrveranstaltung im Stil einer Vorlesung oder eines Seminars zu kurz. Wissenschaft wird als Ding an sich präsentiert und nicht als Teil der Welt. Wer zeigen will, was uns Wissenschaft bringt, der muss genau das zeigen. Aber nicht auf diese Weise. Reine Lehrveranstaltung im Vorlesungs- oder Seminarformate sind eine absolute Nische. Wirklich gut für Youtube (nur gut, dass wir es haben!), aber schlecht für Massenmedien.
Der Wissenschaftsjournalismus heute ist aber genauso weit weg von der eigentlichen Wissenschaft, die für die Welt relevant ist. Nano besetzt die Nische der Forschungsberichterstattung. Es ist ein News-Format, das sich mit den Grenzbereichen der Forschung auseinander setzt. Das ist ein extrem spezialisierter Bereich mit wenig Anschluss an den Alltag. Und selbst dort wo es konkreten Anschluss an den Alltag gibt, ist sehr vieles sehr spekulativ und kaum absehbar. Das ist der Prozess der Forschung in der Wissenschaft, er beschäftigt sich mit Dingen die die Wissenschaftler selbst (noch) nicht verstehen. Das kann durchaus spannend sein, hat mit der Wissenschaft als dem gesellschaftlich relevanten Ding aber fast immer überhaupt nichts zu tun. Relevant ist das, was sichere Erkenntnisse sind und genau die kommen zu kurz.
Wenn das alles ist, das man von der Wissenschaft mitbekommt, dann ist der Eindruck völlig korrekt, dass man Wissenschaft nicht braucht. Ihre Erkenntnisse sind entweder schwammig (Forschungsberichterstattung), rein Akademisch (Vorlesungs-/Seminarformate) oder reines Buzzword als Ausrede um eine Explosion zu zeigen. Und ja, ich habe das hier etwas überspitzt, aber die Realität ist nicht so furchtbar weit davon entfernt.
Was tun?
Das Problem kann man umgehen, indem sich Wissenschaftsjournalismus nicht in erster Linie mit aktueller Forschung beschäftigt, sondern als wissenschaftliche Begleitung der aktuellen Berichterstattung in den Medien. Und zwar als dauerhafte Institution und nicht als ad-hoc Expertenrunde, wie es heute passiert. Wenn spontan Experten herangekarrt werden müssen, weiß niemand wirklich wer wozu befragt werden kann, wer zuverlässig und vertrauenswürdig ist und wer mit dem Medium umgehen kann.
Das größte Problem ist, dass in den Redaktionen jede Expertise und jedes eigene Verständnis der Sachverhalte fehlte. Damit kann niemand die Expertise des Experten sachlich beurteilen oder hinterfragen – und am Ende bereitet man oft genug selbst offensichtlicher Scharlatanerie und Angstmacherei eine Bühne. Denn offensichtlich sind diese Dinge nur für Leute, die sich mit den Themen wenigstens ernsthaft beschäftigt haben.
Das Resultat ist dann notwendigerweise fast immer schlecht, auf die eine oder andere Weise. Nicht umsonst ist das Wort Experte zu einem lachhaften Klischeewort verkommen. Die dem Medium angemessene Vermittlung von Wissen ist eine schwere Aufgabe. Ich selbst scheitere hier im Blog daran vor mich hin. Hoffentlich werde ich im Lauf der Zeit immer besser.
Was man bräuchte, wäre eine begleitende Wissenschaftsredaktion. Eine Redaktion die zwar auch eigene Formate produziert, aber auch allen anderen Redaktionen zur Konsultation und Mitarbeit zur Verfügung steht und andere Formate zur Qualitätssicherung überwacht. Denn genau hier ist das eigentliche Problem. Es existiert keine Integration der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Medien. Feste wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten und Fakten und Ingenieurskunst durchziehen unsere Gesellschaft, aber beim Blick in die Medien fallen sie durch ihre vollständige Abwesenheit auf.
Ersetzt wurden echte Erkenntnisse und Gesetzmäßigkeiten durch ein “Experte A sagt X, aber Experte B sagt Y”. Es ist exakt so, als gäbe es keinerlei feste wissenschaftliche Erkenntnisse. Wissenschaft erscheint als ein Spiel mystischer Orakelsprüche, wobei nun jeder von sich behauptet, das bessere Orakel zu kennen. Genau davon muss abgekommen werden. Es muss von den Redaktionen selbst Verständnisarbeit geleistet werden, bevor die Berichterstattung überhaupt anfangen darf.
Denn die Expertokratie der Medien ist nichts anderes als ein Abschieben von Verantwortung. Nein, nicht etwa die Redaktion von Sendung X hat die Verantwortung, wenn etwas falsches in der Sendung gesagt wird. Der Experte ist schuld!
Die Verständnisarbeit wird niemanden von Fehlern befreien. Das kann es nicht und das soll es auch nicht. Aber sie ist Grundlage einer selbstverantwortlichen Berichterstattung. Wer selbstverantwortlich berichtet, kann auch zu seinen Fehlern stehen. Man kann glaubhaft machen, dass es in den eigenen Fähigkeiten liegt, diese Fehler einzusehen und zu beheben. Oder wenigstens einzusehen, dass man da wohl die Grenzen des eigenen Verständnisses erreicht und vielleicht überschritten hat.
Wenn man alle fachlichen Erklärungen an die Expertokratie abgibt, dann geht das nicht. Man kann sich so nur in der trügerischen Sicherheit glauben, die besten Experten zu haben. Wenn diese Experten falsch liegen, kann man nicht sagen: Der Experte hat falsch gelegen. Aus dem einfachen Grund, dass man selbst im Glauben sein muss, dass sich der Experte nicht geirrt haben kann. Denn eigenes Verständnis hatte man von dem Sacherverhalt ja nie.
Und so könnte der Wissenschaftsjournalismus einen ernsthaften Beitrag für eine glaubwürdige Berichterstattung liefern, weit über jedes Wissenschaftsformat hinaus. Und es wäre dringend nötig.
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