Nach dem tragischen Eisenbahnunfall in Bayern letzte Woche, wurden nun in einer Pressekonferenz erste Ergebnisse der Untersuchung zur Ursache des Unfalls veröffentlicht.

Während Details noch nicht veröffentlicht wurden, beeilte sich der Sprecher doch einige Dinge gleich zu Anfang klar zu stellen: Die Ursache war menschliches Versagen (des Fahrdienstleiters), die Technik hat funktioniert. Wenn sich der Fahrdienstleiter an die vorgeschriebene Verfahrensweise gehalten hätte, wäre das Unglück nicht passiert.

Diese Suche nach der Schuld hat eine lange Tradition, genauso wie die Dichotomie zwischen “menschlichem” und “technischem” Versagen. Die Bedeutung liegt letztlich darin, dass man im ersten Fall einem Menschen die Schuld aufbürdet und ihn bestraft. Im zweiten Fall wird die Technik genauer untersucht und möglicherweise verbessert, damit solche Unfälle künftig vermieden werden können. Das letztere Vorgehen ist im Fall eines Zugunglücks tatsächlich sehr wahrscheinlich, vor allem weil es selten auftritt und große öffentliche Diskussionen auslöst.

Häufig auftretende Unfälle haben nur im Ausnahmefall derartige Auswirkung. Bis 2011 gab es in Deutschland im Durchschnitt jeden Tag eines Jahres elf Tote durch Verkehrsunfälle, so viele wie in besagtem Zugunglück. Eine deutliche Verbesserung, in den Jahren um 1970 gab es etwa 19000 Tote pro Jahr – oder 52 pro Tag. Die öffentliche Reaktion auf die Toten durch Verkehrsunfälle ist dennoch praktisch nicht vorhanden, im Vergleich zur Größe des Problems.

Mensch oder Technik?

Tatsächlich ist die Frage, ob Technik oder Mensch “schuldig” ist, eine rein subjektive Einordnung. Für beide Schlussfolgerungen lassen sich unmittelbar Argumente finden.

Natürlich war die Technik schuld! Wegen mangelnder Funknetzabdeckung konnte der Fahrdienstleiter die beiden Zugführer nicht erreichen, nachdem er seinen Fehler bemerkt hat. (Zumindest wurde das so berichtet.) Der Funk hat nicht funktioniert, also hat die Technik versagt. Die Funkabdeckung wird aber von Menschen geplant. Die hätten sehen müssen, dass unübersichtliche Teile der Strecke nicht abdeckt sind. Also waren doch die Menschen schuld!

Und das lässt sich weiter fortsetzen, aber schauen wir uns einen anderen Aspekt an:

Die punktförmige Zugbeeinflussung hat den Unfall nicht verhindert, obwohl das ihre Aufgabe war. Also hat die Technik versagt. Aber sie wurde tatsächlich regulär von einem Menschen außer Kraft gesetzt (auf Anweisung/ bzw. mit Genehmigung des Fahrdienstleiters), also hat die Technik funktioniert und der Mensch ist schuld. Aber die Technik hatte die Aufgabe, dass zwei Züge einen bestimmten Streckenabschnitt nicht gleichzeitig befahren können und hat diese Aufgabe nicht erfüllt, also hat die Technik ihre Aufgabe nicht erfüllt. Aber Menschen müssen die PZB außer Kraft setzen können und dann müssen sie dafür die Verantwortung tragen. Also ist der Mensch schuld. Aber die Technik müsste so gebaut werden, dass solche Eingriffe nach Möglichkeit gar nicht nötig sind. Offensichtlich ist das aber regelmäßig der Fall. Also ist die Technik schuld.

Auch das könnte nun ewig fortgesetzt werden. Die Schuld liegt am Ende bei der Partei, der zuerst die argumentatorische Puste ausgeht, was aber nicht heißt, dass es für die Partei nicht noch weitere Argument gäbe. Es erinnert alles stark an einen infiniten Regress. So ähnlich wie bei Zenos Paradox ist es das aber nicht, denn letztlich kann man das ganze Problem ganz leicht auflösen:

Menschen haben die Technik entworfen und gebaut. Also ist immer der Mensch schuld.

Wozu überhaupt Schuld?

Tatsächlich ist hier das eigentliche Problem. Jede Technik stammt vom Menschen, weshalb die Technik keine Schuld treffen kann. Die Technik ist einfach kein schuldfähiges Subjekt. Womit es sich lohnt einen Schritt zurück zu treten und zu fragen: Was tut man eigentlich, wenn nach so einem Unglück die Schuldfrage gestellt wird?

Wenigstens zwei Dinge auf einmal. Eines wurde in der Pressekonferenz angesprochen. Die Angehörigen wollen Aufklärung, sie wollen wissen wie es dazu gekommen ist. In vielen Fällen geht das damit einher, dass ein schuldiger Mensch gefunden werden soll. Das ist eine menschliche Qualität, die wenigstens seit mehreren Jahrtausenden existiert und belegt ist. Sie ist auch nicht völlig unvernünftig, denn es gibt Boshaftigkeiten an denen tatsächlich einzelne Menschen schuld sind. Die müssen nicht nur aufgespürt werden, sie müssen auch abgeschreckt werden.

Das zweite das die Schuldsuche versucht, ist eine Wiederholung des Unglücks zu verhindern. Aber dafür ist die Feststellung, dass ein bestimmter Mensch die Schuld trägt, teilweise sogar kontraproduktiv. Technische Fehler sind nicht boshaft. Sie können durch Strafen werder verhindert noch von ihrem Auftreten abgeschreckt werden. Sie müssen aufgespürt und aktiv verhindert werden. Das geht leicht verloren, wenn einem Menschen die Schuld gegeben wird.

Dazu kommen noch die Probleme bei der Zuordnung.

Es gibt Unglücksfälle – egal ob im technischen oder gesellschaftlichen Umfeld – bei denen die Ursache nicht an den Handlungen eines einzelnen Subjekts festgemacht werden kann. Die Zusammenhänge sind zu komplex oder die Beteiligten zu zahlreich, als dass es vernünftig wäre eine Schuld zuzuordnen.

Wen trifft die Schuld, wenn ein bestimmtes Bauteil eines Flugzeugs unerwartet einen Ermüdungsbruch erleidet? Man müsste wohl alle Ingenieure und Materialforscher zur Verantwortung ziehen, die jemals mit dem Bau des Flugzeugs, dem Bau verwandter Komponenten, der Entwicklung und Untersuchung der benutzten Materialen und Werkzeuge beschäftigt waren. Genauso wie alle Ingenieure und Mechaniker, die jemals einen Hinweis auf ein solches Verhalten an ähnlichen Bauteil, vielleicht an einem Rasenmäher, gesehen haben und keine Veröffentlichung geschrieben haben, die auf die mögliche Schwäche hinweist.

Natürlich geht das zu weit. Welchen Anteil der Schuld sollte man den einzelnen Leuten zuordnen, wenn man es auf diese Weise plötzlich mit Zehntausenden zu tun hat? Dazu kommt noch die Frage: Kann dann überhaupt irgendwer, irgendetwas tun, ohne dass er potentiell als Schuldiger für ein Unglück gilt, mit dem er über fünf Verzweigungen in Verbindung steht?

