Die Berichterstattung über die Vulkane von Kyushu folgt dem gleichen Muster. Die völlig reale Gefahr für die Stadt Kagoshima, mit einer halben Million Menschen die teilweise nur 10km von dem Vulkan Sakurajima entfernt leben, wurde in der Berichterstattung nie angesprochen. Stattdessen stand das Kernkraftwerk in 50km Entfernung im Zentrum der journalistischen Aufmerksamkeit.
Wen interessieren schon die Leben der 13 Millionen Einwohner von Kyushu, wenn es dort ein laufendes Kernkraftwerk gibt? Zehntausende Tote waren schon beim Tsunami nur eine Statistik, aber ein Kernkraftwerk, das ist eine Story.
Das Problem mit dem Vulkan Aso ist übrigens, dass er tatsächlich in der Lage ist, große Teile der Insel Kyushu zu verwüsten. Der Vulkan hat vier große Vulkankessel (Caldern), die alle auf Ausbrüche in den letzten 300.000 Jahren zurück gingen. Der jüngste und größte der vier Ausbrüche ist 90.000 Jahre alt. Alle entsprachen wenigstens der Größe des Ausbruchs des Tambora von 1815, der für das Jahr ohne Sommer 1816 verantwortlich war. Wobei es durchaus möglich ist, dass der letzte Ausbruch Spuren von Ausbrüchen davor verwischte.
Natürlich kann man verlangen, dass das Kernkraftwerk wegen angeblicher Gefährdung durch die Vulkane auf der Insel stillgelegt werden soll. Aber was ist damit erreicht? Hat man damit der Gefahr eines Vulkanausbruchs in Auge geblickt und für diesen Fall vorgesorgt? Nein. Die Gefahr für die Bevölkerung ist immernoch die exakt gleiche. Hätte man in Japan wegen der Tsunamis keine Kernkraftwerke gebaut, hätte es 2011 nicht weniger Tote gegeben. Die Städte wären noch die gleichen Todesfallen gewesen, als die sie sich erwiesen.
Fakt ist, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen in den Kernkraftwerken absolut vergleichbar mit den Sicherheitsvorkehrungen in den japanischen Städten waren. Sie waren vergleichbar schlecht.
Es hätte auch nicht anders sein können. Denn es stellt sich die Frage: Wo sollten die Sicherheitsvorkehrungen höher sein? Wer sagt, Kernkraftwerke sollten besser geschützt sein als die Bevölkerung der Städte, der bewertet den Stellenwert seiner Ideologie höher als den Stellenwert von Menschenleben. Diese Bewertung der eigenen Ideologie mag in Deutschland Tradition haben. Aber ich glaube man sollte sich mit dem Standpunkt durchsetzen, dass der Schutz des Lebens der Bevölkerung immer den Vorrang haben sollte.
Es ist aber nicht einfach nur der ethisch bessere Ansatz. Man bekommt den besseren Schutz der Kernkraftwerke ganz ohne weiteren Aufwand dazu. Denn es ist kaum zu rechtfertigen, dass man ein Kernkraftwerk schlechter vor Naturkatastrophen schützt als eine Stadt. Selbst in Japan war das nicht der Fall. Das Problem war nur der fatalistische Ansatz der Japaner, sich vor “zu großen” Katastrophen nicht schützen zu müssen.
Was bei der Diskussion der Kernkraft verloren gegangen ist, ist der Respekt vor Menschenleben. Erstaunlicherweise geschah das in einem Dikurs, der heute von der Seite dominiert wird, die sich einst den Schutz der Menschenleben auf die Fahne schrieb.
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