Wenn man sich die Geschichte eines Landes wie China anschaut, dann vergisst man leicht die Geschichte um das Land herum. Die Steppen im Norden von China waren von Anfang an ein wichtiger Teil dieser Geschichte.
Die weiten Steppen im Norden Chinas waren immer dünn besiedelt, aber keineswegs leer. Sie sind ein Lebensraum in dem gerade zu wenig Regen fällt um konventionellen Ackerbau möglich zu machen, aber genug Gras für Tiere wachsen zu lassen. Fleisch, Milch und Blut von Tieren wurde zum Korn der Steppe. Natürlich konnte das nicht genauso intensiv passieren wie beim Ackerbau. Die Bevölkerungsdichte war immer viel niedriger und die Notwendigkeit des Umherziehens brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Größere Gegenstände und Anlagen lassen sich schwer mit dem Leben auf der Steppe vereinbaren. Während das Überleben in der Steppe gut möglich war, ist das Leben doch hart. Leichter wäre es in besserem Klima, wo auch mehr Gras wächst. Aber dort leben schon andere Leute, noch dazu Leute die Zugang zu Rohstoffen und einer ganzen Infrastruktur eines Staates haben. Im Vergleich zur Steppe leben sie im Reichtum. Irgendwo da werden zumindest Konflikte unausweichlich.
Aber das heißt nicht, dass diese Steppenvölker kein ernstzunehmender Faktor gewesen wären. Denn rein militärisch interessiert nicht die Frage, wieviele Menschen in einer bestimmten Gegend leben, sondern wieviele Menschen an einem Punkt zu einem Zeitpunkt zusammenkommen können. Die flache Steppe, das überall wachsende Gras und Pferde zur schnellen Fortbewegung glichen die mangelende Dichte wieder aus. Mit guter Koordination konnten die Steppenvölker große Armeen in kurzer Zeit konzentieren und ihre “zivilisierteren” Zeitgenossen überwältigen. Das passierte auch immer wieder.
Die berühmte chinesische Mauer war kein Schmuck, sondern eine absolute Notwendigkeit zur Verteidigung des Landes.
Das beste Gegenmittel war aber Politik. Im wieder wurden Töchter und Söhne mit den Anführern und Königen dieser Völker verheiratet, um die diplomatischen Verbindungen möglichst positiv zu gestalten. Außerdem versuchte man, wo immer möglich, die verschiedenen Steppenvölker gegeneinander auszuspielen. Solange sie gegeneinander Krieg führen, kann es keine größeren koordinierten Angriffe gegen das Land geben. Das klappte aber immer nur höchstens so lange, wie die kaiserliche Regierung in China selbst noch in der Lage war, irgendeine koordinierte Politik zu betreiben. Nun ist keine Regierung wirklich stabil. Zumindest nicht, wenn man von Zeiträumen über 2000 Jahre spricht. Und das galt auch für die Regierung der Tang Dynastie.
Der Anfang vom (langen) Ende der Tang Dynastie begann im Jahr 755, mit dem General An Lushan. Der war lange Zeit im Nordosten Chinas im Einsatz und kämpfte gegen die Khitan. Übrigens recht erfolgreich, was aber über diverse Umwege dazu führte, dass An Lushan gegen den Kaiser selbst zu Felde zog – natürlich mit einiger Unterstützung im Volk. 7 Jahre später lag so manches in China in Trümmern. An Lushan selbst starb schon 757. Die Tang Dynastie überstand das ganze aber nicht völlig unbeschadet und zerfiel dann 150 Jahre später. Die Khitan konnten davon nur profitieren. Denn deren Dasein war bis dahin von Uiguren und Turkvölkern aus dem Westen und den Chinesen im Süden diktiert wurden. Vor der Rebellion kämpfte An Lushan gegen eine Invasion von Khitan, die dazu ihrerseits von den Turkvölkern angestachelt wurden. Erst durch die Schwächung der Tang begann der langsame Aufstieg der Khitan.
Als die chinesische Dynastie der Tang nach 907 schließlich zerfiel, gelang es den Khitan eine eigene Dynastie zu gründen. Die große Liao Dynastie. Der Name ist mir zum ersten Mal in dem Computerspiel MechCommander 2 begegnet, das im Battle Tech Universum spielt, wo alle möglichen Kulturen zumindest mit ihrem Namen völlig aus dem Zusammenhang gerissen vorkommen. Nichtig wie er war, es war der Anlass mir die Geschichte dieser Dynastie ein wenig genauer anzuschauen. Die Khitan schafften es den gesamten Nordosten Chinas zu erobern, von der Mandschurei bis zum heutigen Beijing und in die innere Mongolei hinein, sowie angrenzende Teile Russlands. Ich hoffe, das Wort “erobern” reicht aus um alle Bilder von friedlichem, gemeinsamem Klampfen von Gitarren am Lagerfeuer zu verdrängen. Die Methoden waren nicht sonderlich menschenfreundlich.