In früheren Zeiten hätte man in solchen Fällen dem Schicksal die Schuld gegeben, manchmal tritt heute stattdessen die Technik an diese Stelle.

Was sollte Technik tun?

Womit ich zu dem komme, was ich eigentlich schreiben wollte. Denn ich habe durchaus eine Meinung zu dem Unglück, so wie es sich bisher darstellt. Es wurde noch nicht konkret gesagt, worin die Abweichung vom vorgeschriebenen Verhalten des Fahrdienstleiters bestand, nur Alkohol wurde explizit ausgeschlossen. Diese Meinung kann sich damit für diesen speziellen Fall noch ändern.

Aber es gibt einige allgemeine Dinge, die man sagen kann.

Wie schon geschrieben: Das Sicherheitskonzept hat in seiner Aufgabe versagt. Das Sicherheitssystem konnte umgangen werden, obwohl sich zwei Züge auf dem gleichen Gleis befanden. Das ist ein Versagen der Technik, völlig unabhängig davon ob sich der Fahrdienstleiter korrekt verhalten hat oder nicht. Die Sicherheitstechnik existiert ja gerade deshalb, weil menschliche Fehler passieren und ihre Auswirkungen verhindert werden sollen.

Der Fahrdienstleiter hatte keine Möglichkeit die Zugfahrer zu erreichen, nachdem er einen Fehler gemacht hatte. Die Möglichkeit zur Kommunikation gehört zur Sicherheit. Die Zugfahrer hatten keine Möglichkeit, selbstständig herauszufinden, wo der jeweils andere Zug ist. Es fehlte an Redundanz in der Kommunikation und in der Information. Natürlich trug der Fahrdienstleiter die Verantwortung, aber war es verantwortlich, einem Menschen allein diese Verantwortung zu übertragen?

Ob das technisches Versagen ist, wie oben schon diskutiert, eine Frage der Defintion. Es haben alle sicherheitstechnischen Einrichtungen so funktioniert, wie sie sollten. Keine hat versagt. Es stellt sich aber die ernsthafte Frage, ob diese Einrichtungen adequat waren. Technik kann auch dadurch versagen, dass sie schlicht fehlt. Überspitzt könnte könnte man nach einem Unfall sagen: “Die Bremsen haben nicht versagt. Sie waren nur nicht eingebaut. Wie hätten sie da versagen können? Die Technik ist unschuldig.”

Technik muss den Mensch entlasten

Die Aufgabe der Technik ist es, den Menschen zu entlasten. Wir alle sind Menschen. Wir alle haben schon Fehler gemacht. Wir alle haben schon Fehler gemacht, die jeder Verantwortlichkeit entbehrten (und hoffentlich trotzdem alles gut ausging). Jetzt zu sagen, die Technik hat funktioniert und es wäre nicht zum Unfall gekommen, wenn der Mensch alles richtig gemacht hätte, ist falsch.

Menschen machen Fehler. Ein System in dem ein Mensch keinen menschlichen Fehler machen darf, ist ein fehlerhaftes System. Genauso wie ein Haus kein sicheres Haus ist, in dem ein tragender Balken mehr tragen muss, als er mit Sicherheit tragen kann.

Viel schwerer als jeder Fehler in diesem Unglück wiegt natürlich ein ganz anderer Fehler, auf gesellschaftlicher Ebene. Denn Zugunglücke erhalten zu viel Aufmerksamkeit. Wenn es um die Frage geht, wie man Unfälle mit Toten und Schwerverletzten verhindert, dann muss man sie dort verhindern, wo es die meisten Toten und Schwerverletzten gibt. Und das ist nicht im Zugverkehr und auch nicht in der Luftfahrt, sondern im Straßenverkehr.

Und selbst das ist nichts im Vergleich zu den Menschenleben, die mit ganz normalen Hygienemaßnahmen und ausreichend Personal vor tödlichen Infektionen in Krankenhäusern bewahrt werden könnten.

Kommentare (42)

  1. #1 Laie
    17. Februar 2016

    Ein mehrstufiges Warnsystem ist notwendig, wenn eines davon reagiert müssen die Triebwagen “automatisch” abgeschaltet werden.

    Für Warnungen vor einem Zusammenstoß würde ich eine MW oder KW-Frequenz nehmen. Vorteil: Es reicht im enfachsten Falle eine Sendestation aus, man braucht nicht unzählige Stationen. EIn kleiner Sender pro Streckenabschnitt wäre sinnvoll (für jeden Fahrdienstleiter einen)

    Zusätzlich, jeder Streckenabschnitt sollte in der Lage sein “sich selbst zu überwachen”, d.h. Fahrtbewegungen festzustellen, durch Sensoren (ev. im Boden) und automatisch Alarm schlagen.

    Ein Sender an der Vorderseite jedes Triebwagens kann durch einen Empfänger auf jedem Triebwagen über die Zunahme der Signalstärke zur automatischen Warnung verwendet werden.

    Mehr fällt mir momentan nicht ein.

  2. #2 Joseph Kuhn
    17. Februar 2016

    Gute Überlegungen. Ich denke auch, dass man sorgfältig unterscheiden muss zwischen “Schuld” als moralischer Kategorie, bei der es darum geht, ob jemand im Bewusstsein der Handlungsalternativen verwerflich gehandelt hat, obwohl er genauso gut anders hätte handeln könnte, oder ob jemand “nur” einen Fehler gemacht hat, also ob ihm kausal etwas zuzuschreiben ist, das er nicht intentiert hat und bei dem ihm die Handlungsalternativen gar nicht bewusst vor Augen standen.

    Wenn Letzteres durch so etwas wie eine “Fehlerkultur” und darauf aufbauend vielleicht auch durch verbesserte technische Hilfen angegangen werden soll, ist die Kategorie “Schuld” in der Tat fehl am Platz, weil sie das offene Sprechen darüber, was passiert ist, verhindert. Aber wenn Menschen um’s Leben kommen, wird derjenige, der einen Fehler gemacht hat, immer Schuldgefühle haben, “Schuld” hin oder her.

    Zu diskutieren wäre, wo mangelnde Sorgfalt (=Fehler?) in Schuld übergeht.

  3. #3 Karl Mistelberger
    17. Februar 2016

    Ein Fahrgast eines der verunglückten Züge hat den Hergang des Unglücks vollständig beschrieben. Jeden Morgen nahm er den selben Zug, der im Bahnhof Kolbermoor anhielt. Kurz darauf traf ein Zug aus der Gegenrichtung ein. Nach Ankunft dieses Zuges setzte der Zug in dem der interviewte Fahrgast saß seine Fahrt fort.

    Am neunten Februar war es anders. Der Zug, in dem der Fahrgast saß fuhr weiter ohne auf den Zug in Gegenrichtung zu warten. Die Züge trafen sich also nicht im Bahnhof sondern unterwegs auf der eingleisigen Strecke.

    Dass dieser Vorgang potentiell gefährlich ist leuchtet jedem ein und es braucht keine besondere Technik, um einen solchen Zusammenstoß zu verhindern.

