1989 war die Welt in Aufruhr. Es gab eine Reihe von Aufständen und Regierungsumstürzen, vor allem in den Ländern des damaligen Ostblocks. Es sollte nicht überraschen, dass diese Umstürze bei Soziologen und Politikwissenschaftlern nicht nur zu Diskussionen geführt haben. Sie führten auch zu Veröffentlichungen, die nicht sonderlich tief durchdacht waren.
Eine dieser Veröffentlichungen war ein Buch von Francis Fukuyama, “The End of History” (1992) das auf einem Artikel basierte (1989), der immerhin frei zugänglich ist. Darin argumentierte Fukuyama, noch vor dem Fall der innerdeutschen Grenze, dass die Geschichte durch einen letztlich unwiderstehlichen Drang hin zu liberalen Demokratien determiniert wird. Damit meint er vor allem die allgemeine Beteiligung der Bevölkerung an der Regierung, den Schutz ihrer Sicherheit und Rechte, sowie eine freie Marktwirtschaft. Zu der Auffassung kam er wegen der Aufstände und Umstürze, die in der Welt damals im Gang waren, die Reformen in der Sowjetunion und die auch damals schon rasante Entwicklung in China und anderen asiatischen Ländern.
Fukuyama schrieb nicht nur, dass es diese Tendenz gab, sondern, dass die Umstürze dieser Zeit den Anfang vom Ende dieser Entwicklung darstellen. Außer dem allgemeinen Siegeszug der liberalen Demokratien und relativ offenen Märkte gäbe es nicht mehr, zu dem sich ein Land hin entwickeln würden. Dieser Siegeszug würde in der einen oder anderen Form fast von selbst einsetzen, sobald ein Land einen gewissen wirtschaftlichen Entwicklungsgrad erreicht hat.
Dabei interessierten ihn nicht “abgelegene Orte” wie “Burkina Faso oder Albanien”, sondern die generelle Entwicklung in der Welt. Er schloss zumindest seinen Artikel über das Ende der Geschichte mit der Befürchtung ab, dass es den Menschen in dieser Welt nach dem Ende der Geschichte langweilig werden würde und sie zu einem Umsturz der liberalen demokratischen Ordnung führen würde. Ein Interview mit Fukuyama aus dem Jahr 1992 kann man hier anschauen:
Es ist äußerst leicht, diese Auffassung lächerlich zu machen. Aber man sollte dabei vorsichtig sein. Immerhin ist sie letztlich Teil des Fundaments unserer eigenen Auffassung von Gesellschaft, in der die liberale demokratische Ordung die einzig legitime staatliche Ordnung überhaupt ist. Das Grundgesetz gewährt sogar den Gebrauch von Gewalt um den Umsturz dieser Ordnung zu verhindern. Die liberale demokratische Ordnung als höchstes aller Ziele ohne weitere Entwicklungsmöglichkeit die von dieser Ordnung weg führt, ist impliziter, tief verankerter Teil unserer Gesellschaft.
Inzwischen war viel Zeit, Schnellschüsse der Zeit um 1990 herum tiefer zu überdenken und auch Fukuyama hat das getan. 2007 gab er dazu einen Vortrag bei der LongNow Foundation. Dabei sprach er über die Probleme seiner damaligen Auffassung.
Ein Unterschied war die Frage der Kultur, die er in seinem Aufsatz nicht besprochen hat. Selbst wenn alle Gesellschaften liberale Demokratien nach westlichem Vorbild sind, bleiben kulturelle Unterschiede, die weit tiefer gehen als es die bloße Verwaltungs- und Regierungsform eines Landes tun würde. Ebensowenig hatte er in seiner früheren Betrachtung die Rolle der sich verändernden Technologie betrachtet und ihren Einfluss auf die Veränderungen der Gesellschaft, zum Beispiel in Bezug auf die weitere Verbreitung und Zugänglichkeit zu Kriegswaffen.
Der in meinen Augen wohl wichtigste Faktor ist aber die tatsächliche Abwesenheit einer internationalen Gesellschaft (“international society”), oder zumindest einer bestenfalls dysfunktionalen internationalen Gesellschaft. Ein wesentlicher Grund dafür ist die nie dagewesene weltweite militärische Dominanz eines Landes, der USA, über den Rest der Welt. Selbst das Britische Emipire versuchte im 19. Jahrhundert in der Seemacht nur mit den kombinierten militärischen Kräften der 2. und 3. größten Militärmächte gleich zu ziehen. Auf dem Land waren die Briten ohnehin unterlegen.
