Der Spiegel schrieb gestern unter der Überschrift “Wildschweinfleisch lößt Fehlalarm in AKW Temelin aus” etwas von einem Arbeiter, der im tschechischen Kernkraftwerk Temelin bei der routinemäßigen Kontrolle am Eingang aufgefallen ist. Der Grund dafür war wohl ein Wildschweinbraten, den er zuvor gegessen hat. Über die Hintergründe schreibt man dagegen recht wenig. Damit meine ich nur eine Einordnung der Gefahren durch solches Fleisch, wie ich sie schoneinmal hier geschrieben habe.
Der zuständige Journalist kam über ein lapidares “Der Arbeiter sei nicht in Gefahr, Grenzwerte seien nicht überschritten worden” nicht hinaus. Diese Sätze kommen nicht von der Industrie in die Zeitung, sondern von Journalisten, die immer wieder auf die gleichen nichtssagenden Formulierungen zurückgreifen. Dazu gehörten auch Sätze wie “schlugen die hochempfindlichen Messgeräte für Radioaktivität an”. Dabei lohnt es sich schon bei dem letzteren Satz einmal hellhörig zu werden und gegebenenfalls nachzufragen. Mir ist paktisch kein Fall bekannt, in dem das ein Journalist in ähnlichen Fällen getan hätte.
Dabei bieten sich einige Fragen sofort an. Was sind das für Messgeräte und was messen die?
Wenn es sich wirklich um Messgeräte für Radioaktivität handeln würde, wäre der Arbeiter fast mit Sicherheit nicht aufgefallen. Denn alle Menschen haben radioaktive Stoffe in sich, egal ob Kohlenstoff-14 oder das Kalium-40 in Knochen und Nervenzellen. Die Eingangskontrolle in den Kontrollbereich eines Kernkraftwerks sucht man deswegen nicht einfach nach Radioaktivität. Die würde man immer finden. Man sucht nach Stoffen die aus dem Inneren des Kontrollbereichs, also aus dem Reaktor, stammen können. Anders als in der Anfangszeit der Kernkraft geht es nicht einfach nur darum, die Strahlenbelastung der Öffentlichkeit unter bestimmten Grenzwerten zu halten. Es geht darum, jede zusätzliche Belastung so niedrig zu halten, wie es noch vernünftig machbar ist. “As low as reasonably possible.”
Dabei hilft es, dass fast jeder radioaktive Zerfall mit mehr oder weniger starker Gammastrahlung einher geht, die je nach Stoff eine exakte Wellenlänge hat, wie ein Fingerabdruck. Bei der Eingangskontrolle bestimmt man nicht einfach nur, ob Gammastrahlung vorhanden ist, sondern ob ihre Wellenlänge mit Stoffen überein stimmt, die nur im Kernkraftwerk vorkommen. Es geht bei diesen Messgeräten nicht darum, ob für irgendjemanden eine Gefahr besteht. Das würden schon die einfachen Dosimeter melden, ganz ohne den technischen Aufwand. Es geht darum, möglichst frühzeitig zu wissen, ob irgendwo im Kontrollbereich eine noch so kleine Menge solcher Stoffe freigesetzt wurde.
Die Messgeräte schlagen also nicht auf Radioaktivität an, sondern beispielweise auf Cs-137 oder Cs-134. (Genauso wie eine Reihe anderer “Fingerabdrücke”.) Das ist auch der Grund, weshalb man so sicher sagen kann, dass das Cäsium von außen kommt. Denn Cs-134 und Cs-137 entstehen immer zusammen im Reaktor und treten auch immer zusammen auf. Allerdings hat das Cs-137 eine Halbwertszeit von 30 Jahren und das Cs-134 nur eine Halbwertszeit von 2 Jahren. Der Unfall von Tschernobyl ist aber fast 30 Jahre her, so dass das damals freigesetzte Cs-134 praktisch vollständig zerfallen ist. Die atmosphärischen Atombombenexplosionen im kalten Krieg sind noch länger her. Wenn man also nur Cs-137 misst, aber kein Cs-134, dann muss es von außen kommen.
Es ist nur deswegen möglich, solche sehr geringen zuätzlichen Strahlungsmengen nachzuweisen, weil man die gesamte Strahlung von anderen Quellen ausblenden kann. Nur deshalb kann man dann auch sagen, dass man es nachgewiesen hat, aber keine Grenzwerte überschritten wurden und keine Gefährdung bestand. Aber diese Zusammenhänge werden in der allgemeinen Berichterstattung meistens außen vor gelassen.