    Doppelt hält aber immer besser. Ich lernte vor zwei Tagen, dass in Sibirien Bahnübergänge nicht nur durch eine Schranke gesichert sind. Sowie sich die Schranke senkt wird in gebührendem Abstand vor der Schranke eine in der Fahrbahn eingelassene Stahlbarriere in die Höhe geklappt, die jeden Versuch vereitelt, die Schranke zu durchbrechen.

    Offensichtlich war der Fahrdienstleiter nicht im Bilde, wo sich der Zug aus der Gegenrichtung tatsächlich befand. Vermutlich hat er sich auf mündliche Aussagen verlassen und diese missverstanden. Es wird beim derzeitigen Tempo des technischen Fortschritts vermutlich noch Jahrzehnte dauern, bis die aktuelle Position der Züge dem zuständigen Fahrdienstleiter übermittelt wird (Fluglotsen wissen schon immer, wo die Flugzeuge sich gerade befinden).

    Die punktuelle Zugbeeinflussung macht ein solches System entbehrlich. Für den Fall, dass sie jedoch abgeschaltet ist und die Züge per Hand durchgewunken werden wäre es sicher sinnvoll.

  4. #4 Ingo
    17. Februar 2016

    Ich vermute noch einen Faktor:
    -> Das Design der Technik dann waere der Unfall nicht passiert.

    Ein Problem des Interfaces und des Design.

    (Soweit mein Bauchgefuehl und ansonsten voellig unqualifiziertes geschreibsel, ohne das ich alle Fakten kenne)

    Referenz: https://www.stellwerke.de/ (tolle Seite, wo die Bahntechnik und alle Signale sehr gut erklaert sind)

  5. #5 kari90
    17. Februar 2016

    @Karl Mistelberger:
    Ich denke das Problem, warum der Fahrdienstleiter keine genaue Position der Züge kannte, ist, dass in dieser Branche oft mit Blockabschnitten gearbeitet wird. Man weiß also nur ob sich ein Zug in einem bestimmten Block befindet, aber nicht wo er sich in diesem Block genau befindet (solche Blöcke können natürlich mehrere km umfassen). Sonst hätte es wahrscheinlich auch keine PUNKTförmige Zugbeeinflussung, sondern eine linienförmige gegeben.

    Der Fahrdienstleiter hätte also niemals zwei Züge in einen solchen Block lassen dürfen, dass wäre dann ein SICHERER Zustand und die Gesetze in Europa bezüglich der Sicherheitstechnik im Bahnbereich sind schon sehr gut, aber 100% gibt es im Leben nun einmal nicht.

    Und zu Ihrer Geschichte mit den Bahnübergängen in Sibirien:
    Viele Menschen schreien, wenn es um Bevormundungen seitens des Staats geht (zB Nichtrauchergesetze etc), aber dann brauchen wir solche Bahnübergänge?! Die Sicherheit des Bahnübergangs liegt darin, dass der Schranken IMMER schließt, wenn sich ein Zug nähert. Wem nicht klar ist, was das Schließen eines Schrankens bedeutet, der sollte vielleicht seinen Führerschein wieder abgeben. Viele Unfälle an beschrankten Bahnübergängen passieren außerdem, wenn der Fahrer glaubt “das geht sich schon noch aus”. Was ist dann in Russland?! Steckt man dann zwischen zwei Stahlbarrieren fest?! Ein 100% SICHERER Bahnübergang wäre also nur KEIN Bahnübergang.. Darum investieren Bahnbetreiber auch immer mehr in Unter- und Überführungen.

  6. #6 Ingo
    17. Februar 2016

    Ich vermute noch einen Faktor:
    -> Das Design der Technik <-

    Soweit ich das ueberblicke ist folgendes passiert.
    Der erste Zug ist in den Abschnitt eingefahren,- der zweite Zug wollte in den Abschnitt.
    Der Fahrdienstleiter am Bahnhof des zweiten Zuges wollte das Signal auf guen stellen,- aber es ging nicht, weil ja schon der erste Zug im Abschnitt war.

    Fatal: Der Grund warum das Signal nicht auf gruen geht wird dem Fahrdienstleiter nicht richtig angezeigt.

    Gleichzeitig wird der Fahrdienstleiter nervoes und hecktisch, weil die Verspaetung des Zuges zunimmt. Er hat vermutlich schon mehrfach Schimpfe wegen Verspaetung bekommen.
    Gleichzeitig weiss er aus Erfahrung das "die Technik schonmal spinnt"

    Nervoes, hecktisch, kein Vertrauen in die Technik, nicht genuegend Information.
    Fatale Kombination.

    Folge: Der Fahrdienstleiter faengt an zu fummeln.
    Probiert dies,- probiert das,- aber es klappt nicht. Das Signal bleibt rot.
    Schliesslich setzt er das "Ersatzsignal" (3 weisse Lampen unterhalb des normalen Signals)
    Das Ersatzsignal ist das Fallback falls die Technik versagt. Es kann ein- und ausgeschaltet werden wie eine Nachttischlampe. Ohne Technik dahinter.

    Wer oefters Signale beobachet weiss: Das Ersatzsignal wird oefters verwendet als man denkt.

    Damit hat der zweite Zug die Erlaubniss ueber das rote Signal rueberzufahren und PZB (automatische Notbremsung) auszuschalten.

    Damit ist das Unglueck passiert.

    Ein Problem des Interfaces und des Design !

    (Soweit mein Bauchgefuehl und ansonsten voellig unqualifiziertes geschreibsel, ohne das ich alle Fakten kenne)

    Referenz: https://www.stellwerke.de/ (tolle Seite, wo die Bahntechnik und alle Signale sehr gut erklaert sind, auch das Ersatzsignal)

    P.S.: sorry der erste Kommentar wurde halb verschluckt

  7. #7 kari90
    17. Februar 2016

    @Ingo:

    Zur falschen Anzeige, dass der Abschnitt bereits von einem anderen Zug befahren wurde: Es ist hier notwendig, dass die Übertragung und Anzeige solcher Signal SICHER ist. Dh es kann natürlich passieren, dass hier einmal etwas schief läuft – ABER es muss angezeigt werden, dass etwas schief gelaufen ist (Fehleroffenbarung nennt man das).

    Außerdem wie kommst du bitte darauf, dass solche Ersatzsignal immer wieder verwendet werden? Selbst wenn einmal eine Störung auftreten soll und man sich nicht sicher ist, ob ein Abschnitt frei ist, ist vorgesehen, dass der Zug in einem sehr niedrigen Tempo und nur auf Sicht in den Abschnitt einfahren darf und da müssen auch einige Dinge noch zusätzlich beachtet werden. Ein Zug geht mit der heutigen europäischen Technik nicht einfach so verloren..

  8. #8 Ingo
    17. Februar 2016

    Noch ein paar Links:

    Relaistellwerk “Bauart SpDr S60” https://www.stellwerke.de/bilder/avl.html
    (Baugleich zu dem Stellwerk in Bad Aibling

    Achsenzaehler
    https://de.wikipedia.org/wiki/Achsz%C3%A4hler
    Kritischer Teil der Technik die einen Abschnitt als “frei” oder “nicht frei” erkennt.