Die militärische Macht der USA auf den Meeren übersteigt hingegen die aller anderen Länder der Welt zusammen. Dabei entsteht ein Ungleichgewicht, das eben jene liberale Qualität der Demokratie untergräbt. Er sagte, dass viele Menschen außerhalb der USA fordern würden, dass auch ihnen eine Stimme bei der Wahl der US-Regierung zustehen sollte, wo doch ihr Schicksal in so vielem von dieser Wahl der US-Regierung abhinge. Das ist absolut nachvollziehbar, wie man auch an den Konflikten und Kriegen sehen kann, die in den letzten 8 Jahren von den USA ausgelöst, unterstützt oder selbst geführt wurden.
Der letzte Faktor den er an seinen Ideen kritisiert, ist die Rolle der Institutionen. Er sieht die ökonomische Entwicklung als Grundlage für die Entwicklung einer liberalen Demokratie an. Oder wie ich es sagen würde: Freiheit fängt im Bauch an, nicht im Kopf. Nämlich mit etwas zu Essen, das wann immer nötig seinen Weg in den Bauch findet. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist jede theoretisch vorhandene demokratische Beteiligung an der Regierung das Papier nicht wert, auf der sie beschrieben wurde.
Für die Sicherstellung der ökonomischen Entwicklung braucht es starke staatliche Institutionen. Ökonomische Entwicklung in marktwirtschaftlich orientierten Staaten hing im 20. Jahrhundert vor allem mit der Existenz einer Tradition starker staatlicher Institutionen zusammen. Japan, Korea, Taiwan und China hatten alle eine historische staatliche, bürokratische Ordnung die in ihren wesentlichen Funktionen mit denen in europäischen Staaten vergleichbar war. Es fehlen noch die anderen beiden Asiatischen Tiger: Hongkong war eine britische Kolonie hatte daher ihre staatlichen Institutionen und die Regierung in Singapur führte nach der Unabhängigkeit (und einer 2-jährigen, katastrophalen, Wiedervereinigung mit Malaysia) die institutionelle Ordnung der britischen Kolonialzeit im wesentlichen weiter.
Im Gegensatz dazu stellt Fukuyama die afrikanischen Kolonien, wo die Europäer vorhandene Institutionen und Machtstrukturen vorzugsweise zerstört oder für ihre Zwecke ausgenutzt haben. Er kritisiert auch westlichen Art der Unterstützung dieser Staaten, die schwache Staaten nicht stärken, sondern infantilisieren und eigenständiger Entwicklungsmöglichkeiten berauben. Wenn Entwicklungshilfe an die Einführung bestimmter politischer Maßnahmen gebunden ist, dann ist das eine unmittelbare Schwächung der Stellung des Staates. Die Bevölkerung wird diese Maßnahmen nicht als eigenständige Handlung der Regierung wahrnehmen, sondern als von außen der Regierung aufgezwungen. Selbst im allerbesten Fall, wenn die Maßnahme Erfolg hat, ist sie bestensfalls Symbol der Schwäche der Regierung und der Nutzlosigkeit eine Regiernug zu wählen, wo doch die gewählte Regierung nicht allein in der Lage war, die Maßnahme durchzusetzen.
Ein großes Problem sind auch die viel zu hohen Erwartungen an diese Länder. Immerhin dauerte die Entwicklung zu den relativ liberalen Demokratien in Europa wenigstens 500 Jahre, mit all den politischen Krisen, Kriegen und generelle unschönen gesellschaftlichen Entwicklungen und Katastrophen, die im Geschichtsunterricht an uns vorbeigerauscht sind. Die Existenz solche furchtbaren Probleme ist leider zu erwarten. Aber man sollte Staaten nicht deshalb als hoffnungslose Fälle, weil sie die europäische Entwicklung der letzten 500 Jahre nicht innerhalb der letzten 50 Jahre seit ihrer völlig unvorbereiteten und übereilten Unabhängigkeit reibungslos durchgezogen haben.
Wie auch immer man zu diesen Ideen stehen mag, eines steht fest: Der Mann hat nachgedacht und ist darauf gekommen, dass die Geschichte doch nicht so einfach und geradlinig verläuft wie er einst dachte. Selbstverständlich heißt das nicht, dass er nun, im zweiten Anlauf, die endgültige Weisheit gefunden hätte – aber von solchen Behauptungen hält er sich (inzwischen) auch fern.
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