Wenn MMO Computerspiele anfangen eine Parallelwelt zur “richtigen” Welt aufzubauen, dann haben sie oft auch parallele Probleme. Eines davon ist die Regulierung einer Wirtschaft, aber auch der Umgang mit ganz grundsätzlichen menschlichen Bedürftnissen und Verlangen. In dieser Beziehung haben die Programmierer und Betreuer solcher Spiele Möglichkeiten, um die sie jeder Politiker beneiden würde. Sie haben die perfekte Einsicht in die Wirtschaft und können jederzeit (mit einigem Aufwand) Regeln ändern, bis zu dem Punkt an dem sie Naturgesetze selbst ändern können.

Das macht die Sache nicht wirklich leicht. Denn wie im richtigen Leben hat die Wirtschaft auch in einem Spiel eine Aufgabe zu erfüllen. Mit Geld im Spiel werden Dinge gekauft, die man beim Spielen braucht. Gleichzeitig stellt das Spiel aber auch Geld bereit meistens durch Gold das beim Töten von Monstern abfällt, beim Lösen bestimmter Aufgaben und so weiter.

Dabei kommt es leicht zu Problemen mit Inflation. Denn das Gold der Monster kommt letztlich aus dem Nichts und Monster töten ist in vielen Fällen ein zentraler Teil des Spiels. (Je nach Spiel können es auch keine Monster, sondern Raumschiffe oder sonstwar sein, aber das Prinzip sollte klar sein.) Dazu kommen noch Mechanismen mit denen man Gegenstände gegen feste Geldbeträge an Computergenerierte Händler verkaufen kann, auch dieses Geld kommt aus dem Nichts. Andererseits sind diese Händler auch fast unverzichtbar, weil sonst die Welt mit überflüssigen Gegenständen überschwemmt würde. Natürlich könnte ein hinreichend komplexes Spiel das alles auch ganz ohne computergenerierte Währung nur durch Spielerinteraktionen schaffen, aber dazu müssten dies Spieler schon da sein, bevor das Spiel da ist.

Letztendlich müssen also alle Spiele auf die eine oder andere Art ein soches Fiat Geld und ein künstliches Wirtschaftssystem einführen, mit den bekannten Problemen. Aber die Existenz von Problemen heißt nicht, dass es unmöglich wäre damit umzugehen. Anders als Volkswirtschaftler sind Computerspieleentwickler dabei ziemlich pragmatisch. Ein Beispiel kann man sich hier anschauen:

(Der Youtube Kanal wäre nun durchaus empfehlenswert, wenn ich nicht die letzte Zeit damit verbracht hätte, in jeder freien Minute ein Video nach dem nächsten zu sehen. Also: Vorsicht.)

Ohne die Probleme der Politik und den reduzierten Problemen in der Durchsetzbarkeit in einem Computerspiel, werden mögliche Lösungen das Inflationsproblem recht transparent. Wenn die Geldquellen über längere Zeit größer sind als die Geldsenken, dann hat man irgendwann immer mehr Geld in der Wirtschaft. Das führt unweigerlich dazu, dass Preise explodieren und Gegenstände ihren Wert verlieren.

Allerdings ist man auch bei Computerspielen nicht völlig frei in der Wahl der Mittel, um diese probleme zu bekämpfen. Man hat in dem Spiel zwar die ultimative diktatorische Macht, aber man hat nicht die Macht die Spieler zum Spielen zu zwingen. Wenn die Spieler einfach weg bleiben, dann hat man die Inflation zwar bekämpft, aber trotzdem das Problem nicht gelöst. Denn genauso wie in der richtigen Wirtschaft ist das Problem nicht die Inflation, sondern die Zufriedenheit der Menschen die in der Wirtschaft leben müssen.

Es reicht nicht, einfach mehr Geldsenken in das Spiel zu intergrieren, damit mehr Geld aus der Spielwirtschaft verschwindet. Es darf darunter auch nicht das Spielerlebnis der Spieler leiden. Aber auch da gibt es Parallelen zum “richtigen” Leben, was nicht überraschen sollte, schließlich sind Spiele ein Produkt und Teil des menschlichen Lebens.