    Uebliche Hauptsignale in Westdeutschland:
    https://www.stellwerke.de/signal/deutsch/hv.html

    Ersatzsignal:
    https://www.stellwerke.de/signal/deutsch/zs.html#zs1
    Dieses Signal ist der Fallback, und kann ohne technische Kontrolle einfach ein- und ausgeschaltet werden. Dieses Signal gab das entscheidene falsche Signal.

    Arbeitsablaeufe im Stellwerk
    https://www.stellwerke.de/grund/seite1_2.html
    (und folgende)

  9. #9 ralph
    17. Februar 2016

    “.. Zugunglücke erhalten zu viel Aufmerksamkeit. Wenn es um die Frage geht, wie man Unfälle mit Toten und Schwerverletzten verhindert, dann muss man sie dort verhindern, wo es die meisten Toten und Schwerverletzten gibt. ”
    Ja, es ist generell ein riesiges gesellschaftliches Problem, dass mediale Aufmerksamkeit erregende Probleme masslos überbewertet werden. Es werden dadurch Unsummen an Geld und Energie investiert, die an anderer Stelle hundertmal sinnvoller eigesetzt werden könnten.
    Mir fallen dafür spontan soviele Beispiele in allen möglichenBereichen ein, es ist fast schon deprimierend.

  10. #10 Ingo
    17. Februar 2016

    > Es werden dadurch Unsummen an Geld und Energie investiert, die an
    > anderer Stelle hundertmal sinnvoller eigesetzt werden könnten.

    Ist das wirklich so einfach?
    Wenn man an den Strassenverkehr denkt,- dann ist es (nahezu) ausschliesslich der faktor Mensch.

    Abgesehen von anderen Strassenmarkierungen, Fahrbahnbelaegen, Schildern etc kann man relativ wenig tun.
    Alles andere liegt in der Verantwortung der Fahrer und Autobesitzer, und die kann man eben schlecht mit Geldmitteln veraendern.
    Man kann Schulungen machen,- aber dies wird bereits intensiv gemacht (und oft intensiv ignoriert)

    EIn Stellwerk ist eben einfacher zu veraendern als Millionen Autofahrer (nocheinmal) zu schulen.

  11. #11 ralph
    17. Februar 2016

    @Joseph
    das sehe ich genauso und denke es ist in Deutschland konsensfähig. Bei ordentlich geführten Unternehmen ist eine gelebte Fehlerkultur selbstverständlich, jedenfalls habe ich es so erlebt. Allerdings ist es in Deutschland im Gegensatz zu den USA ein riesiger Imageschaden unternehmerisch zu scheitern. Das führt zu einer eher risikoscheuen Beamten- und Angestelltenmentalität.

    @Ingo
    Dein Bauchgefühl kann ich sehr gut nachvollziehen. Es ist unglaublich schwierig ein komplexes und in Jahrzehnten gewachsenes System, komplett zu automatisieren und die menschliche Eingriffsmöglichkeit zu minimieren. Es ist natürlich immer auch eine Budgetfrage.

  12. #12 ralph
    17. Februar 2016

    #6
    Seitdem ich vor 30 Jahren das Singapurer Verkehrskonzept kennengelernt habe, stelle ich unseres ´massiv in Frage. Ja Singapur ist ein Stadtstaat. Aber in Deutschland würde nach Modellrechnungen von Experten auch sehr gut funktionieren, bei gigantischem Gewinn an Lebensqualität und Wohlstand. Reine Kopfsache.

  13. #13 Alderamin
    17. Februar 2016

    @Frank

    Jede Technik stammt vom Menschen, weshalb die Technik keine Schuld treffen kann. Die Technik ist einfach kein schuldfähiges Subjekt. Womit es sich lohnt einen Schritt zurück zu treten und zu fragen: Was tut man eigentlich, wenn nach so einem Unglück die Schuldfrage gestellt wird?

    Na ja, es geht doch üblicherweise darum, wer für den Schaden haftbar gemacht werden kann. Wenn die Technik versagt, kann’s an der mangelhaften Wartung liegen, dann wäre es die Bahn. Liegt’s an einem Materialfehler, dann ist es der Lieferant. Ist es menschliches Versagen, dann war’s der arme Fahrdienstleiter. Ermittelt das Gericht, dass die Vorschriften & Prozesse nicht klar waren, der Fahrdienstleiter nicht hinreichend qualifiziert oder überlastet war oder das Funknetz nicht genug ausgebaut, dann gibt’s vielleicht eine Teilschuld der Bahn.

    Wir wissen alle noch zu wenig, was den offenbar erfahrenen Fahrdienstleiter bewogen hat, die Fahrt trotz rotem Signal freizugeben, insofern können wir das nach derzeitigem Informationsstand nicht bewerten. Wahrscheinlich werden wir bald mehr erfahren.

    Natürlich sind am Ende immer Menschen Schuld. Aber genau so wenig, wie ein Fahrdienstleiter immun gegen Fehler ist, sind es Netzplaner, Software-Entwickler oder Mechaniker. Die Schuld nur einem zuzuschieben, ist immer ungerecht, aber die Versicherungswirtschaft braucht am Ende einige wenig, die die Hauptverantwortung tragen, damit klar ist, welche Partei wieviel zahlt.

  14. #14 Ingo
    17. Februar 2016

    kari90 #7:

    > Außerdem wie kommst du bitte darauf, dass solche Ersatzsignal immer
    > wieder verwendet werden?

    Immer MAL wieder. (Nicht immer wieder)
    Ich laufe taeglich auf meinem Weg zur Arbeit an einem Eisenbahnsignal vorbei.
    Einestages wollte ich wissen was die Signalbilder bedueten und bin auf die verlinkte URL gestossen.
    Von der Beobachtung weiss ich, dass das Ersatzsignal schoneinmal benutzt wird.
    Innerhalb eines Jahres habe ich das ca 2 mal gesehen.

    > Selbst wenn einmal eine Störung auftreten soll und man sich nicht sicher ist, ob ein
    > Abschnitt frei ist, ist vorgesehen, dass der Zug in einem sehr niedrigen Tempo
    > und nur auf Sicht in den Abschnitt einfahren darf und da müssen auch einige
    > Dinge noch zusätzlich beachtet werden.

    Ja – sicher.
    Der Fahrdienstleiter muss sich bei Verwendung des Ersatzsignal sicher sein dass der Abschnitt frei ist.
    Am Bahnhof kann er einfach aus dem Fenster schauen,- auf entfernten Abschnitten kann er Protokollieren ob der Vorgaenger-Zug bei ihm vorbeigefahren ist oder das Nachbarstellwerk anrufen.
    Das muss er auch alles in sein Buechlein aufschreiben.

    Er kann auch ein anderes Ersatz-Signal setzten dass der Zug nur auf Sicht (=langsam) weiterfahren darf (https://www.stellwerke.de/signal/deutsch/zs.html#zs7 – drei gelbe Lichter)
    Das haette den Unfall aber auch nicht verhindert,- weil der andere Zug (berechtigt) mit voller Geschwindigkeit fuhr.

    Wenn alles richtig gelaufen waere waere alles gut gewesen.
    Aber wir reden hier ueber einen Unfall, bei dem irgendwas schief gelaufen ist.

    > Ein Zug geht mit der heutigen europäischen Technik nicht einfach so verloren..