Aber trotzdem regierte nun ein Steppenvolk über eroberte, sesshafte Chinesen und das taten sie immerhin für zwei Jahrhunderte. Die Khitan standen nun vor dem Dilemma die beiden Kulturen unter einen Hut zu bringen. Denn die Lebensweise der Chinesen war für das Leben in der Steppe nicht geeignet und gleichzeitig profitierten sie davon. Also entstand ein Nebeneinander, bei dem die Khitan darauf achteten, nicht zu sehr “sinisiert” zu werden, also selbst zu Chinesen zu werden. So wurden Soldaten in regelmäßigen Abständen für längere Zeit in die Steppe geschickt, damit sie nicht zu sehr “verweichlichen”. Sie entwickelten eine eigene Schrift und letztlich auch eine eigene Kultur. Das Land wurde in einen nördlichen und einen südlichen Teil aufgeteilt und von fünf Hauptstädten aus regiert. Wobei der nördliche Teil eher nach den Sitten der Steppe und der südliche Teil nach dem Vorbild der Tangdynastie regiert wurde. Die zentrale Hauptstadt von Liao hieß auf Chinesisch Shangjing (die große Hauptstadt) und dann folgten entsprechend der Himmelsrichtungen Ost, West, Nord und Süd: Dongjing, Xijing, Beijing und Nanjing. Das Problem ist nur, dass das Land weit im Norden ist. Die Stelle, an der die südliche Hauptstadt (“Nanjing”) von Liao stand, ist auch die Stelle, an der heute die “nördliche Hauptstadt” von China steht: Beijing. Es war das erste mal, dass diese Stadt ein größere Bedeutung erlangte.
In China selbst herrschte zur gleichen Zeit die neu entstandene Song Dynastie. Die war politisch recht schwach, was überhaupt erst das Bestehen dieses Konstrukts ermöglichte. Aber am Anfang des 12. Jahrhunderts schien das Ende der Liao gekommen zu sein. Noch weiter nördlich von Liao lebten zu dieser Zeit die Jurchen, die es auf das Gebiet von Liao abgesehen hatten und es auch bekommen würden. Sie schlossen eine Allianz mit den chinesischen Song, um Liao von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen. Das war ein monumentaler Fehler. Freilich nicht für die Jurchen. Denn die eroberten im Anschluss nicht nur Liao, sondern den ganzen Norden Chinas, bis hinunter zum Jangtze, und gründeten die Jin Dynastie. Damit blieb kein Platz mehr für Liao und den Herrschern der Song-Dynastie war ein ganz besonders unrühmlicher Platz in der chinesischen Geschichte sicher – auch wenn sie im Westen für viele technische Erfindungen wie das Papiergeld, den Kompass und das Schießpulver hoch angesehen ist.
Das Land der Liao war nun jedenfalls Territorium der Jin. Aber auch in 200 Jahren hatten die Liao ihre Wurzeln als Steppenbewohner nicht vergessen. Sie zogen nach Westen, bis sie schließlich in das Gebiet des heutigen Kasachstan kamen und ihren Staat wieder aufbauten und sich weiter als die großen Liao bezeichneten. Für ein weiteres Jahrhundert gab es nun einen Staat, der nur wenig an Größe eingebüßt hat, aber in einer völlig anderen Gegend existierte. Entsprechend wurde er von anderen auch als Qara Khitai oder westliche Liao bezeichnet, schon um den Unterschied klar zu machen.
Das wirklich endgültige Ende der Liao kam am Anfang des schicksalhaften 13. Jahrhunderts durch ein anderes Steppenvolk: Die Mongolen. Denen gelang es die gesamte Steppe zu erobern und auch ganz China. Dabei half ihnen die Tatsache, dass die Jin bei den Chinesen keine sehr beliebten Herrscher waren. Weil meines Feindes Feind schon fast mein Freund ist, halfen die Chinesen den Mongolen viel mehr bei der Eroberung als sie es vielleicht getan hätten, hätten sie gewusst wie die Geschichte ausgeht. Innerhalb weniger Jahrzehnte eroberten die Mongolen nicht nur China, sondern ganz Asien und Osteuropa. Mit ein paar Ausnahmen in Süd- und Südostasien. (Und natürlich Japan.)
Die Mongolen ihrerseits zerstritten sich und wurden 1368 aus China vertrieben, blieben aber noch über Jahrhunderte eine Gefahr. Mongolen eroberten Persien zurück und regierten es. Im 16. Jahrhundert drangen sie in Indien ein und sind uns besser bekannt als “Mughal” oder “Mogule”. Auch die Geschichte der Jurchen (die als Jin-Dynastie Nordchina regierten) ist mit der Befreiung von den Mongolen nicht zuende. In der Mitte des 17. Jahrhunderts gewannen die Jurchen im Nordosten wieder an Macht. Sie nannten sich nun Mandschu und eroberte Teile Chinas unter der Ming Dynastie. Das Gebiet aus dem sie stammen, nennen wir heute noch Mandschurei.
Schließlich kamen zu den Mandschu noch Bauernaufstände hinzu, mit einer schlagkräftigen Armee. Zwischen Bauernarmee und Manchus entschied sich der letzte Kaiser der Ming schließlich dafür, auf die Seite der Mandschu zu wechseln statt auf die Seite der chinesischen Bauern. Dafür war es aber zu spät. Beijing, schon unter den Mongolen zur Hauptstadt Chinas geworden, wurde erobert. Der Kaiser nahm sich das Leben. Der Anführer der Bauern gründete schon am 8. Februar 1644 die “Shun Dynastie” die aber nur bis zum 5. Juni 1645 durchhielt, als die Mandschu anfingen China zu erobern, aber diesmal gründlich. Diesmal nannten sie sich nicht Jin, sondern Qing. Es war die letzte chinesische Dynastie, die 1912 von einer Rebellion unter Sun Yatsen beendet wurde. Aber das ist nun wirklich eine ganz andere Geschichte.
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