Zwischen den Feiertagen gab es in Hamburg den 32. Chaos Communication Congress. Der Christopher, mein Partner vom Countdown Podcast, war dort und hat Interviews geführt. Eins davon mit Nikolas und Severin, die in ihrem Studium ein Höhenforschungsprojekt in Schweden durchgeführt haben. (Das Artikelbild zeigt den Vortrag, mit Nikolas am Mikrophon.)

Das gleiche Interview war auch schon in der letzten Ausgabe vom Podcast zu hören, wer lieber lesen mag, kann das hier tun:

Ihr habt einen Talk über REXUS/BEXUS gehalten. Was ist denn das?

Nikolas: REXUS/BEXUS ist ein Programm, das es studentischen Teams erlaubt eigene Experimente zu entwickeln und auf einer Höhenforschungsrakete — im Fall von REXUS — oder in einem Höhenforschungsballon — im Fall von BEXUS — mitfliegen zu lassen.

Die gehen dann in den Weltraum?

Nikolas: Die Raketen bringen die Nutzlast auf eine Höhe von ca. 80km. Die Ballone können bis maximal 35km steigen, was aber effektiv nicht immer erreicht wird.

Die starten im Norden. Wo genau?

Nikolas: Das Startgelände ist das Esrange Space Center, das in der Nähe der kleinen Stadt Kiruna liegt. Es ist nördlich des Nordpolarkreises und in der Gegend rundum ist sehr viel Wald und kaum Menschen, deshalb kann man das dort machen.

Ihr habt dort in einem Projekt geforscht. Was habt ihr dort zu tun?

Nikolas: Wir haben dort zwei unterschiedliche Projekte gemacht. Ich war ein Teilnehmer von einem Team aus München. Wir haben an einer REXUS Rakete Vibrationsmessungen und Beschleunigungsmessungen gemacht mit faseroptischen Systemen. Und Severin …

Severin: Wir haben auf einem BEXUS Höhenforschungsballon einen Empfänger für Flugzeugdaten geflogen. Wir haben eine ADS-B Datenempfänger gebaut. Der soll die ADS-B Daten, die ein Flugzeug sekündlich sendet, empfangen, zwischenspeichern und zur Erde downlinken. Die Idee war, dass wir einen Empfänger bauen, der später auch auf einem Satelliten fliegen könnte, wenn man ihn weiterentwickelt.

(Mehr zu den Experimenten von Nikolas und Severin gibt es in ihrem Vortrag.)

Wieso habt ihr den Vortrag auf dem Kongress gehalten? Was hat das mit Hackern zu tun?

Severin: Die Intention war, dass wir Leute motivieren wollten, bei REXUS/BEXUS mitzumachen. Es ging weniger um das Hacken, als darum, dass man eine Idee hat und es Möglichkeiten für Studenten in ganz Deutschland gibt, dort teilzunehmen, dass man Experimente bauen und dann testen kann.

Und wie bewirbt man sich da?

Severin: Es gibt jedes Jahr im Sommer ein Call for Proposals. Dazu kann man ein Paper schreiben, es gibt aber auch Formblätter, die man ausfüllen kann. Dort steht, was man machen will, was die Idee des Experiments ist. Wenn man eingeladen wird, hält man einen Vortrag für einige Minuten, wird ins Kreuzverhör genommen und bekommt kritische Fragen gestellt. Wobei das alles schlimmer klingt als es letztendlich ist.

Nikolas: Es geht darum, festzustellen, was die Anforderungen an das Experiment sind. Ob sich das Experiment auf der Rakete oder dem Ballon durchführen lässt und was die Nebenbedingungen sind. Was zu beachten ist, ob es Inkompatibilitäten mit anderen Experimenten gibt. Bei der Rakete könnten einige Experimente zum Beispiel eine besonders gute Schwerelosigkeit brauchen, was bei anderen nicht so wichtig ist. Einige Experimente kann man auch nicht kombinieren, wenn z.B. ein Experiment zu viele Vibrationen erzeugt, etwa wenn man einen Minisatelliten aus der Rakete auswirft.

Severin: Es geht auch darum, dass die Institute schauen wollen, ob die Teams in der Lage sind das über den Zeitraum von 10-18 Monaten durchzuführen. Denn es ist neben dem Studium nicht so einfach, dieses Projekt durchzuführen.

Wie groß ist so eine Höhenforschungsrakete?

Nikolas: Die REXUS Raketen bestehen aus der Nutzlast oben und dem Motor unten. Die Rakete hat eine Länge von ca. 6 Metern, das Gewicht ist insgesamt ca. 500kg beim Start.

