In der Diskussion einer der letzte Beiträge bat ich einen Kommentator darum, zu sagen, nach welchen Kriterien man ein Atommülllager bauen sollte. Die Antwort “wissenschaftlich begründet und politisch durchsetzbar” bringt aber niemanden weiter. Warum? Weil man fast alles naturwissenschaftlich begründen kann und fast alles irgendwie politisch durchsetzen oder verhindern kann.
An der Stelle macht man ein großes Fass auf. Schauen wir uns einmal das Gebräu an, das aus diesem Fass kommt. Es nennt sich Philosophie.
Die Philosophie wird traditionell in verschieden Bereiche aufgeteilt, die dann getrennt besprochen werden und uns so überhaupt nicht weiter bringen werden. Es müssen alle zusammen kommen. Zwei davon wurden immerhin schon genannt. Ein Teil der Philosophie ist die Politik, die sich mit den gesellschaftlichen Prozessen und dem Durchsetzen von Entscheidungen befasst. Politik beschreibt uns genau, wie man beschließen kann, dass wir nur noch Nudelsuppe zum Frühstück essen sollten, damit es abends länger hell bleibt.
Mindestens eines fehlt uns also noch: Logik. Wenn man eine erfolgreiche Politik betreiben will, dann sollte man sicher stellen, dass aus der Politik auch das gewünschte Ergebnis folgen kann. Mit Logik und Politik zusammen können wir jetzt beschließen, dass jeder Stadtbewohner ein Gewehr haben sollte, um die Motorradfahrer zu erschießen, die zu schnell und mit zu lauten Motorrädern nachts durch die Stadt fahren. Irgendetwas fehlt also immer noch. So ein wenig Ethik und Moral sind in der Politik hilfreich, sogar wenn sie sich der Abwechslung wegen einmal an die Logik hält.
Und dann ist da noch die Naturphilosophie, die wir heute Naturwissenschaft nennen. Isaac Newtons berühmtes Buch “principia mathematica philosophae naturalis” sollte die mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie beschreiben, was wir heute Physik nennen. Wobei das Wort Physik nichts anderes als Natur heißt und das ist es auch, was sie beschreibt, nicht mehr und nicht weniger. Stellt sich noch die Frage, was wir über die Natur und insgesamt alles wissen können, wie weit das Wissen geht und wo die Grenzen sind. Das sind Fragen der Epistemologie.
Und zu guter letzt stellt sich noch die Frage der Ästhetik. Selbst wenn alles andere geklärt ist, kann man das eine oder das andere vorziehen, weil man es als schöner empfindet. Und wenn man über Geschmack nicht streiten könnte, dann gäbe es nicht den Satz, dass man es nicht tun soll.
(Ach ja. Wer über Metaphysik streiten will, der tue das bitte nicht hier.)
Was hat das alles mit Atommüll zu tun?
Alles. Und genau hier liegt das Problem. Ich bin mir sicher, dass jeder selbst Beispiele für alle angesprochenen Aspekte kennt.
Es fängt schon damit an, dass die Eigenschaften von Atommüll den meisten Leuten nicht bekannt sind. Sie sind zwar allgemein gesprochen sehr gut bekannt – man hat die Eigenschaften untersucht und beschrieben und jeder der es wissen will, kann sich dieses Wissen aneignen. Damit meine ich chemische und physikalische Eigenschaften. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass es die wenigsten Leute tun. Das gleiche gilt auch für die Eigenschaften von möglichen Materialien in denen die Stoffe eingebettet werden können (z.B. Glas und Beton), für Materialien die sie umschließen können, für deren Reaktionen mit anderen Chemikalien, für deren Existenz in der Nähe des Lagers usw. Nicht zu vergessen, die Möglichkeiten der Konstruktion von Lagern und Behältern oder gar der Geologie.
Man sollte diese bekannten Eigenschaften auch kennen, bevor man anfängt mit Epistemologie zu argumentieren. In der einen oder anderen Form kommt fast immer ein: “Ich hab von dem Thema ja keine Ahnung, aber das könnt ihr doch alles gar nicht wissen!” Ich verlange kein perfektes Wissen, das habe ich auch selbst nicht im Ansatz. Aber wer aus der Position der Ignoranz heraus behauptet, man könne das alles gar nicht wissen, den sollte man nicht ernst nehmen. Viele epistemologische Frage klären sich allein aus der Kenntnis der Eigenschaften heraus und der Methoden mit denen sie bestimmt wurden.
Dazu gehört zum Beispiel die Frage der Korrosion von Kupfer. Woher wissen wir, dass Kupfer nicht noch schneller korrodiert als man es von archäologischen Artefakten kennt? Erstens, weil die Korrosionsprodukte äußerst auffällig sind. Selbst vollständig korrodierte Artefakte wurden schon gefunden (extrem dünne Kupferringe, die wohl als Ohrringe dienten). Zweitens müsste man auch massive, fast vollständig verschwundene korrodierte Artefakte finden, also eine Zwischenstufe, wie man sie von zahllosen Eisenartefakten kennt. Im übrigen ist Kupfer, neben Gold und Silber, eines der wenigen Metalle die man in der Natur auch als Metall und nicht nur als Erz antrifft.
