Archäologische Ausgrabung kennt man. Ein Haus soll gebaut werden, oder eine Straße. Man stellt fest, dass dort mal eine alte Römersiedlung oder etwas in der Art stand und die Archäologen kommen zur Ausgrabung.
Wenn diese Archäologen in England vom Ironbridge Gorge Museum anrückten, dann taten sie das in einem roten Ford Transit. Zumindest bis zum Jahr 2006. In dem Jahr sollte der Wagen verschrotten werden und kurzerhand selbst zum Ausgrabungsobjekt. Zu dieser Ausgrabung gibt es auch ein Video, das man unbedingt mit Stereolautsprechern oder Kopfhörern anschauen sollte. (Es werden unterschiedliche Stimmen gleichzeitig auf den linken und den rechten Kanal eingespielt.)
Natürlich entspricht so ein Projekt nicht ganz dem Alltag der Archäologen, die sonst sehr viel ältere Objekte zum Ziel haben. Aber die Methoden der Archäologie sind universell genug, dass man sie auch in einem so modernen Objekt anwenden kann. Der Wagen war immerhin über ein Jahrzehnt im Einsatz. Dabei entstanden ganze Schichten, an denen sich die Vergangenheit des Wagens nachvollziehen lässt. Wobei natürlich auch die Checkhefte und Dokumentationen des Herstellers äußerst hilfreich waren. Aber auch das gehört zum normalen Prozess der Archäologen. Zuerst versucht man alles über das Ausgrabungsojekt herauszufinden, was es gibt. Dazu gehörte in dem Fall auch die Befragung der Leute, die ihn benutzt haben.
Danach ging es dem Wagen langsam an den Kragen. Zuerst wurden die Innenräume begutachtet. Über 350 kulturelle Artefakte wurden gefunden. Darunter auch Hundehaare, ein Stück Konfetti, Luftschlangen, Zigarettenstummel (maschinell und handgedreht) – was eindeutiger Beleg dafür ist, dass Archäologen keine Kinder von Traurigkeit sind. Wenn der Wagen einmal nicht für Parties benutzt wurde, dann fuhr er natürlich bestimmungsgemäß zu Ausgrabungen. Das war auch weit überwiegend der Fall.
Das merkt man schon an den diversen Schäden an den Aufhängungen der Räder und der Karosserie, die mehr oder weniger notdürftig repariert wurden. Ein Radkasten soll fast nur noch aus Spachtelmasse bestanden haben. Die Wege zu den Ausgrabungen sind nicht immer glatt und asphaltiert. Ganz anders stand es um den Motor und den Rest des Antriebsstrangs. Das Auto ist ein behördlicher Wagen, der regelmäßig gewartet wurde, weshalb sich diese Teile in makellosen Zustand befanden. So ähnlich wie der Fund von Konfetti ist auch das ein Beleg für den gesellschaftlichen Hintergrund des Ausgrabungsobjekts. Während sich das Museum um die ordnungsgemäße Wartung kümmerte, betrachteten die Mitarbeiter den Wagen eher als Arbeitsmaterial und nahmen ihn recht hart ran. Außen pfui, Innen hui ist ein ganz gute Beschreibung.
Wirklich interessant sind natürlich die Artefakte aus dem Inneren, die nichts mit den gelegentlichen Feiern zu tun hatten. Darunter waren einige elektrische Komponenten, von denen sich etwa 30% noch als voll funktionstüchtig heraus stellten, was die Archäologen zum Anlass zu Spekulationen über Verschwendung nahmen. Ansonsten fanden sich diverse Muttern, Schrauben, Holzstücke, einige Bleistifte und ähnliches das bei Ausgrabungen immer wieder Verwendung findet.
Und dann ist da noch die Kategorie von Artefakten, die endgültig bewieß, dass dieser Wagen von Archäologen benutzt wurde. So fand sich im ganzen Wagen nur ein einziges Geldstück. Unter der Fußmatte lag eine viktorianische 3-Penny-Münze von 1893. Außerdem fanden sich diverse kleine Keramikfragmente. Die älteste war wohl an die 1800 Jahre alt. Der Rest verteilte sich über die gesamte Zeit dazwischen. Vom frühen und späten Mittelalter bis hin zum 19. Jahrhundert, dazu kam noch ein Stück grünes Schmuckglas aus dem frühen 20. Jahrhundert und drei Stück Schlacke aus einem Hochofen.
Der ganze Bericht wurde im Magazin “Britisch Archeology” unter dem Titel “Sic Transit Gloria Mundi” ver entöffentlicht. [Newland, C., Bailey, G., Schofield, J. & Nilson, A. 2007 ‘Sic transit gloria mundi’ British Archaeology 92, 16-21.]
Aber einen guten Einblick bekommt man auch im Archeological Record der “Society for American Acheology” hier ab Seite 39. Einem Webseitenartikel von British Archeology, dem oben verlinkten Video und auch dem Blog zur Ausgrabung.
Ich danke dem “Buddler” Mirko Gutjahr, der mich auf diese Anekdote brachte.
Kommentare (5)