Wenn davon spricht, dass sich Europa und Afrika näher kommen sollen, dann hat das entweder mit Politik oder mit Plattentektonik zu tun. Aber im 20. Jahrhundert, sogar noch bevor die Plattentektonik allgemein anerkannt war, gab es eine weitere Möglichkeit. Man wollte sich auf bloße Worte in der Politik nicht verlassen und auf die Plattentektonik nicht warten. Viel lieber wollte man selbst Hand anlegen. Und so entstand im Jahr 1928 das Projekt Atlantropa.

Die Idee für das Projekt lieferte die letzte Eiszeit. Damals war der Wasserspiegel über 120m tiefer als heute (über genaue Zahlen streitet man sich). Es war jedenfalls tief genug um die Meerenge von Gibraltar trocken fallen zu lassen. Das ist für das Mittelmeer ein ernsthaftes Problem. Denn es liegt in den Subtropen. Das Land dort ist generell trocken. Es verdampft im Laufe des Jahres mehr Wasser als durch Regen fällt. Wenn durch die Meerenge von Gibraltar kein Wasser mehr ins Mittelmeer strömt, trocknet es langsam aus und der Wasserspiegel fällt. Tatsächlich gibt es eine starke Meeresströmung, die vom Atlantik in das Mittelmeer hinein strömt – das Wasser das durch die Flüsse in das Mittelmeer hinein strömt reicht nicht im Ansatz aus, um die Verlust durch das Verdampfen wieder wett zu machen.

Tatsächlich passierte das nicht nur bei der letzten Eiszeit, sondern bei jeder Eiszeit aufs neue. Während der Eiszeiten lief das darauf hinaus, dass so lange Wasser verdampfte, bis die Oberfläche des Meeres so klein war, dass sich beide Effekte die Waage hielten. Also genauso viel Wasser von den Flüssen in die Überreste des Mittelmeers fließt, wie dort verdampt. Was wir heute als Inseln im Mittelmeer kennen, waren damals Gebirge zu denen man trockenen Fußes von Afrika aus gelangen konnte. Das ging so lange gut, bis die Meeresspiegel am Ende der Eiszeit wieder rasant stiegen und das Mittelmeer voll lief. Jedes Mal fanden sich dabei einige Elephanten auf Zypern wieder und mussten feststellen, dass sie nicht mehr von dem ehemaligen Gebirge weg kamen und nun Inselelephanten waren, die wegen des Selektionsdrucks in kurzer Zeit zu Zwergelephanten wurden.

Das Atlantropa Projekt wollte diesen Zustand, zumindest zum Teil, ganz ohne Eiszeit wieder herstellen. Wenn man die Meerenge von Gibraltar mit einer Staumauer absperrt, dann könnte man den gleichen Effekt erreichen. Der Plan war, den Meeresspiegel westlich von Italien/Sizilien um 100m zu senken und östlich davon um 200m. Man versprach sich davon mehrere Dinge.

Erstens  würden Afrika und Europa an mehreren Stellen auf dem Landweg miteinander verbunden sein. Zweitens würde eine große Menge Land gewonnen werden, etwa die doppelte Fläche Deutschlands. Drittens könnte man durch das zusätzliche Gefälle und das einströmende Wasser elektrischen Strom gewinnen. Man schätzte das Potential auf 110GW – für damalige Verhältnisse unerhört und auch heute noch 1,5mal so viel wie der Bedarf Deutschlands.