    Die Technik ist nicht “von heute” und auch nicht europaeisch.
    Die Bahn ist sehr traditionell. An einigen einsamen Dorfbahnhoefen wurde bis vor kurzen noch mit Seilzuegen und Mechanik aus den 20ern gearbeitet.
    Die funktionierte verdammt gut und zuverlaessig.

    Relaistellwerke wurden Ende der 40er erstmalig gebaut (beim Wiederaufbau).
    Die in BadAiblingen verbaute “Bauart SpDr S60″ wurde in den 60ern Konzeptioniert, und lange Zeit gebaut. Verwendet wird sie bis heute,- und es wird noch lange verwendet werden.

    Der Technik ist der Zug ja auch nicht “verloren gegangen”.
    Ich sagte ja auch nur, dass ich glaube, dass das UserInterface (Reais, Schalter, Lampen,– kein Computer) einfach den Fahrdienstleiter nicht in die Lage versetzt hat dies auch (auf die Schnelle) zu erkennen, weshalb dieser angefangen hat “zu fummeln”
    Eine Frage des Designs der Interfaces (auch wenn es sich nur um Lampen und Schalter handelt)

    Bei einem Unfall kommen immer mehrere Faktoren zusammen.

  15. #15 Ingo
    17. Februar 2016

    @ralph #12

    > Seitdem ich vor 30 Jahren das Singapurer Verkehrskonzept
    > kennengelernt habe, stelle ich unseres ´massiv in Frage

    “Wenn man heute alles neu bauen wuerde, waere alles besser”

    Ja klar.
    Aber so einfach ist das nicht.
    Du hast ein gigantisches organisch gewachsenes Netz.
    Du hast
    – Nebenbahnen wo alle paar Stunden ein Zug kommt
    – Den Koelner Hbf wo alle paar Sekunden ein Zug kommt
    – Gueterzuege aus China die komplett andere Technik verbaut haben
    – Zuege aus allen moeglichen europaeischen Laendern, die du garnicht umbauen kannst, weil sie dir nicht gehoeren
    – Privatbahnen, die nicht einsehn neue Infrastruktur zu mit bezahlen, weil die alte ja funktioniert.
    – Gleisanschluesse an Industrie, die Uebergabepunkte an das grosse Netz haben
    – Uebergabepunkte zu anderen Bahnnetzen
    und und und

    Da kann man nicht einfach sagen “so – jetzt alles neu”
    Trotzdem wird das natuerlich versucht. Das ETCS (European Train Control System) (https://de.wikipedia.org/wiki/European_Train_Control_System ) wird seit Jahren eingefuehrt.
    Aber bis die letzte Dorfbahn umgestellt ist — Das dauert nicht nur Jahrzente, sondern gerne auch ein Jahrhundert (so lange hat es gedauert Seilzug-Stellwerke abzuloesen)
    Die alten DDR-Signale sehen heute noch anders aus als die Westdeutschen.

    Wie gesagt –
    – Du hast vermutlich recht,- aber es ist nicht so einfach wie es klingt.

  16. #16 kari90
    17. Februar 2016

    zu #14:

    >Die Technik ist nicht “von heute” und auch nicht europaeisch.
    >Die Bahn ist sehr traditionell. An einigen einsamen Dorfbahnhoefen wurde bis vor kurzen >noch mit Seilzuegen und Mechanik aus den 20ern gearbeitet.
    >Die funktionierte verdammt gut und zuverlaessig.

    Ja da hast du recht. Die Lebensdauer von Technik im Bahnbereich übersteigt 30 Jahre schnell einmal. Warum auch nicht? Die Entwicklung eines Achszählers, auf welchen du auch verlinkst, dauert ja schon fast 10 Jahre. Es sind bereits in der Entwicklung hohe Standards vorgeschrieben (4-Augen Prinzip, Entwickler-Tester-etc müssen unabhängige Personen sein etc.). Als Außenstehender kann man sich gar nicht vorstellen, was hinter so “einfacher” Technik an Arbeit steckt.

    Das lässt sich mit “Consumer”-Technologie auch nicht vergleichen. In dieser Branche, besonders in den sicheren Bereichen, bedeutet “neuester Stand” einfach ganz etwas anderes.

    >Ich sagte ja auch nur, dass ich glaube, dass das UserInterface (Reais, Schalter, Lampen,– >kein Computer) einfach den Fahrdienstleiter nicht in die Lage versetzt hat dies auch (auf die >Schnelle) zu erkennen, weshalb dieser angefangen hat “zu fummeln”

    Gewöhnlich sind Fahrdienstleiter auch sehr gut geschult und müssen auch immer wieder ihre Tauglichkeit unter Beweis stellen. Trotzdem kann natürlich mal ein Fehler passieren. Was genau dazu führte, werden wir wahrscheinlich gar nie so genau erfahren. Das User-Interface für den Fahrdienstleiter ist im Regelfall aber ziemlich einfach und überschaubar – was ja auch Sinn macht. Es muss aber auch vor allem eines sein – sicher – und die notwendigen Informationen immer verlässlich zur Verfügung stellen. Also auch wo der zweite Zug sich gerade befand.

    Ich finde es ja gut, dass du versuchst dich mit dem Thema scheinbar sehr intensiv auseinandersetzt ;-) das Thema ist aber auch sehr komplex und schwierig ohne zusätzliche Informationen darüber zu urteilen. Es ist traurig, wenn so ein Unglück passiert, ich bin aber der Meinung genug Einblick zu haben, dass ich mit gutem Gewissen immer wieder in einen Zug steigen werde, da ich weiß dass sehr viel für die Sicherheit in diesem Bereich getan wird.

  17. #17 Ingo
    17. Februar 2016

    @Laie #1:

    > Zusätzlich, jeder Streckenabschnitt sollte in der Lage sein “sich selbst
    > zu überwachen”, d.h. Fahrtbewegungen festzustellen, durch Sensoren
    > (ev. im Boden) und automatisch Alarm schlagen.

    Gibt es schon.
    Achsenzaehler,- Gleisfreimeldeanlagen,- Selbststaendige Blocksignale.
    Alles stand der Technik der 30er (teilweise 60er) und schon lange verbaut.
    Gegen ein manuell eingeschaltetes Ersatzsignal helfen die aber nicht.

    > Ein Sender an der Vorderseite jedes Triebwagens kann durch einen
    > Empfänger auf jedem Triebwagen über die Zunahme der Signalstärke
    > zur automatischen Warnung verwendet werden.

    Und wie soll sowas am Koelner Hbf funktionieren, wo hunderte von Zuegen auf mehreren Gleisen paralell, gegeneinander und dicht hintereinander fahren muessen?