Ist 90km Höhe schon Weltraum?

Nikolas: Je nach Defintion ist das dann Weltraum oder nicht. In den USA liegt die Grenze bei ca. 80km, die FAI hat 100km festgelegt. Es ist ohnehin weit weg von einem festen Orbit. Alles was dort hoch geschossen wird, kommt wieder runter. Aber man hat durchaus eine gewisse Zeit an sozusagen-Schwerelosigkeit oder reduzierter Schwerkraft um Experimente zu machen.

Geht es darum die Schwerelosigkeit möglichst lang zu haben, oder werden auch Experimente während des Flugs gemacht?

Severin: Es werden auch Experimente während des Flugs gemacht, das hängt einfach vom Experiment ab.

Das ist ein Projekt von der ESA?

Nikolas: Das ist kein Projekt von der ESA. Ursprünglich war es eine Kooperation zwischen dem DLR und des SNSB (Swedish National Spaceboard). Später hat das SNSB seine Hälfte der ESA zur Verfügung gestellt, so dass auch Teams aus anderen Ländern außer Deutschland und Schweden teilnehmen können.

Eure Projekte laufen noch?

Nikolas: Unsere Projekte sind abgschlossen. In meinem Fall war der Start 2014.

Severin: Bei mir war es Oktober 2014, bei euch war es Juni. Ich bin noch bei einem andere Projekt beteiligt, bei dem Platinen ausgeworfen werden mit Beschleunigungssensoren. Die Idee dahinter ist, dass sie später von Cubesats ausgeworfen werden. Das wird nächstes Jahr im März 2016 fliegen.

Ihr werft die Platine aus der Rakete aus und die fallen dann zu Boden, dort werden die aufgefangen?

Severin: Nein die fallen zu Boden. Sie fliegen noch ein Stück mit der Rakete mit. Wir werden auf 60km ausgeschossen. Die fliegen dann noch ein Stück auf der Flugbahn mit und fallen wieder zurück.

Wie sieht eure Zukunft aus? Weitere Experimente in der Raumfahrt?

Severin: Ich studiere gerade noch im Master Raumfahrtelektronik in Jena. Noch ein Jahr, dann Masterarbeit und Jobsuche. Wahrscheinlich in der Raumfahrtbranche. Aber bis auf das Lime-Projekt, das noch läuft, werde ich dort keine Experimente mehr durchführen.

Nikolas: Ich studiere noch Master Infomatik. Das werde ich noch fertig machen. Was ich danach mache steht auch noch nicht 100% fest. Raumfahrt ist ein interessantes Gebiet. Ob ich das machen werde, da bin ich nicht 100% sicher. Aber was ich dort an Erfahrung gesammelt habe, kann man auch an vielen anderen Stellen anwenden. Man bekommt auch eine andere Sicht auf bestimmte Voraussetzungen oder Annahmen, die in anderen Umgebungen nicht vorkommen. In der Raumfahrt sind das die Bedingungen, dass man sonst z.B. eine Atmosphäre hat und hier nicht.

Gibt es Neuerungen bei Höhenforschungraketen? Es gibt die Idee, dass sie von Flugzeugen abgschossen werden. Ist da etwas geplant?

Nikolas: Mir ist dort nichts bewusst. Das REXUS Projekt läuft mit alten Orion Motoren, die verschrottet werden sollten. Die werden dort eingesetzt, sonst ist mir nichts bekannt.

Was habe ich nicht gefragt?

Severin: Nach BEXUS – ist das Pendant zu REXUS, mit einem Ballon. Das findet in einer Gondel aus Alu statt, die etwa 1,5m groß ist. Es können dort viel größere Experimente stattfinden. Die Flugzeiten sind viel länger mit 2-3 Stunden. Unser Experiment lief 2 Stunden wegen hoher Horizontalwinde, so dass es schnell abgeschnitten wurde.

Abgeschnitten?

Severin: Der Ballon kann nicht kontrolliert werden, aber man kann die Nutzlast z.B. mit einem Pyrocutter abschneiden, wenn sie zu weit abtreibt und dann wird sie mit einem Helikopter wieder eingesammelt.

Der Ballon ist mit Helium gefüllt?

Severin: Ja. Man hat früher auch Wasserstoff verwendet. Dann gab es aber ein kleineres Unglück in Esrange und seit dem verwendet man Helium.

Was ist der Vorteil von Wasserstoff?

Severin: Er ist günstiger und hat mehr Auftrieb.

Wird der Ballon einfach vom Vorplatz gestartet oder gibt es dafür spezielle Startvorrichtungen?