Es gibt Fragen von Freiheit, Handlungsmöglichkeiten und “Agency” (oder Selbstwirksamkeit) – das Erleben aus eigener Kraft heraus sein Schicksal in der Welt zu beeinflussen. Ich würde sogar soweit gehen, dass sie ein genauso wesentlicher Bestandteil für ein befriedigendes Spielerlebnis sind, wie auch für ein befriedigendes Leben. Aber lassen wir die Leute sprechen, die mit der Gestaltung solcher Spielerlebnisse ihr Geld verdienen und ihr Leben verbringen:



Die Möglichkeiten der Betreuer und Programmierer in der Welt die sie selbst schufen, sind fast unbegrenzt. Aber die tatsächliche Macht ist begrenzt. Einmal durch die Bedürftnisse und die Natur der Spieler und einmal durch den Arbeitsaufwand. Jeder Eingriff muss auch durch Menschen in begrenzter Zeit durchgeführt werden, was die realen Möglichkeiten noch viel weiter einschränkt.

Trotzdem ist die Herangehensweise in einer Computerspielwelt eine andere, als sie Philosophen, Soziologen oder Volkswirtschaftler zeigen. Das ist normal. Denn die Welt in der sie agieren ist eine andere. In der “echten” Welt hat niemand die Wahl zu existieren oder nicht. In einer virtuellen Welt besteht diese Wahl jederzeit. Man schließt das Programm, startet es nie wieder neu und schon ist man draußen. Die Welt und Regeln in der Welt müssen die Bedürftnisse der Menschen erfüllen, oder sie hören schlicht auf zu existieren.

Die nicht-virtuelle Welt ist da geduldiger. Egal wie schlimm die Bedingungen, die Spieler(*) haben nicht die Wahl zu existieren oder nicht. Trotz aller apokalyptischen Kults und Ankündigungen des Gegenteils hört die echte Welt nicht auf zu existieren, wenn sie für die Menschen zu schlecht geworden ist. Virtuelle Welten tun das. Dutzendweise.

Insofern stehen die Entwickler von Computerspielen vielleicht sogar vor der schwierigeren Aufgabe. Sie müssen eine Welt aufbauen, die sich für Menschen interessiert, in der Menschen ihren Platz finde können – Eudaimonie für alle. Und wer weiß, vielleicht kann diese neue Dimension menschlicher Erfahrung auch Auswirkungen auf das Denken und Handeln von Sozialwissenschaftlern und Politikern haben. Wenn man sich allein die Liste wissenschaftlicher Publikationen zu “World of Warcraft” oder “Eve Online” anschaut, kann man sich da bei der ersten Gruppe fast schon sicher sein.

Damit soll nicht gesagt sein, dass alles was man tut um virtuelle Welten für Spieler attraktiver zu machen genauso auch in der nicht-virtuellen Welt angewendet werden sollte. Einige der verwendeten Techniken sind nichts weniger als hochmanipulativ. Aber andere weisen überdeutlich auf klaffende Lücken hin. Das letzte der vier Videos oben ist so ein Beispiel.

In einer virtuellen Welt wird man versuchen Spieler dafür zu belohnen oder es wenigstens anzuerkennen, wenn sie schwer zu erreichende Orte erreicht oder besondere Dinge getan haben – und zwar völlig unabhängig davon, ob das von ihnen verlangt wurde oder nicht. Die Anstrengungen allein bauen eine gewisse Erwartungshaltung nach Anerkennung auf, die kein guter Spielentwickler freiwillig völlig enttäuschen wird.

Aus dieser Perspektive gesehen ist die echte Welt eine furchtbare Spielerfahrung, besonders in der Schulzeit, aber auch darüber hinaus. Ohne besondere Umstände ist Anerkennung für besondere Leistungen kaum zu erwarten, wenn sie nicht in vorgefasste Schemata passen. Das wäre an sich nicht so schlimm, aber diese Schemata werden nicht nach den Prinzipien der Spielentwickler entworfen, sondern nach Lehrplänen und Minimalanforderungen. Das genaue Gegenteil dessen, was ein bereicherndes und ermutigendes Ermöglichen würde. Die Enttäuschung der Erwartung ist der Regelfall, während eine ernsthafte Anerkennung oder Belohnung zu Ausnahme wird.

(*) wenn man Shakespeare glaubt. Wie ihr wollt:

Kommentare (8)

  1. #1 Dwon
    Bergisch Gladbach
    8. Oktober 2015

    Ich finde das Thema sehr interessant. Habe schon länger die Idee im Kopf in einem MMO (zB World of Warcraft) das bedingungslose Grundeinkommen auszuprobieren. Einfach ohne Risiko ausprobieren und zuschauen was passiert.
    Ist natürlich seeeehhhrr weit weg von der Realität, aber dennoch spannend zu sehen wie sich Menschen im Gegensatz zu anderen Welten verhalten.

