China hat bekanntlich mehr Einwohner als die EU, Russland, Japan und die USA zusammen. Aber es gibt immernoch weniger unterschiedliche Raketen in China als in diesen vier Ländern. Man ist aber dabei aufzuholen und ein eigenes Ökosystem chinesischer Raketen aufzubauen, die jeden Zweck erfüllen können. Manchmal gibt es auch für einen Zweck mehrere Raketen.

Das ist nichts ungewöhnliches. Schon wegen der Einwohnerzahl sollte man es vermuten: Die Chinesische Wirtschaft ist kein homogenes Gebilde. Auch in China gibt es mehrere konkurrierende Unternehmen, die unterschiedliche Raketen entwerfen und zum Kauf anbieten. Egal ob sie nun von der chinesischen Regierung selbst gekauft werden oder privaten Anbietern auf der ganzen Welt.

Die NAGA-1 Rakete gehört wohl zur letzteren Kategorie.

Kleine Anmerkung zum letzten Countdown Podcast: Dort nannte ich die Rakete NAGA-L. Sie wird tatsächlich an manchen Stellen so bezeichnet. Wahrscheinlich beruht es auf einer Verwechslung. Da NAGA-1 überwiegt, bleibe ich jetzt bei der Bezeichung.

Sie wiegt beim Start etwa 100 Tonnen und erinnert damit an die Langer Marsch / Chang Zheng-6 Rakete, von der ich schon geschrieben habe. Es braucht deswegen nicht verwundern, dass die erste Stufe das gleiche YF-100 Triebwerk benutzt. Ich würde sogar vermuten, dass sie einfach die gleiche erste Stufe benutzt.

Die großen Unterschiede gibt es darüber. Die zweite Stufe wird mit einem YF-75 Triebwerk angetrieben, das sonst Teil der Chang Zheng-3 Raketen ist. Es ist ein chinesisches Wasserstofftriebwerk mit etwa 8 Tonnen Schub, das im Gasgeneratorzyklus läuft. Es ist damit etwas leistungsstärker als das HM7B Triebwerk der Oberstufe in der Ariane 5, aber auch deutlich schwerer.  Wobei nicht immer klar ist, ob beispielsweise die Hydraulik zum Schwenken eines Triebwerks zum Triebwerksgewicht gehört oder nicht. Vergleiche sind also mit Vorsicht zu genießen.

In jedem Fall erlaubt die wasserstoffgetriebene Oberstufe eine deutlich bessere Leistung als die Chang Zheng-6, die eher auf Flexibilität und weniger auf Leistung optimiert wurde. Als Nutzlast werden 1,5 Tonnen in einen 400km hohen Orbit und 820kg in einen sonnensynchronen Orbit (SSO) angegeben. Das alles zu einem Preis von $10mio.

Damit ist die Rakete eine sehr ernsthafte Konkurrenz für alle kleineren Raketenanbieter. Egal ob Firefly oder Rocketlabs, sie können nicht im Ansatz mit dieser Rakete mithalten. Die Firefly Alpha soll mit $9mio etwa genauso viel kosten, aber mit 200kg nur ein Viertel der Nutzlast (SSO) bieten. Die Electron von Rocketlabs soll für knapp $5mio nur 100kg zum SSO bringen. Verschwinden werden die Raketen trotzdem nicht. Allein die ITAR Exportbeschränkungen aus den USA werden dafür sorgen. Die sollen zwar eigentlich den Waffenschmuggel unterbinden, werden aber mit mehr oder weniger fadenscheinigen Begründungen auch sehr gern für die Abschottung von Märkten in den USA vor ausländischer Konkurrenz verwendet.

Für die Starts sind mehrere Standorte in Gespräch. Die Starts in China sollen von 41 Grad nördlicher Breite erfolgen, also von Jiuquan in der inneren Mongolei, mit allen Problemen von auf Land herunter fallenden Trümmern die das mit sich bringt. Für diesen Standort gelten auch alle Nutzlastangaben. Andere Standorte im Gespräch finden sich vor der Küste von Tanzania, in der Nähe des Äquators, was eine höhere Nutzlast erlauben würde. Außerdem ein Standort im Norden von Papua Neuguinea, ebenso in Äquatornähe und ein weiterer im Norden von Schweden. Wenn ich einmal etwas genaueres über diese Standorte heraus finde (besonders den in Schweden), werde ich davon berichten.

Mit der NAGA-1 ist das ganze Geschehen in der Raumfahrt gleich noch ein Stück verworrener und interessanter geworden, man wird sehen, was uns noch erwartet.

Kommentare (2)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    22. Oktober 2015

    “…im Norden von Schweden…” Welchen Sinn hätte das denn?

    Ja, die USA und der “freie” Handel, ein trübes Kapitel… :-(

    • #2 wasgeht
      22. Oktober 2015

      Im Podcast hatte ich es noch gesagt welchen Sinn das macht, aber hier vergessen. Sorry.

      Von Schweden sollen die Raketen in polare Umlaufbahnen fliegen, also Richtung Norden. Sonst geht man ja an den Äquator, weil dort die Erdrotation beim Start hilft. Wenn man nach Norden oder Süden in Richtung der Pole fliegt, dann hilf die nicht, sondern stört. Also will man dafür möglichst weit weg vom Äquator.