Nach dem tragischen Eisenbahnunfall in Bayern letzte Woche, wurden nun in einer Pressekonferenz erste Ergebnisse der Untersuchung zur Ursache des Unfalls veröffentlicht.
Während Details noch nicht veröffentlicht wurden, beeilte sich der Sprecher doch einige Dinge gleich zu Anfang klar zu stellen: Die Ursache war menschliches Versagen (des Fahrdienstleiters), die Technik hat funktioniert. Wenn sich der Fahrdienstleiter an die vorgeschriebene Verfahrensweise gehalten hätte, wäre das Unglück nicht passiert.
Diese Suche nach der Schuld hat eine lange Tradition, genauso wie die Dichotomie zwischen “menschlichem” und “technischem” Versagen. Die Bedeutung liegt letztlich darin, dass man im ersten Fall einem Menschen die Schuld aufbürdet und ihn bestraft. Im zweiten Fall wird die Technik genauer untersucht und möglicherweise verbessert, damit solche Unfälle künftig vermieden werden können. Das letztere Vorgehen ist im Fall eines Zugunglücks tatsächlich sehr wahrscheinlich, vor allem weil es selten auftritt und große öffentliche Diskussionen auslöst.
Häufig auftretende Unfälle haben nur im Ausnahmefall derartige Auswirkung. Bis 2011 gab es in Deutschland im Durchschnitt jeden Tag eines Jahres elf Tote durch Verkehrsunfälle, so viele wie in besagtem Zugunglück. Eine deutliche Verbesserung, in den Jahren um 1970 gab es etwa 19000 Tote pro Jahr – oder 52 pro Tag. Die öffentliche Reaktion auf die Toten durch Verkehrsunfälle ist dennoch praktisch nicht vorhanden, im Vergleich zur Größe des Problems.
Mensch oder Technik?
Tatsächlich ist die Frage, ob Technik oder Mensch “schuldig” ist, eine rein subjektive Einordnung. Für beide Schlussfolgerungen lassen sich unmittelbar Argumente finden.
Natürlich war die Technik schuld! Wegen mangelnder Funknetzabdeckung konnte der Fahrdienstleiter die beiden Zugführer nicht erreichen, nachdem er seinen Fehler bemerkt hat. (Zumindest wurde das so berichtet.) Der Funk hat nicht funktioniert, also hat die Technik versagt. Die Funkabdeckung wird aber von Menschen geplant. Die hätten sehen müssen, dass unübersichtliche Teile der Strecke nicht abdeckt sind. Also waren doch die Menschen schuld!
Und das lässt sich weiter fortsetzen, aber schauen wir uns einen anderen Aspekt an:
Die punktförmige Zugbeeinflussung hat den Unfall nicht verhindert, obwohl das ihre Aufgabe war. Also hat die Technik versagt. Aber sie wurde tatsächlich regulär von einem Menschen außer Kraft gesetzt (auf Anweisung/ bzw. mit Genehmigung des Fahrdienstleiters), also hat die Technik funktioniert und der Mensch ist schuld. Aber die Technik hatte die Aufgabe, dass zwei Züge einen bestimmten Streckenabschnitt nicht gleichzeitig befahren können und hat diese Aufgabe nicht erfüllt, also hat die Technik ihre Aufgabe nicht erfüllt. Aber Menschen müssen die PZB außer Kraft setzen können und dann müssen sie dafür die Verantwortung tragen. Also ist der Mensch schuld. Aber die Technik müsste so gebaut werden, dass solche Eingriffe nach Möglichkeit gar nicht nötig sind. Offensichtlich ist das aber regelmäßig der Fall. Also ist die Technik schuld.
Auch das könnte nun ewig fortgesetzt werden. Die Schuld liegt am Ende bei der Partei, der zuerst die argumentatorische Puste ausgeht, was aber nicht heißt, dass es für die Partei nicht noch weitere Argument gäbe. Es erinnert alles stark an einen infiniten Regress. So ähnlich wie bei Zenos Paradox ist es das aber nicht, denn letztlich kann man das ganze Problem ganz leicht auflösen:
Menschen haben die Technik entworfen und gebaut. Also ist immer der Mensch schuld.
Wozu überhaupt Schuld?
Tatsächlich ist hier das eigentliche Problem. Jede Technik stammt vom Menschen, weshalb die Technik keine Schuld treffen kann. Die Technik ist einfach kein schuldfähiges Subjekt. Womit es sich lohnt einen Schritt zurück zu treten und zu fragen: Was tut man eigentlich, wenn nach so einem Unglück die Schuldfrage gestellt wird?
Wenigstens zwei Dinge auf einmal. Eines wurde in der Pressekonferenz angesprochen. Die Angehörigen wollen Aufklärung, sie wollen wissen wie es dazu gekommen ist. In vielen Fällen geht das damit einher, dass ein schuldiger Mensch gefunden werden soll. Das ist eine menschliche Qualität, die wenigstens seit mehreren Jahrtausenden existiert und belegt ist. Sie ist auch nicht völlig unvernünftig, denn es gibt Boshaftigkeiten an denen tatsächlich einzelne Menschen schuld sind. Die müssen nicht nur aufgespürt werden, sie müssen auch abgeschreckt werden.
Das zweite das die Schuldsuche versucht, ist eine Wiederholung des Unglücks zu verhindern. Aber dafür ist die Feststellung, dass ein bestimmter Mensch die Schuld trägt, teilweise sogar kontraproduktiv. Technische Fehler sind nicht boshaft. Sie können durch Strafen werder verhindert noch von ihrem Auftreten abgeschreckt werden. Sie müssen aufgespürt und aktiv verhindert werden. Das geht leicht verloren, wenn einem Menschen die Schuld gegeben wird.
Dazu kommen noch die Probleme bei der Zuordnung.
Kommentare (42)