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    8. Oktober 2015

    Fiat Geld, der war gut:-) Andere Modelle dieses Herstellers kauf ich eh nicht…

    Gab es nicht schon früher solche Pädagogik-Spiele, die auf “üblichenn” Spielen aufbauten und so Einblick in die Reaktion von Systemen bieten sollten? Bringen natürlich nicht so viel Geld ein…

  3. #3 Trottelreiner
    9. Oktober 2015

    Bezüglich der Inflation gab es ja in Stross’ “Halting State” die Idee, eine Zentralbank einzuführen, mit unterhaltsamen Folgen.

    Wobei Charlie ja schon seit Jahren meint, das Buch wäre obsolut, da von der Realität überholt.

  4. #4 Dr. Webbaer
    9. Oktober 2015

    Können virtuelle Welten bessere Politik in die reale Welt bringen?

    “Saugute” Frage übrigens, der Schreiber dieser Zeilen, der als junger Bär viel US-amerikanische SciFi der Sechziger zK nahm, hatte als eines seiner ersten dbzgl. Bücher einen Roman zur Hand, der diese Frage bearbeitete.
    (Oft auch technische und trockene SciFi der Sechziger.)

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. W (der unbedingt anrät, und hauptsächlich deshalb meldet er sich hier gerade, die hiesigen wertvollen Nachrichten vorab durch eine sogenannte Rechtschreibprüfung zu jagen)

  5. #5 fherb
    20. Oktober 2015

    @Dr. Webbaer
    Und ganz im Gegensatz ich: Ich freu mich immer, beim Lesen über eine rechtschreibliche Stolperstelle zu fallen, mich aufzufangen und mit dem Schwung des Schreibers, ein Lächeln im Gesicht, dem Inhalt des Beitrags zu folgen.

    Der Rechtschreibfehler in einem Blog hat für mich etwas Besonderes: Es ist pure Authentizität! In Büchern gibt es das nicht. Denn haben vorher zig Augen drüber gesehen.

  6. #6 fherb
    20. Oktober 2015

    Es fehlt ein “da” im letzten Satz. So schnell geht’s. :-D

    quod erat demonstrandum

  7. #7 Sim
    23. Oktober 2015

    Ich liebe ja die Extra Credits Serie. Die hab ich auch mal gebingewatched und freu mich über jedes neue Video.

    Was das Bedingungslose Grundeinkommen in MMOs anbelangt muss man feststellen, dass das ja faktisch in jedem MMO bereits enthalten ist. Das BGE ist ja für die Grundsicherung gedacht, dass man also ein Dach übern Kopf hat und Essen, Trinken, fließend Wasser und Heizung sich leisten kann. Aber das sind alles Dinge die ein Videospielcharakter an sich nicht braucht. In den meisten Spielen verhungert der verdurstet der Charakter gar nicht und muss nicht schlafen und selbst wenn dann sind diese Dinge so billig dass es nicht der Rede wert ist. Tatsächlich sehe ich in diesen Spielen jetzt schon wie eine Welt mit BGE aussehen könnte. Die Leute suchen sich dann eben ihre eigenen Ziele und machen das was ihnen Spaß macht. Trotzdem ist es weiterhin notwendig Einkommen zu generieren wenn man sich Luxusartikel leisten möchte.

    Auch wie man in Videospielen auf Exploits reagiert im Vergleich dazu wie man das in der Realität macht ist aufschlußreich. Reiche Menschen sind eben nicht per se heiliger oder fleißiger als andere Menschen sondern sitzen oft nur an den richtigen Stellen um ihren Reichtum aquirieren zu können. Dieses Verständniss könnte auch mal dazu beitragen die Spitzensteuersätze zu erhöhen und vielleicht Superreichtum per se zu verbieten. Also zur Klarstellung: Wenn eine Privatperson so reich ist, dass sie sich einen Flugzeugträger leisten kann, dann ist die Schwelle zum Superreichtum überschritten und das finde ich, ist auch ethisch nicht vertretbar, denn wir haben nur endliche Ressourcen auf diesem Planeten da sollte es Einzelnen nicht möglich sein diese im großen Stil zu verschwenden.

    Ich meine es kann ja ruhig Millionäre geben und dass man sich ein angenehmes Leben machen kann aber bei Milliardären (alles jetzt mal in Euro oder Dollar gerechnet) wird es kritisch denn das ist, um mal im Bild zu bleiben: Game Breaking.

  8. […] In Computerspielen wird nicht nur geschossen und gemordet, sondern auch gehandelt. Dass dieser Handel irgendwann Probleme bringen kann, sieht man daran, dass Inflation kein Fremdwort ist. Wie nah an der Realität sind Wirtschaftssysteme in Computerspielen? […]