Als die chinesische Dynastie der Tang nach 907 schließlich zerfiel, gelang es den Khitan eine eigene Dynastie zu gründen. Die große Liao Dynastie. Der Name ist mir zum ersten Mal in dem Computerspiel MechCommander 2 begegnet, das im Battle Tech Universum spielt, wo alle möglichen Kulturen zumindest mit ihrem Namen völlig aus dem Zusammenhang gerissen vorkommen. Nichtig wie er war, es war der Anlass mir die Geschichte dieser Dynastie ein wenig genauer anzuschauen. Die Khitan schafften es den gesamten Nordosten Chinas zu erobern, von der Mandschurei bis zum heutigen Beijing und in die innere Mongolei hinein, sowie angrenzende Teile Russlands. Ich hoffe, das Wort “erobern” reicht aus um alle Bilder von friedlichem, gemeinsamem Klampfen von Gitarren am Lagerfeuer zu verdrängen. Die Methoden waren nicht sonderlich menschenfreundlich.

Aber trotzdem regierte nun ein Steppenvolk über eroberte, sesshafte Chinesen und das taten sie immerhin für zwei Jahrhunderte. Die Khitan standen nun vor dem Dilemma die beiden Kulturen unter einen Hut zu bringen. Denn die Lebensweise der Chinesen war für das Leben in der Steppe nicht geeignet und gleichzeitig profitierten sie davon. Also entstand ein Nebeneinander, bei dem die Khitan darauf achteten, nicht zu sehr “sinisiert” zu werden, also selbst zu Chinesen zu werden. So wurden Soldaten in regelmäßigen Abständen für längere Zeit in die Steppe geschickt, damit sie nicht zu sehr “verweichlichen”. Sie entwickelten eine eigene Schrift und letztlich auch eine eigene Kultur. Das Land wurde in einen nördlichen und einen südlichen Teil aufgeteilt und von fünf Hauptstädten aus regiert. Wobei der nördliche Teil eher nach den Sitten der Steppe und der südliche Teil nach dem Vorbild der Tangdynastie regiert wurde. Die zentrale Hauptstadt von Liao hieß auf Chinesisch Shangjing (die große Hauptstadt) und dann folgten entsprechend der Himmelsrichtungen Ost, West, Nord und Süd: Dongjing, Xijing, Beijing und Nanjing. Das Problem ist nur, dass das Land weit im Norden ist. Die Stelle, an der die südliche Hauptstadt (“Nanjing”) von Liao stand, ist auch die Stelle, an der heute die “nördliche Hauptstadt” von China steht: Beijing. Es war das erste mal, dass diese Stadt ein größere Bedeutung erlangte.

In China selbst herrschte zur gleichen Zeit die neu entstandene Song Dynastie. Die war politisch recht schwach, was überhaupt erst das Bestehen dieses Konstrukts ermöglichte. Aber am Anfang des 12. Jahrhunderts schien das Ende der Liao gekommen zu sein. Noch weiter nördlich von Liao lebten zu dieser Zeit die Jurchen, die es auf das Gebiet von Liao abgesehen hatten und es auch bekommen würden. Sie schlossen eine Allianz mit den chinesischen Song, um Liao von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen. Das war ein monumentaler Fehler. Freilich nicht für die Jurchen. Denn die eroberten im Anschluss nicht nur Liao, sondern den ganzen Norden Chinas, bis hinunter zum Jangtze, und gründeten die Jin Dynastie. Damit blieb kein Platz mehr für Liao und den Herrschern der Song-Dynastie war ein ganz besonders unrühmlicher Platz in der chinesischen Geschichte sicher – auch wenn sie im Westen für viele technische Erfindungen wie das Papiergeld, den Kompass und das Schießpulver hoch angesehen ist.

Das Land der Liao war nun jedenfalls Territorium der Jin. Aber auch in 200 Jahren hatten die Liao ihre Wurzeln als Steppenbewohner nicht vergessen. Sie zogen nach Westen, bis sie schließlich in das Gebiet des heutigen Kasachstan kamen und ihren Staat wieder aufbauten und sich weiter als die großen Liao bezeichneten. Für ein weiteres Jahrhundert gab es nun einen Staat, der nur wenig an Größe eingebüßt hat, aber in einer völlig anderen Gegend existierte. Entsprechend wurde er von anderen auch als Qara Khitai oder westliche Liao bezeichnet, schon um den Unterschied klar zu machen.

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Kommentare (3)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    31. Dezember 2015

    Schön zusammengefasste Erzählung einer weitgehend unbekannten Geschichtsepoche eines fernen Teils der Welt.

    Sowas wäre für den Geschichtsunterricht sicher nützlich. Ich möchte nicht wissen, wieviele Schüler sich so ein Referat abkopiert haben :D

  2. #2 fherb
    8. Januar 2016

    Deine Beiträge aus der asiatischen Welt um China sind immer wieder interessant. Ich habe aber ein Gedächtsnisproblem. Es sind zu viele Informationen, für die mir aus Gründen des (ost-)deutschen Geschichtsunterrichts vor über 30 Jahren die “Schubfächer” zum Einsortieren fehlen. Der Kontext zum Entwicklungsstand, Du sprachst die Erfindung des Schießpulvers an, ist ebenfalls ein Problem für mich. Gibt es irgendwo ein gutes “Lehrwerk”, mit dem man sich das mal in Ruhe anlernen kann? Es war schon ein Alarmsignal für mich, als Du über die kriegerischen Dimensionen berichtetest, die Weltkriegsniveau hatten. Vor allem in der Zahl der Opfer: Das ist sicher nicht nur für mich Neues gewesen. Und die Zusammenhänge würde ich gern tiefer verstehen. Gibt’s da deutschsprachige Literatur zu all dem?

    Viele Grüße
    Frank

    • #3 wasgeht
      8. Januar 2016

      Bei mir fing es mit zwei chinesischen Filmen an, bei denen ich den historischen Hintergrund wissen wollte. Einmal “Hero” – die Geschichte des ersten Kaisers von China – und dann “The Warlords” https://en.wikipedia.org/wiki/The_Warlords (Ein Film der weder sonderlich gut noch erfolgreich war, aber in der Taiping Rebellion spielte und mich das ganze Setting mit Schwertern, Speeren, Schilden, Pfeil und Bogen, Musketen und Kanonen in China irgendwie total vewirrt hat.)

      Danach habe ich einfach nur weiter gelesen und anderes “Zeugs” konsumiert, das in die Richtung ging. Mal mehr und mal weniger wissenschaftlich. (Die Artikel, die ich hier schreibe, sind ohnehin nur dafür gedacht, “Appetit” zu machen. Denn ich bin kein Historiker und habe vor denen im Lauf der Zeit einigen Respekt bekommen.) Auf Englisch gibt es da recht viel Material, auch viele Vorlesungen auf Youtube, auf Deutsch habe ich keine Ahnung.