Das Projekt ging nach 1928 dabei durch mehrere Iterationen, immer an die jeweiligen Umstände angepasst. In den 30er Jahren versprach man sich davon, dass Deutschland und Italien dieses Projekt zusammen durchführen sollten und ihr Reich bis nach Südafrika ausdehnen können würden. Das zusätzliche Land würde als Lebensraum im Süden dienen. Dazu kamen noch Pläne Flüsse vom Kongo nach Norden in Richtung des Tschad Sees umzuleiten, der dann ähnliche Ausmaße wie das kaspische Meer hätte und so mehr Feuchtigkeit in die Sahara bringen würde und ein für Europäer angenehmeres Klima erzeugen würde. Übrigens auch ein Zustand, der durch den natürlichen Klimawandel immer wieder einmal erreicht wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte man das Projekt mit den Alliierten durchzuführen. Es sollte nun dem Frieden, der politischen Stabilität und der Bekämpfung der Armut durch den Austausch von Rohstoffen gegen Fertigwaren dienen. (Brilliant! Der reine Austausch von Rohstoffen gegen Fertigwaren war einer der wesentlichen Anstoßpunkte für den Unabhängigkeitskrieg der USA gegen England.) Außerdem wollte man einen weiteren See im Süden Afrikas anlegen.

Wie man mit einem Blick auf die Landkarte leicht feststellen kann, wurde keines der Projekte umgesetzt. Dabei ist die bloße Machbarkeit nicht die Frage. Man kann Flüsse umleiten und Staumauern mit mehreren hundert Metern Höhe bauen. Es ist nicht die Physik, die hier das Problem ist. Es ist die viel wichtigere Frage, ob es Sinnvoll ist und ob der Schaden den Nutzen rechtfertig. Bei der (teilweise) Trockenlegung des Mittelmeers erübrigt sich die Frage. Es würde dürres Land entstehen. Man würde die Wüsten von Libyen und Ägypten einfach mehrere Kilometer nach Norden verlängern. Wahrscheinlich würden wegen der geringeren Wasserverdunstung auch die Niederschläge der ohnehin trockenen Gegend noch geringer ausfallen.

Das Projekt politisch undurchführbar und auch in keiner Weise vernünftig. Und trotzdem hat es einen gewissen, schwer zu definierenden Reiz, einfach weil es im Grunde machbar ist. Es ist der Reiz mit minimalem Aufwand einen maximalen Effekt zu erzielen, fast völlig egal, was es ist. In manchen Fällen führt dieser Reiz zu sinnvollen Ergebnissen, wie beim Suez und Panama Kanal. Ein paar Kilometer Wasserstraße ersparen den Weg um einen ganzen Kontinent herum. In anderen Fällen führt es zu solchen Grafiken („Map of the Atlantrop Projekt“ von Devilm25):

Und auch zu mindestens einem Dokumentarfilm, den man sich auf Vimeo in voller Länge anschauen kann.

Egal ob man sich in Jahrhunderten noch an den Namen Atlantropa erinnern wird, es ist eine Idee die niemals verschwinden wird. Von dem Moment an, an dem man eine Staumauer einige hundert Meter hoch bauen kann, ist eine Welt undenkbar, in der es diese Idee nicht gibt. Sie entsteht ganz von allein, sobald jemand auf eine Landkarte schaut und denkt: Könnte man dieses kurze Stück nicht auch mit einer Mauer abschließen. Sie ist fast genauso undenkbar wie eine Welt, in der das tatsächlich getan wird.

Kommentare (10)

  1. #1 dgbrt
    26. September 2015

    Eine großdeutsche Wahnsinnsidee von Herman Sörgel welche selbst für die Nazis im Dritten Reich zu groß war. Die wollten ja den Osten erobern, nicht aber Afrika. Aber man hätte mit dem Zug von Berlin nach Kapstadt fahren können.

    Alle Mittelmeerhäfen hätten neu gebaut werden müssen (nur Venedig sollte einen eigenen Damm bekommen). Alleine die Kosten dafür würden wohl die Dimension von Billionen Euro bei Weitem sprengen. Aber auch die Kosten nur für die Dämme würden mehr als 100 Milliarden Euro verschlingen.

    Die Verdunstung würde natürlich mehr als tausend Jahre dauern, die Mittelmeerstaaten hätten also Zeit. Viel weniger Zeit hätten sie allerdings, wenn der dann Damm irgendwann bricht…

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    26. September 2015

    Ja, das Teil fand und finde ich auch durchaus faszinierend (Männer sind manchmal auch nur kleine Jungs), sowas wie Gott spielen, Terraforming sozusagen.

