Supraleiter können sehr gut Strom leiten. Wenn man aus Supraleitern eine Spule baut, dann kann man daraus auch sehr starke Elektromagneten bauen. Das Problem ist nur, dass die Supraleitung recht empfindlich auf starke Magnetfelder reagiert. Wenn das Magnetfeld in einem Supraleiter eine bestimmte Magnetfeldstärke überschreitet, dann ist es vorbei mit der widerstandslosen Stromleitung. Stärkere Magnetfelder sind aber auch ein Segen für die Kernfusion.
Das heißt übrigens auch, dass Supraleiter den Strom zwar widerstandslos leiten können, aber nicht beliebig viel davon. Denn bei der Stromleitung entstehen Magnetfelder in jedem Stromleiter und die werden um so stärker, um so mehr Strom durch den Querschnitt des Supraleiters fließt. Wenn man dann noch mehr Strom fließen lassen will, braucht man einen größeren Querschnitt.
Wie groß genau die maximale Magnetfeldstärke von einem Stück Supraleiter ist, hängt dabei nicht nur von dem Stoff ab, aus dem der Supraleiter besteht. Man kann also nicht sagen: Das ist ein Niob-Zinn Supraleiter, der hält eine Magnetfeldstärke von 12 Tesla aus. Die maximale Feldstärke hängt von der Temperatur und der Verarbeitung des Materials ab. Deswegen lohnt es sich auch Hochtemperatursupraleiter noch weiter abzukühlen. Außerdem steigt die maximale Feldstärke um so höher, um so weniger Fehler sich im Leitermaterial befinden. Die teilweise recht exotischen Materialien fehlerfrei herzustellen ist aber eine Kunst für sich, die man mit jedem neuen Material wieder aufs neue verfeinern muss.
Magnete waren bei der Entwicklung von neuen Supraleitern in den letzten Jahrzehnten aber eher zweitrangig. Es ging hauptsächlich darum, Supraleitung bei höheren Temperaturen zu erreichen. Das mag sich demnächst ändern, aber vorerst muss man mit dem arbeiten, was bisher entwickelt wurde.
Das Arbeitspferd für supraleitende Magnete war dabei zuletzt Niob-Zinn. Es wird beim LHC eingesetzt und soll auch die Magnetfelder im Fusionsreaktor ITER erzeugen. In der Praxis erreicht man damit Magnetfelder von etwa 14-15 Tesla. Allein das wäre schon ein großer Sprung in der Kernfusion. Die immernoch größten und leistungsfähigsten Fusionsreaktoren der Welt, wie der Joint European Torus (JET), basieren auf Technik der 1970er Jahre und erreichen nur Magnetfeldstärken von 3,5 Tesla. Wegen der fehlenden Finanzierung neuer Reaktoren halten sich auch die Steigerungen der Leistung von Fusionsreaktoren seit Jahrzehnten in den technischen Grenzen der 1970er Jahre.
Aber auch Niob-Zinn Supraleiter sind inzwischen nicht mehr aktueller Stand der Technik. Eines der neu entwickelten Materialien hört auf den Namen REBCO oder Rare-Earth Barium-Copper-Oxide. Schon 2008 warb ein Hersteller (wohl eine Tochter von Philips) damit, dass erste Magneten aus dem Material 26 Tesla erreicht haben. Im Jahr 2011 waren es schon 32 Tesla. Das ist natürlich ein Magnet, der auf maximale Feldstärke in einer drei Zentimeter großen Öffnung ausgelegt ist. Man erreicht sie nur, indem man mehrere Spulen ineinander verschachtelt. In diesem Fall zwei Niob-Titan Spulen außen, drei Niob-Zinn Spulen weiter innen und darin nochmal zwei verschachtelte Spulen aus REBCO. Die beiden REBCO Spulen bringen das Feld allein von 15 Tesla auf 32 Tesla.
Wenn man es auf weniger starke Magnetfelder abgesehen hat, kann man REBCO auch mit flüssigem Stickstoff kühlen. Entsprechende Konzepte für Magnetschwebebahnen ließen natürlich nicht lang auf sich warten.
Für Kernfusion braucht man aber große Magnete und die haben ihre eigenen Probleme, wie diese Probleme vor 5 Jahren aussahen, kann man hier lesen. Dabei sieht man auch gut, wie so ein REBCO Supraleiter aufgebaut ist. Der eigentliche Supraleiter ist nur eine dünne Schicht, die von einem Isolator umgeben ist, der mit einem Haftvermittler an ein Stück Stahl “geklebt” wurde. Der Stahl ist wichtig, weil er dem ganzen Stabilität verleiht. Auf der anderen Seite kommt eine dünne Schicht aus Silber zum Einsatz. Das alles wird dann zuletzt noch mit Kupfer ummantelt. Der Supraleiter an sich macht nur 1-2% des ganzen Volumens aus, was wohl einer der Punkte ist, die man noch verbessern kann.