Das heißt nicht, dass es keine epistemologischen Probleme gäbe. Aber es wäre schön, wenn man über epistemologische Probleme diskutieren würde, die existieren und nicht über Probleme, die längst gelöst sind. Vor allem werden sie meistens als rein rhetorisches Element ohne eine ernsthafte Fragestellung verwendet.
Bei Atommüll und Kernkraft allgemein sind Fragen der Ethik und Moral enger verknüpft mit Fragen der Logik, als man in der Diskussion vermuten würde. Natürlich gibt es ethische Grundsätze zum Schutz von Leben und wie ganz genau diese Grundsätze zu lauten haben, das ist durchaus Verhandlungssache. Aber die Logik gebietet uns, dass wir die gleichen ethischen und moralischen Grundsätze für radioaktive Stoffe anlegen sollte, wie wir es auch mit anderen giftige Stoffen tun würden. Ein toter Mensch ist ein toter Mensch, unabhängig ob sein Tod durch radioaktive oder andere Stoffe verursacht wurde.
Es ist dabei eine große Dummheit, die Halbwertszeiten radioaktiver Stoffe als Beleg für die Unbeherrschbarkeit des Problems heran zu ziehen. Andere giftige Stoffe, wie Quecksilber, Blei oder Arsen haben keine Halbwertszeit. Sie sind immer giftig und dort spricht man nicht von einer Unbeherrschbarkeit der Stoffe und sieht keinerlei Problem in der Lagerung. Es ist nur so, dass man bei den einen über zehntausende Jahre spricht und bei anderen über die Ewigkeit schweigt. Aber das ist nur ein Symptom der politisch motivierten Unredlichkeit der Debatte.
Von der Sachfrage zur Machtfrage
Womit wir wieder bei der Politik wären. Dort dient die gesamte Debatte heute nur noch dazu, damit Lobbyisten Geld und Macht gewinnen können. Die Politik folgt keinerlei ethischer Maßstäbe mehr. Das sieht man nicht nur an dem Problem der Lagerzeiten. Man sieht es auch an der Politik der Leute, die den Atommüll zum menschheitsbedrohenden Problem erklärt haben.
Würden sie ihre eigene Rhetorik ernst nehmen, so würden sie alles tun zumindest eine schnellstmögilche Verbesserung der Situation herzustellen. Immerhin bedroht der Atommüll angeblich die gesamte Menschheit, oder zumindest die gesamte deutsche Bevölkerung. Sollte man nicht von diesen Menschen erwarten, dass sie konstruktive Beiträge zur Verbesserung der Situation bringen? Kritik an der angeblichen Unsicherheit des Zwischenlagers Gorleben gab es genug. Wo bleiben die Vorschläge, die Sicherheit zu verbessern? Immerhin würde sich damit die Gefahr verringern. Ich habe das übrigens schon einmal selbst getan. Ich frage mich nur immer, warum sie nicht von der anderen Seite kommen.
Man kritisiert auch die Unterbringung von Kastorbehältern an Kernkraftwerken und sagt, sie wäre noch unsicherer als das Zwischenlager Gorleben. Aber wieso blockieren dann die selben Menschen den Transport der Kastorbehälter dorthin?
Ach ja richtig, der Transport ist zu gefährlich. Die größte Gefährdung bestand aber zuletzt in Demonstranten, die den Schotter aus den Gleisbetten entfernten. Die Demonstranten führten eine noch größere Gefahr herbei als die Gefahr, gegen die sie demonstrierten. Das ist nichts anderes als die totale Instrumentalisierung der Angst zur Gewinnung von Macht. Die Macht wurde in den letzten Jahrzehnten aber ausschließlich dazu genutzt, jede Verringerung der Gefahren von denen man spricht zu verhindern.
Und darum geht es in der Debatte. Nicht um Sicherheit, sondern um Macht. Jede Verbesserung der Situation unterminiert die eigene Argumentation, dass alles unsicher ist. Jedes Eingeständnis, dass minimale Risiken überall existieren und akzeptiert werden und auch bei Atommüll akzeptiert werden können, unterminiert die eigene Position. Also fordert man das unmögliche: Die Abwesentheit jeder Unsicherheit und verhindert alles, was die eigenen (unmöglichen) Forderungen nicht erfüllt. Also alles.
Wer über Atommülllager sprechen will, der muss über ethische Maßstäbe sprechen. Und zwar über Maßstäbe, die nicht nur für Atommülllager gelten. Was diese Maßstäbe sein sollen, wird aber gerade von denen nicht gesagt, die behaupten sie würden verletzt.
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