  18. #18 ralph
    17. Februar 2016

    @Ingo
    “Und wie soll sowas am Koelner Hbf funktionieren, wo hunderte von Zuegen auf mehreren Gleisen paralell, gegeneinander und dicht hintereinander fahren muessen?”
    Jetz geb ich mal noch meinen praxisferner Senf dazu:
    Zumindest auf eingleisigen Überlandstrecken kann man sich das in Verbindung einem GPS-Navi als zusätzliches Absicherung vorstellen. Der Triebwagen weiß wo er ist und wo ein solches Warnsignal relevant wäre. (Die Relevanz wäre eben auf entsprechende Strecken einzuschränken)

  19. #19 Dr. Webbaer
    17. Februar 2016

    Wie immer klug analysiert, nett auch die Sache mit dem Infiniten Regress, das Ethische meinend.
    Ansonsten gibt es Verfahrensanweisungen und Arbeitsanweisungen, beim Militär Regeln wie bspw. diese

    Und, so bitter wie es ist oder dem einen oder anderen auch erscheinen mag, sind diese zu befolgen und nur dann zu übertreten, wenn auf Grund einer ad hoch vorgenommenen Güterabwägung erkannt wird, dass sie unzureichend sind und die Bearbeitung des vorliegenden Falls unzureichend unterstützen, wovon in concreto aber nicht ausgegangen werden muss.

    Die sich dann anbahnende Strafe mag im Einzelfall zweifelhaft erscheinen, sie ist aber gerecht und dient auch der Vorbeugung, im konkreten Fall wohl auch der Sühne.

    MFG
    Dr. Webbaer (der im Abgang noch anmerkt, dass selbst dann, wenn es gute Gründe gibt Verantwortliche zu entlasten, dies aus zwei Gründen nicht geschehen sollte: 1.) weil ansonsten das Gesamtsystem in seinem Betrieb gefährdet wäre und 2.) weil es jedem offen steht in einem i.p. Gefahr unzureichenden System zu arbeiten und es ihm obliegt für bestimmte Systeme Verantwortung zu übernehmen – oder auch nicht)

  20. #20 Dr. Webbaer
    17. Februar 2016

    PS, diese Aussage kam, vor allem dann, wenn sie extrapolierbar wird:

    Das Sicherheitskonzept hat in seiner Aufgabe versagt. Das Sicherheitssystem konnte umgangen werden, obwohl sich zwei Züge auf dem gleichen Gleis befanden. Das ist ein Versagen der Technik, völlig unabhängig davon ob sich der Fahrdienstleiter korrekt verhalten hat oder nicht.

    … nicht gut an, hier.
    Der Master muss der Mensch bleiben, es kann nicht sein, dass er nicht “die Technik” überschreiben kann.
    Es mag immer Anforderungslagen geben, in denen dies erforderlich wird.

  21. #21 Ingo
    17. Februar 2016

    @ralph #18:
    Ich bin mir trotzdem unsicher.
    Deine Idee ist ja, dass jeder Zug staendig ein Signal abstrahlt.
    Jeder andere Zug entscheidet anhand eines GPS-Navis ob er ein Warnsignal abgibt, wenn ein solches Signal in der naehe ist.

    Die Signalstaerke alleine (Idee von #1) reicht sicher nicht aus. Die Reichweiten von Funksignalen sind sehr unterschiedlich, je nach Wetterlage und sonstigen Stoereinfluessen.
    Wenn man soetwas bauen wuerde, dann denke ich eher an ein modoliertes Signal, welches
    – Position
    – Zugnummer
    – Geschwindigkeit
    – Richtung
    enthaellt.
    Trotzdem:
    – Tunnel,
    – nahe aneinanderliegende Strecken
    – Stoerquellen
    Ich bezeifel, ass soewas ZUVERLAESSIG funktioniert.

    Ideen dieser Art finden sich aber durchaus im ETCS.
    Dort wird allerdings auf Basis eines speziellen GSM-R-Basisierten Funktnetz gearbeitet.
    Aber wie gesagt – soetwas einzufuehren ist sehr schwierig.
    Alleine den Wikipedia-Artikel vollstaenidig zu lesen und zu verstehen dauert schon 1/2 Tag.

  22. #22 Ingo
    17. Februar 2016

    Zur Diskusion
    > Das Sicherheitssystem konnte umgangen werden, obwohl sich zwei Züge auf
    > dem gleichen Gleis befanden. Das ist ein Versagen der Technik, völlig
    > unabhängig davon ob sich der Fahrdienstleiter korrekt verhalten hat oder nicht.

    Die Sicherheitssysteme MUESSEN ueberschreibbar sein.
    Nicht nur in Notsituationen, sondern auch im normalen Betriebsablauf.

    Gruende fuer ein Ersatzsignal sind zum Beispiel:
    – Baustelle im Gleis,- und der Zug muss einen exotischen Fahrtweg nehmen
    – Weichenstoerung,- und der Zug muss im Bahnhofsvorfeld um eine Weiche herumgefuehrt werden -> Exotische Fahrstrasse die nicht im System vorgesehn ist -> Nur mit Ersatzsignal moeglich
    – Defekte Gleisfreimeldeanlage
    – Baustellenzuege die am Einsatzort auch gerne mal Rueckwaerts fahren muessen, und damit alles durcheinanderbringen.
    – Rangierfahrten auf nicht dafuer vorgesehenen Strecken (Vorwaerz / Rueckwaerz / Weiche stellen, obwohl Zug noch im Block etc -> geht alles nur mit Ersatzsignalen)

    Weiterhin:
    Jeder der oefers Bahn faehrt kennt die Ansage “Wegen einer Signalstoerung haben wir x Minuten Verspaetung”.
    Oft werden dabei Ersatzsignale verwendet, damit es ‘irgendwie’ weitergeht. (Bei Ersatzsignal ist 40km/h Hoechstgeschwindigkeit,- daher Verspaetung)

    In diesen Fall muss es ohne Technik gehen,- sondern mit Protokoll, Telefonieren, Bleistift und Logbuch, und genormten Wortmeldungen.

    Leider geht es ohne Ersatzsignale nicht.

    Dazu kommt der Faktor:
    Je mehr Sicherheitstechnik ich einbaue – desto oefters muss ich gegen die Technik kaempfen und sie in Spezialsituationen ueberschreiben (s. oben)

    Das ist kein Argument gegen Sicherheitstechnik,- aber eine Forderung sie so zu bauen, dass sie ..
    a) auch bei ungewoehnlichen Situationen trotzdem einen Betriebsablauf zulaesst
    b) ueberschaubar bleibt. Der Satz “wieso geht das jetzt schon wieder nicht” ist der erste Teil der Katastrophe
    c) nicht gegen den Menschen arbeitet. Sobald manchmal “Gefummel” noetig wird damit es weiter geht, ist das Sicherheitssystem schlecht konzeptioniert.

  23. #23 Dr. Webbaer
    17. Februar 2016

    Der Schreiber dieser Zeilen “würde mal annehmen wollen”, dass da mit Ingo jemand vom Fach ergänzt (vs. ‘Ich finde es ja gut, dass du versuchst dich mit dem Thema scheinbar sehr intensiv auseinandersetzt ;-)’), auch insofern sind die Einschätzungen weiter oben grundsätzlicher Art.

    Wichtig angemerkt war natürlich so etwas – ‘Die Sicherheitssysteme MUESSEN ueberschreibbar sein.’ – wobei es hier wieder grundsätzlich wird.
    Der Schreiber dieser Zeilen hat sich insofern weiter oben im Ethischen ein wenig bemüht.

