Volkswagen hat ein Problem. Der Autohersteller musste zugeben, dass seine Fahrzeuge im normalen Betrieb ein vielfaches der Stickoxide ausstoßen, die nach den Bestimmungen der amerikanischen Umweltbehörte (EPA) eigentlich erlaubt wären. Die anderen Werte entsprechen weitgehend den Grenzwerten.
Wie kommt es? Für die Reduktion des Stickstoffanteils im Abgas sind die Katalysatorn zuständig. Die funktionieren aber nur unter bestimmten Bedingungen optimal, die von der Steuerelektronik des Motors hergestellt werden. Dazu gehören passende Temperatuen, ein möglichst niedriger Sauerstoffanteil und gelegentlich ein Überschuss von Treibstoff im Motor. Aber mit den genauen Details habe ich mich nicht befasst. Aber es reicht wohl aus zu sagen, dass der Motor leistungsfähiger sein kann, wenn er auf den Katalysator keine Rücksicht nehmen muss.
Dazu kommt noch, dass die Motorsteuerung (indirekt) die Verbrennungstemperaturen kontrolliert. Um so höher die Temperatur um so effizienter ist die Umwandlung der Energie im Diesel in mechanische Energie des Motors. Man sollte also meinen, dass möglichst hohe Temperaturen erwünscht wären um den Spritverbrauch zu senken. Aber leider gibt es da noch ein Problem. Denn was haben wir in dem Motor? Luft und Diesel. Der Diesel besteht aus Kohlenstoff und Wasserstoff, er verbrennt mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid und Wasser. Aber dann ist da noch der Stickstoff. Normalerweise tut Stickstoff nichts. Stickstoff ist ein träges Gas das nur widerwillig chemische Reaktionen eingeht. Tatsächlich gehörte es zu den wichtigsten Fortschritten des 20. Jahrhunderts, Stickstoff in größeren Mengen mit irgendetwas (wie Wasserstoff) reagieren zu lassen.
Aber um so höher die Verbrennungstemperaturen sind, um so weiter entfent man sich von normalen Bedingungen. Stickstoff fängt an mit dem Sauerstoff direkt zu reagieren und bildet so kleine Mengen Stickoxide. Wenn das unkontrolliert passiert, reichen die Mengen aus um gesundheitliche Auswirkungen zu haben, unter anderem durch die Bildung von Ozon in der Luft. Es gibt also einen Widerspruch zwischen möglichst kleinem Stickoxidausstoß und hoher Effizienz, obwohl beides gleichzeitig verlangt wird.
An der Stelle sollte man schon vorsichtig werden. Denn ein Auto muss auch noch einen angemessenen Preis haben und das ganze System muss möglichst wartungsfrei und zuverlässig sein. Wenn man so viele widersprüchliche Dinge auf einmal verlangt, dann braucht man entweder ein kleineres Wunder oder es geht etwas schief. Kleinere Wunder gibt es hauptsächlich, wenn man größere technische Fortschritte hat. Das ist bei Verbrennungsmotoren nicht der Fall. Irgendeiner der Faktoren wird wohl auf der Strecke bleiben. Wenn der Preis oder die Zuverlässigkeit auf der Strecke bleiben, dann bleibt der Hersteller auf der Strecke.
Also steigt der Druck auf die Hersteller. Da Verbrauch und Schadstoffausstoß getrennt gemessen werden, kann man beides auch getrennt optimieren. Beide werden auf das jeweilige Testszenario hin optimiert und die Behörden haben es akzeptiert. Das war auch längst bekannt. Nach der Euro 5 Norm musste der Stickstoffausstoß der Autos in den Tests um 64% sinken, im Vergleich zur Euro 3 Norm. Die Messungen der Luftverschmutzung an den Straßen sanken aber nur um etwa 20%. (Gesamte Studie hier.) Die Behauptung, es gäbe keine Verbesserungen, ist aber auch falsch. Die Verbesserungen sind nur nicht so groß und so schnell, wie es die Vorschriften vorgaben.
VW ist nur der Erste
Es war also nie eine Frage, ob die neuen Normen auf der Straße eingehalten wurden oder nicht. Das wurden sie nicht, das war längst bekannt. Man kann auch davon ausgehen, dass VW für diese Entwicklung nicht allein verantwortlich ist. Tatsächlich zeigt die oben genannte Studie, dass praktisch alle Autos weit über den Normen liegen.