Severin: Es gibt eine spezielle Startvorrichtung. Der Ballon wird in einer langen Linie ausgerollt. Und dann gibt es das Herkules Startfahrzeug, das ist ein umgebauter Bagger. Die Gondel wird daran gehängt, der Ballon ist auf der andrene Seite. Dann wird der Ballon losgelassen, schwebt nach oben und sobald er in einer Linie mit der Gondel ist, fährt Herkules los. Es beschleunigt den Ballon nochmal in eine Richtung, damit die Gondel von dem Fahrzeug wegschweben kann, nicht zurückschwingt und nichts gefährliches passiert. So werden alle Höhenforschungsballone in Esrange gestartet.

Sehen die so aus wie Wetterballone?

Severin: Das sind relativ kleine Ballone im Vergleich dazu. Man kann sich Bilder anschauen auf www.rexus-bexus.net Das sind viel größere Ballon, weil auch viel mehr getragen werden muss. Die Experimente haben bei uns allein 120kg gewogen … in der Größenordnung. Das sind viel größere Massen. Deswegen sind die Ballone auch viel größer.

Gibt es auch private Gruppen, die solche Ballone starten oder braucht man spezielle Erlaubnisse?

Severin: Es ist so, dass sich 2015 das Gesetz verändert hat. Es gibt jetzt ein Europagesetz in der Luftfahrtverordnung. Man kann also nicht mehr einfach einen Ballon starten. Offiziell müsste man sogar Partyballons anmelden, besonders bei Massenstarts. Aber das ist ein Graubereich. Wir haben in Jena neben der BEXUS Nutzlast noch eine kleine Nutzlast entwickelt, das UTrack Projekt, wo wir einen kleinen GPS Empfänger haben, der die Position empfängt, die Daten weiterverarbeiten und zur Erde schickt. Der hängt dann an einem kleinen Partyballon dran und schwebt in einer Höhe von 6-7km mehrere Tage lang, meistens.

Gerade Cubesats werden ja in letzter Zeit immer beliebter. Werden Höhenforschungsraketen und -ballons jetzt in der Raumfahrtforschung mehr oder weniger eingesetzt?

Severin: Ich glaube, das ist schwierig zu sagen. Ich hatte den Eindruck bei BEXUS 18/19, dass viele die später einmal einen Cubesat bauen wollen zuvor einen Prototypen gebaut haben, der mit REXUS/BEXUS geflogen ist. Zum Beispiel ein Projekte von der TU-München, die einen Teilchendetektor geflogen und getestet haben, der später auf einem Cubesat fliegen soll. Für Prototypenentwicklung ist das sehr geeignet, deswegen bleibt das, glaube ich, konstant.

Nikolas: Der Vorteil ist einfach, dass man das Material wieder zurückbekommt. Man kann nachschauen, ob es funktioniert hat oder nicht. Und wenn es nicht funktioniert hat, kann man nachschauen und die Fehler zukünftig vermeiden. Was man bei einem einmaligen Satellitenstart nicht machen kann, wenn dann vielleicht eine einfache Schaltung nicht funktioniert. Deswegen gibt es hier eine einfache Möglichkeit mit einer Höhenforschungsrakete oder Ballon solche Dinge zu testen.

Severin: In dem REXUS/BEXUS Zyklus müssen die Teams einen kompletten Raumfahrtzyklus durchlaufen. Also den kompletten Ablauf einer Raumfahrtmission. Das beginnt mit dem Selection Workshop und endet mit der Launch-Kampagne, bzw. der Auswertung der Daten. In jeder Stufe muss ein Dokument geschrieben werden, in dem steht wie man Dinge baut etc. Was eine gute Voraussetzung für spätere Projekte ist, weil das gerade bei der ESA oft verlangt wird.

Wie sind die Preise?

Nikolas: Den Teams stehen bestimmte Mittel zur Verfügung, den genauen Preis kenne ich nicht. Aber es wird auch die Fertigung und ähnliches übernommen, jenachdem wie die Möglichkeiten der beteiligten Organisationen sind. Z.B. Fertigung der Modulringe und anderer mechanischer Teile, die gefräst werden müssen oder 3D Druckteile. Alle elektrischen Bauteile können auch über die Organisatoren bezogen werden, die kümmern sich um den Einkauf, genauso wie Platinenfertigung. Außerdem werden auch für einige Personen die Reisekosten übernommen, so dass dann auch 5 Personen zur Startkampagne kommen können, die vom REXUS/BEXUS Programm finanziert sind.

Vielen Dank für das Interview.