    Vor allem beim ersten Mal war ich ziemlich begeistert. Die unakzeptablen ökologischen (und ökonomischen) Folgen waren mir damals überhaupt nicht klar. One learns never out… ;-)

  3. #3 Turi
    26. September 2015

    Ein Dammbruch wäre eine sehr unangenehme Sache. Bei der Zanclean Flut* hat es zwar 31 Monate gedauert, bis das Mittelmeer gefüllt war, aber dabei ist das Wasser teilweise mehr als 10 Meter gestiegen. Man hätte genug Zeit die Region zu evakuieren. Aber die Region wär ein Totalverlust.
    Auf der anderen Seite dauert es 1000 Jahre, bis sich das Mittelmeer geleert hat. Solange hält eine (heutige) Staumauer sowieso nicht durch, ohne mehrmals komplett erneuert zu werden.

    *https://en.wikipedia.org/wiki/Zanclean_flood

    • #4 wasgeht
      26. September 2015

      Ja, das wird auch in der Filmdokumentation so erwähnt.

  4. #5 Omnivor
    Am Nordpol von NRW
    26. September 2015

    Wenn ich die Karte richtig verstehe, sollte der Damm vom damals spanischen Nordmarokko nach Spanien gehen. Die Briten in Gibraltar hätten auf dem Trockenen gesessen.

  5. #6 möglichwärs
    Graz
    27. September 2015

    Na ja, ich wäre mir gar nicht so sicher das ein solches Projekt nicht durchgeführt wird, ich habe schon von Ideen gehört damit den steigenden Meeresspiegel der nächsten Jahrzehnte zumindest im Mittelmeerraum zu verhindern. Hierbei wäre es natürlich nicht nötig gleich das Mittelmeer austrocknen zu lassen, der Unterschied der den Anstieg des Meeresspiegels ausmacht wäre vollkommen ausreichend, der Erhalt des momentanen Meeresspiegels und der verhinderte Verlust von Boden würde die Kosten garantiert aufwiegen.

  6. #7 JoselB
    28. September 2015

    Bin ich der einzige, der dabei an den XKCD Comic 1190 denken muss?

  7. #8 Stefan
    28. September 2015

    Ein sehr interessantes Projekt von dem ich vor einigen Jahren zum ersten Mal gehört habe.

    Ich kann auch nicht umhin die Faszination zu spüren.
    Das ist aber ein Phänomen dem ich bei vielen Großprojekten anheim falle.
    Es ist bei mir die Sehnsucht nach etwas Monumentalem das wir Menschen erschaffen haben.

    Im Zuge mit der Beschäftigung mit Atlantropa ist mir aufgefallen, dass es einige antike Kulturen gibt die die Geschichte einer Sintflut erzählen.

    Könnte dies etwas damit zu tun haben, dass sich das Mittelmeer nach der letzten Eiszeit wieder (relativ) rasant mit Wasser gefüllt hat und das sozusagen im kulturellen Gedächtnis in Form dieser Geschichte hängen geblieben ist?
    Gibt es da Forschungen zu, oder weiß jemand etwas darüber?
    Vielleicht ist es auch nur eine Fantasterei, aber die Frage kam bei mir auf.

    • #9 wasgeht
      28. September 2015

      Die Theorie gibt es.

      Allerdings gehört auch zur chinesischen Geschichte eine Flut, in der ebenso legendären Xia Dynastie unter Yu dem Großen, auch bekannt als Yu der Ingenieur” (was endlich mal ein richtig gutes Epitat ist).

      https://en.wikipedia.org/wiki/Great_Flood_%28China%29

  8. #10 Alderamin
    28. September 2015

    @Stefan, Frank

    Die Theorie gibt es.

    Ja, allerdings nicht bezüglich des Mittelmeers (das wurde zuletzt vor 5,33 Millionen Jahren geflutet, da gab es noch gar keine Menschen) sondern bzgl. des Schwarzen Meers nach der letzten Eiszeit, 5600 v.u.Z.