Den Bericht der eigentlichen Untersuchung zu den aktuellen Problemen von VW, findet man hier. Die Autos sind mit A, B und C benannt. Aber inzwischen ist bekannt, dass es sich bei den ersten beiden um ein VW Jetta und einen Passat handelt. Zusammen mit dem Bericht und der “Notice of violation” von der Umweltbehörde EPA, kann man sich nun zusammenpuzzeln, was von den Herstellern von VW in den USA getan wurde.
Die Motorsteuerung greift dem Katalysator unter die Arme, wenn das Lenkrad dauerhaft gerade steht, sich der Luftdruck nicht ändert und die Motorleistung konstant bleibt. (Bei Turbomotoren muss der Luftdruck sowieso gemessen werden.) Wenn das nicht der Fall ist, ist das Auto wahrscheinlich nicht auf dem Teststand, sondern auf der Straße und so wird der Motor auf maximale Effizienz getrimmt. Deswegen kam es auch vor, dass auf den langen, schnurgeraden Highwayfahrten mit Tempomat in den Tests die Emissionen wieder auf die geforderten Normen absanken. Ohne Anstieg oder Gefälle blieb der Luftdruck konstant, genauso wie die Motorleistung – die Bedingungen entsprachen denen des Teststands.
Das war also was VW getan hat. Wie es die anderen Hersteller gemacht haben, wird sich zeigen. Probleme mit Manipulationen bei Schadstoffuntersuchungen in den USA sind nichts neues, sondern ein Phänomen das sogar wissenschaftlich untersucht wird. Es gibt aber keine Untersuchung, die ich gefunden hätte, die sagt, dass dort Autohersteller involviert sind. Die Tatsache, dass es nun einen nicht-US-Hersteller zuerst erwischt hat, sagt wenig. Zwei von nur drei untersuchten Autos waren VWs und diese VWs wurden genauer untersucht als der dritte Wagen. Das lässt zumindest den Verdacht aufkommen, dass man sich die beiden VWs nicht zufällig ausgesucht hat.
Und nun?
Mit Autos anderer Hersteller gibt es ähnliche Probleme. Dort wird man ähnliche Resultat mit anderen Techniken erreicht haben.
Tatsächlich sind hier nicht nur die Hersteller in eniem Dilemma, sondern auch die Behörden. Denn Tests können praktisch nie sowohl realistisch als auch präzise sein. Es sind die genau kontrollierten Testbedingungen, die präzise Messungen möglich machen. Aber genau deswegen ist es überhaupt möglich, ein Auto auf einen Test hin zu optimieren.
Würde man auf perfekte Präzission und Reproduzierbarkeit verzichten, könnte es zu einem solchen Szenario wie heute nicht mehr kommen, in denen Normgerechte Messwerte kaum noch der gelebten Praxis entsprechen. Das gilt nicht nur für den Stickstoffausstoß, sondern auch für den Treibstoffverbrauch.
Eine weiter Frage müsste man untersuchen (das habe ich nicht getan). Konnten die Hersteller die Kombination der Forderungen nach Effizienz und Schadstoffausstoß überhaupt realistischerweise einhalten?
Dazu gehört auch das Wettbewerbsumfeld. Normen müssen konsistent für alle gelten und gleichgut überwacht werden. Wenn Hersteller je nach Herkunftsland, Zahl der Arbeitsplätze im Wahlbezirk oder ähnlichen Kriterien mehr oder weniger bevorteilt werden, dann kann auch das heißen, dass Normen nicht eingehalten werden können. Dann ist die Gefahr zu groß, dass ein Konkurrent schummelt, womit man dann selbst schummelt und sich irgendwann alle gegenseitig in die Tasche lügen.
Schon deshalb sollte man jetzt nicht nach VW fragen, sondern nach der Regulierung. Die muss realistische, einhaltbare und überprüfbare Normen liefern und deren Einhaltung überprüfen. Das kann auch bedeuten, dass man Anforderungen zunächst bis zu einem gewissen Punkt zurück nimmt. In der Situation wie sie sich jetzt darstellt, würde eine bessere Überprüfbarkeit und eine Durchsetzung der Einhaltung von Normen Verbesserungen bringen, die noch niedrigere Grenzwerte nicht liefern könnten.
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