    MFG
    Dr. Webbaer (der den Fahrgastbetrieb immer als hoch komplex verstanden hat)

  24. #24 Karl Mistelberger
    17. Februar 2016

    > #5, kari90, 17. Februar 2016
    > Ich denke das Problem, warum der Fahrdienstleiter keine genaue Position der Züge kannte, ist, dass in dieser Branche oft mit Blockabschnitten gearbeitet wird. Man weiß also nur ob sich ein Zug in einem bestimmten Block befindet, aber nicht wo er sich in diesem Block genau befindet (solche Blöcke können natürlich mehrere km umfassen). Sonst hätte es wahrscheinlich auch keine PUNKTförmige Zugbeeinflussung, sondern eine linienförmige gegeben.

    Offensichtlich war dem Fahrdienstleiter nicht klar, dass sein Bild von der Vorgängen, das er sich anhand der vorhandenen technischen Einrichtungen gemacht hat, fehlerhaft war.

    Irgendwann hat er es korrigiert und versucht, die Züge zu alarmieren, was aber misslang. Hätte er z.B. auf seinem Smartphone anhand einer übersichtlichen App die tatsächliche Position der Züge sehen könne wäre er vermutlich nie auf den Gedanken gekommen die beiden Züge aufeinander prallen zu lassen.

    > Der Fahrdienstleiter hätte also niemals zwei Züge in einen solchen Block lassen dürfen, dass wäre dann ein SICHERER Zustand und die Gesetze in Europa bezüglich der Sicherheitstechnik im Bahnbereich sind schon sehr gut, aber 100% gibt es im Leben nun einmal nicht.

    Leute machen Fehler oder handeln nicht immer rational, auch wenn sie große Verantwortung tragen oder als Autofahrer ihr Leben dabei riskieren. Das ist Fakt. Und deshalb gibt es auch in Sibirien die doppelte Absicherung der Bahnübergänge: Knallt ein Fahrzeug in die Stahlbarriere geht der Unfall weit glimpflicher aus als wenn das Fahrzeug vom Zug erwischt wird. Niemand steckt zwischen zwei Metallbarrieren fest.

  25. #25 Alfons Sauer
    A 2344 Ma.Enzersdorf
    18. Februar 2016

    Nach den mir vorliegenden Berichten & Kommentaren hatte der Fahrdienstleiter noch per Funk, der leider aus welchen Gründen auch immer versagt hatte, versucht, eine Notbrensung einzuleiten.
    Es stellt sich hier sehrwohl die Frage, warum kein Not-Aus System installiert war, durch welches manuell die Fahrdrahtspannung abgeschaltet wird & dadurch automatisch eine Notbremsung des Triebfahrzeuges eingeleitet wird – in diesem Fall bei beiden Triebfahrzeugen.
    Dieses Not-Aus System ist bei den ÖBB in vielen Sationen installiert und wurde bereits in den 90er-Jahren in Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren der ÖBB & der Fa. SAT, die es heute leider nicht mehr gibt, entwickelt.
    Ich selbst war an der Realisierung dieses Systems in der Station Bad Vöslau involviert.
    A. Sauer

  26. #26 Alex
    18. Februar 2016

    > Die Sicherheitssysteme MUESSEN ueberschreibbar sein.
    > Nicht nur in Notsituationen, sondern auch im normalen Betriebsablauf.

    Einspruch. Sicherheitssysteme, die ihren Namen verdienen, müssen zuallererst redundant, hochzuverlässig und möglichst universell sein, so dass sie so viele Ausnahmen wie möglich von selbst abfangen können. Es kann doch nicht sein, dass ein Sicherheitssystem im Jahr 2016 keine Baustelle abbilden kann und deswegen regelmäßig abgeschaltet werden muss.

    Gehen wir mal von einer Zuverlässigkeit von 99,9 Prozent aus (was schon extrem wenig wäre), dann dürfte allenfalls in den verbleibenden 0,1 Prozent der Fälle (und keinesfalls im normalen Betriebsablauf) der Mensch das System überstimmen, und das auch nur nach klaren Protokollen, Checklisten und nach dem Vier-Augen-Prinzip.

    Mir ist schon klar, dass bei der Bahn sehr viel veraltete Technik rumsteht, aber mit politischem Willen, Geld und einer ausgeprägten Fehlerkultur ließe sich das ändern. In der Luftfahrt werden nach jedem Unfall sämtliche technischen System, Protokolle und Prozeduren auf den Kopf gestellt und falls nötig verbessert – und hier im Bahnverkehr soll alles (wenn man Dobrindt hört) so weitergehen wie bislang?

    • #27 wasgeht
      18. Februar 2016

      Ja, die Sache mit den jederzeit überbrückbaren Sicherheitssystemen war auch schon die Ursache für den Unfall in Tschernobyl.

      (Wobei man den auch physikalisch hätte verhindern können. Was man später auch getan hat, braucht aber zusätzliche Absorber und deswegen höhere Anreicherung – und die wollte man damals in der Sowjetunion nicht haben.)

  27. #28 Ingo
    18. Februar 2016

    > In der Luftfahrt werden nach jedem Unfall sämtliche technischen System,
    > Protokolle und Prozeduren auf den Kopf gestellt und falls nötig verbessert

    Nach dem letzten groesseren Eisenbahnunfall wurde PZB 90 (automatische Zwangsbremsung bei ueberfahren eines rotes Signal u.a. Funktionien) auf allen Nebenstrecken nachgeruestet. Bis 2011 gab es Nebenstrecken noch ohne PZB 90
    Damals hatte ein Gueterzug auf einer Nebenstrecke rote Signale uebersehen und ist in eine Regionalbahn gefahren.

    PZB 90 selber ist in den 90ern eingefuehrt worden, nachdem es ein paar Unfaelle mit schnell beschleunigenen Zuegen gegeben hatte.
    Darauf war INDUSI (das Vorgaengersystm aus den 30ern) nicht vorbereitet.

    PZB 90 ist aufwaertskompatibel zu INDUSI, welches schon in den 30ern eingefuehrt wurde.

    Prinzip von INDUSI und PZB 90 sind passive Schwingkreise (Kondensator und Spule ohne Stromversorgung) in einem sog. Schienenmagnet auf der Schiene. Die Lok induziert ein Wechselfeld. Wenn dieses mit der passenden Frequenz mit dem Schwingkreis in Rekation kommt faellt ein Relais, und die Lock wird automatisch gebremst. (Wie gesagt,- Technik der 30er.)
    PZB 90 arbeitet nach dem gleichen Prinzip, – allerdings wird Elektronik anstatt Relais verwendet.

    Nach dem letzten wirklich grossen Eisenbahnunfall (Enschede) wurden die Raede des ICEs komplett ueberarbeitet.

    Nach dem letzten Beinahunfall (Entgleisung eines ICEs bei niedriger Geschwindigkeit im Bahnhof von Koeln) wurden die Pruefintervalle des Fahrwerks veraendert

    Die Sicherheitstechnik ist nach jeden Unfall ueberarbeitet worden.