Jedenfalls können solche Leiter inzwischen in immer größeren Mengen hergestellt werden und so wird die Sache interessant für immer größere Anwendungen – inklusive Kernfusion. In einem Plasma kann man mit der Verdoppelung der Magnetfeldstärke den vierfachen Druck im Plasma erreichen. Eine Verdoppelung des Drucks im Plasma führt aber auch zu einer Vierfachung der Reaktionsraten. Mit 25 Tesla statt 14 Tesla erreicht man also die zehnfache Reaktionsrate im gleichen Volumen.
Damit wird die Sache langsam wirklich interessant. Denn eine verzehnfachung der Reaktionsrate im Reaktor hat man beim ITER damit erreicht, dass man sein Volumen im Vergleich zu JET ungefähr 10 mal so groß bauen will. Das heißt, eine Verzehnfachung zusätzlich zu der ver-256-fachung durch die Verstärkung des Magnetfelds von 3,5 Tesla auf 14 Tesla bei ITER. Der neue Vorschlag bedeutet, dass man die Leistung von ITER ungefähr im Rahmen der Größe und Kosten von JET erreichen könnte.
Hier wird der lange Planungsprozess dem ITER Projekt zum Verhängnis und es droht von neuen technischen Entwicklungen überholt zu werden. Wobei es schwer fällt, dort Schuldige zu suchen. Das Problem war der äußerst schlechte Ruf der Kernfusion. ITER ist Resultat der Tatsache, dass man nicht mehr bereit war Fusionsreaktoren zu finanzieren, die keine für die Energieerzeugung relevante Leistung brachten.
Der einzigen Wege in so einem Umfeld Geld für die Forschung zu bekommen besteht darin a) alte Anlagen mit minimalem Budget weiter zu betreiben und b) den ganz großen Wurf zu wagen. Die Geldgeber erhoben den Anspruch, dass der nächste Forschungsreaktor das ganz große Ding sein sollte, er musste nicht nur funktionieren und neue Erkenntnisse für den Betrieb bringen. Nein. Er musste dabei auch noch so viel mehr Energie erzeugen als hinein gesteckt wird, dass man damit ein Kraftwerk betreiben könnte. Dabei war keine Spekulation erlaubt, das Ergebnis musste absolut sicher erreicht werden. Es konnte also keinen Punkt geben an dem man sagt: Naja, wir brauchen 10 Jahre um den Reaktor zu bauen. Schauen wir uns einfach einmal den Stand der Technik an, wenn es soweit ist.
Dieser große Wurf bedeutete, dass man mit der gerade vorhandenen Technik eine sehr große, teure und komplexe Anlage entwerfen und dann finanzieren musste. Jeder einzelne dieser Aspekte führt zu einer längeren Zeit vom Entwurf zu Fertigstellung. Um so mehr Zeit ist, um so mehr entwickelt sich aber auch der Rest der Technologie weiter. Die unbedingte Sicherheit des Ergebnisses ließ dem Projekt bisher nicht die nötige Flexibilität, um auf solche Entwicklungen zu reagieren.
Das mag sich ändern oder auch nicht. Aber in keinem Fall ist das ITER eine Verschwendung gewesen. Denn zur Entwicklung eines Fusionsreaktors braucht es mehr als nur Kernreaktion an sich. Das ITER Projekt hat auch eine ganze Reihe anderer Forschungsprojekte ins Laufen gebracht. Schließlich brauchte man geeignete Wände innerhalb des Reaktors, die am Ende die Energie absorbieren müssen und dabei das Plasma nicht verunreinigen dürfen. Das Innere des Torus von JET wurde inzwischen von Graphit zu einer Kombination aus Wolfram und Beryllium umgebaut und die neuen Wände haben sich bewährt – nur um ein Beispiel zu nennen. Solche Entwicklungen dienen allen Fusionsreaktoren, egal wie sie betrieben werden.
Und wer weiß. Vielleicht ist das ITER Projekt flexibler als ich dachte. Denn auch dort wäre ein stärkeres Magnetfeld für zukünftige Entwicklungen hilfreich. ITER soll mindestens eine Leistung von 500MW erreichen können, wahrscheinlich einigem Spielraum nach oben, um das Ziel sicher erreichen zu können. Nun wäre eine Verzehnfachung der Leistung dort nicht hilfreich. Aber man könnte andere Techniken erproben. Nach den gängigen Abschätzungen geht die Fusion von Deuterium ohne Tritium mit einer Verringerung der Leistung auf ein 68tel einher. (Die hat man natürlich auch gemessen.) Für reine Fusion von Deuterium wäre also auch der bessere ITER noch nicht genug, aber er könnte wohl auch ganz ohne Tritium eine signifikante Leistung erbringen oder die geplante Leistung mit weniger Tritium erreichen.
Wo genau die praktischen Grenzen der Supraleiter für Magnete liegen, läßt sich noch nicht absehen. Noch immer versteht man nicht ganz, wie Supraleitung in den Hochtemperatursupraleitern funktioniert und die Produktionsmethoden ändern sich mit jedem neuen Material und sind deswegen noch längst nicht optimal. Aber bevor man aus der Entwicklung der letzten 20 Jahre eine weiter Entwicklung bis hin zu hunderten Tesla prognostiziert (jetzt neu: Fusionsreaktoren für die Hosentasche!), sollte man doch besser noch einmal tief durchatmen und sich eine kalte Dusche gönnen.
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