Und was ist bei Unfällen?
Der zynisch zugeneigte Leser mag nun sagen: Ok. Wenn alles gut läuft, dann versucht man möglichst keine Emissionen zu haben. Aber wenn etwas schlief läuft, dann ist alles egal. Das stimmte früher tatsächlich einmal und man sollte das auch nicht beschönigen. Aber es hat sich aber hierzulande schon vor Jahrzehnten geändert. Das Ziel der möglichst kleinen Freisetzung gilt auch für Unfälle. Allerdings nur dort, wo man die Sicherheitsvorkehrung seit den 60er und 70er Jahren auch auf dem aktuellen Stand gehalten hat.
In Japan hat man diesen Schritt erst nach dem Unfall in Fukushima Daiichi getan. Davor waren die Kernkraftwerke noch auf dem jeweiligen Stand der Technik der vorherrschte, als sie entworfen wurden, ohne grundlegende Verbesserungen. Im Fall der Siedewasserreaktoren und Containments die in Fukushima Daiichi zu Einsatz kamen, war das der Stand von 1965.
Eine ganz gute Zusammenfassung der Geschichte dieser Sicherheitsregularien in den USA findet man im NUREG/CR-6042. Da man in Japan die amerikanischen Konstruktionen zunächst weitgehend übernommen hat, gelten die gleichen grundlegenden Richtlinien in der Konstruktion der Kernkraftwerke auch für Japan. Das heißt, dass beim größtmöglichen Unfall keine Personen außerhalb des Kraftwerks sterben sollen, wenn entsprechende Maßnahmen getroffen werden. – Auch wenn dazu eine Evakuierung der Umgebung nötig wäre.
Die Kontaminierung der Umgebung spielte in den den 60er Jahren noch keine Rolle. Entsprechend nahm man es damals noch in Kauf, dass im schlimmstmöglichen Unfall einige tausend Quadratkilometer kontaminiert würden. (Der schlimmstmögliche Unfall ist nicht der GAU. Der GAU ist nur der größte anzunehmende Unfall.) Das änderte in Europa spätestens in den 80er Jahren, als in Schweden 1980 Filter vorgeschrieben wurden und Deutschland und Frankreich 1988 nachzogen. In Japan geschah das erst 2013. Denn es war spätestens seit der NUREG-1150 (auch Rasmussen Report) im Jahr 1975 allgemein bekannt, dass insbesondere im Fall der damals in den USA und somit auch in Japan üblichen Kontainments von Siedewasserreaktoren bei einer Kernschmelze große Teile der Umgebung kontaminiert würden. Der Rasmussen Report wurde auch in Deutschland öffentilch diskutiert und ist auch für jeden einsehbar. Was nicht in Japan umgesetzt wurde, war der Schutz vor Überschwemmungen, insbesondere Tsunamis.
Damals bezeichnete man Tsunamis noch als “tidal waves”. Unter diesem Namen wurden sie explizit auch schon 1975 im Nureg-1150 als eine der möglichen Ursachen für eine vollständigen Stromausfall mit anschließender Kernschmelze genannt. Die Frage der Sicherheitstechnik kam ohnehin erst 1992 in Japan auf und wurde bis ins Jahr 2000 praktisch tatenlos diskutiert. Erst 2009 gab es dann einen abschließenden Report über die inzwischen umgesetzten Sicherheitsmaßnahmen, die praktisch durchweg enttäuschend sind.
Exemplarisch sei die erst im Jahr 2000 gemacht Vorgabe genannt, nach der zwei Notstromgeneratoren für jeden Reaktor installiert sein müssen, was nur eine Rückkehr zu den Standards der 60er Jahre bedeutet. (In Deutschland sind mindestens 4 Notstromgeneratoren vorgeschrieben. Man geht davon aus, dass im Notfall ein Generator gerade in Reparatur ist und ein weiterer kaputt ist. Je nach Umständen müssen aber mehr als 4 installiert werden, um die Funktion in bestimmten Situationen wie Hochwassern zu gewährleisten.) Bevor diese Regeln in Kraft traten reichte es aus, für zwei Reaktoren drei Notstromgeneratoren zu haben, wenn die beiden Reaktorgebäude nebeneinander standen.
Ein ernsthaftes Umdenken setzte in Japan erst nach 2011 ein.
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