  28. #29 ralph
    18. Februar 2016

    Offenbar hatte ein Passagier an der Unglücksstelle Internetanschluss.
    Das inspiriert zu folgendem Gedankenspiel, basierend au den Möglichkeiten die heute jedem Smartphonebesitzer zur Verfügung stehen.
    Falls an genügend Stellen der Strecke irgend ein Mobilfunknetz verfügbar ist, könnte man eine Smartphone App schreiben, welche, basierend auf Schienenweg spezifischem Kartenmaterial und GPS, rechtzeitig erkennen könnte, dass sich zwei Züge auf Konfrontationskurs befinden. Vorrausgesetzt es sitzen in jedem Zug ein paar Passagier mit eigeschaltetem Handy und laufender App. Sobald die App bemerkt hat, auf welcher konkreten Bahnstrecke sich ein Zug in welche Richtung bewegt, meldet Sie dies an einen Zentralserver. Dieser gleicht die einkommenden Daten ab und meldet Konflikte umgehend zurück. Für die Kommunikation zwischen Handy und Server reicht ein sehr geringes Datenvolumen, in der Grössenordnung von SMS. Das ist natürlich nur ein Gedankenspiel und vollkommen unzuverlässig.
    Falls aber die Bahn sich entschliesst, alle Strecken, einschliesslich der Tunnel mit Wlan zu versehen, könnten Züge darüber direkt miteinander kommunizieren. Falls man darüber hinaus kritische Punkte der Strecke, wie Tunnel Ein- und Ausgänge, mit (ebenfalls vernetzte) Geräten ausstattet, welche passierende Züge registrieren können, hätte man eine hohe Redundanz im System. Bald käme man auf die Idee die Triebwagen mit Radar auszustatten und auf Zugführer zu verzichten. Ich gehe davon aus, so etwas oder Ähnliches ist längst angedacht und es ist eine Frage der Kosten und auch des politischen Willens.

  29. #30 kari90
    18. Februar 2016

    >#24, Karl Mistelberger, 17. Februar 2016

    > Hätte er z.B. auf seinem Smartphone anhand einer übersichtlichen App die tatsächliche Position der Züge sehen könne wäre er vermutlich nie auf den Gedanken gekommen die beiden Züge aufeinander prallen zu lassen.

    Sorry, aber auf einem Smartphone?! Wie Alex in #26 bereits erwähnt hat, müssen sichere Systeme oftmals redundant ausgeführt sein, so dass der Ausfall eines Systems/Interface/etc nicht zu einem kritischen Zustand führen kann. Ein Fehler darf nur in einem von 10^9 Fällen passieren, wir sprechen hier also von einer 99,999..% Sicherheit. Eine solche Sicherheit wird ein Smartphone niemals bringen UND der Fahrdienstleiter in modernen Zentren arbeitet heute mit etwa 8+ Bildschirmen und hat ein komplexes Gleissystem zu überblicken, glauben Sie ernsthaft, dass lässt sich auf einem Smartphone darstellen?! Diese Gleispläne sind aber gegenüber einer Straßenkarte wesentlich übersichtlicher, sie spiegeln aber nicht die Realität (Entfernungen) wider und auch hier wird in Blöcken gearbeitet, nicht mit genaugen Positionen (außer ETCS). Genaue Positionen machen das ganze aber wahrscheinlich nur unwesentlich übersichtlicher.

    >Niemand steckt zwischen zwei Metallbarrieren fest.

    Das Problem ist ja nicht, wenn die Barrieren bereits “hochgefahren” sind, sondern vorher. Falls ein Fahrzeug auf den Gleisen zu stehen kommt, hat es nachdem die Barrieren “hochgefahren” sind, wahrscheinlich keine Chance diesen Bereich noch zu verlassen, oder? Grundsätzlich ist das aber eine ganz gut Idee, da haben Sie schon recht.

  30. #31 Alderamin
    18. Februar 2016

    @ralph

    Das inspiriert zu folgendem Gedankenspiel, basierend au den Möglichkeiten die heute jedem Smartphonebesitzer zur Verfügung stehen.

    Die Bahn betreibt ihr eigenes Funknetz, basierend auf dem Standard “GSM-R” (R wie “Railway”). Das ist gänzlich unabhängig vom normalen Funknetz. Darin gibt es Dienste wie Priority Calls (man kann laufende Gespräche mit geringerer Priorität unterbrechen) oder Group Calls (wie Walkie-Talkie: ein drückt den Sendeknopf, eine ganze Gruppe kann zuhören). Und der Rufaufbau dauert weniger als 2 Sekunden. Dazu gibt es Endgeräte mit Gummiarmierung, die auch mal ins Wasser fallen dürfen. Und Bordtelefone mit großer Sendeleistung (8 W; normale Handys haben 0,5-1W).

    Es gibt auch GPRS-Datendienste im GSM-R, mit denen Signale gesteuert und Detektoren ausgelesen werden, soweit vorhanden (was auf alten, eingleisigen Strecken vermutlich noch nicht überall der Fall ist)

    Allerdings ist der zu Grunde liegende Standard eben GSM, nicht UMTS oder LTE. Da man mit dem Netz kein Geld drucken kann, wie die anderen Mobilfunkbetreiber, wird die Techniker deutlich langsamer weiter entwickelt als im normalen Mobilfunk.

    Es nützt also nichts, dass normale Passagiere in irgendein Funknetz kamen. Es muss GSM-R-Abdeckung vor Ort sein, dann kommt man innerhalb von 2 Sekunden zum Lokführer durch und kann dessen etwaiges Gespräch mit dem Schaffner unterbrechen. Vielleicht war das hier auch der Fall, nur kam der Anruf halt trotzdem zu spät, weil der Fahrdienstleiter es nicht eher mitbekam. Und vielleicht gab’s keine Ausstattung mit Mobilfunk-fähigen Sensoren an der Strecke.

  31. #32 ralph
    18. Februar 2016

    @Karl Mistelberger
    ” Hätte er z.B. auf seinem Smartphone anhand einer übersichtlichen App die tatsächliche Position der Züge sehen könne wäre er vermutlich nie auf den Gedanken gekommen die beiden Züge aufeinander prallen zu lassen.”
    Leider habe Ihren Kommentar zu spät gelesen, dann hätte ich mir den ersten Teil von #17 sparen können. Der zweite Teil hätte genügt.

  32. #33 ralph
    18. Februar 2016

    Korrektur:
    Leider habe Ihren Kommentar zu spät gelesen, dann hätte ich mir den ersten Teil von #29 sparen können. Der zweite Teil hätte genügt.

  33. #34 ralph
    18. Februar 2016

    @Alderamin
    danke für die Info. Falls das GSM-R auch in Tunneln und Täler geleitet würde, reicht das ja schon aus. Das notwendige Datenvolumen zur automatischen Kommunikation schätze ich, wie gesagt sehr gering ein, SMS reicht.

  34. #35 Alderamin
    18. Februar 2016

    @ralph

    Falls das GSM-R auch in Tunneln und Täler geleitet würde, reicht das ja schon aus.

    Klar, in Täler wird von Hügeln aus hineingestrahlt, in Tunneln liegen leaky feeders oder es sind Repeater installiert. Auf großen Strecken flächendeckend in Europa. Auf Bimmelbahn-Strecken eher nicht.

  35. #36 fherb
    19. Februar 2016

    Einfach mal inne halten!

    Erstens ist die PZB ein sehr sicheres technisches System. Seit Jahrzehnten. Zweitens lässt sie sich deshalb ausser Betrieb setzen, damit auch in unvorhersehbaren Sonderfällen Zugverkehr möglich ist. Seit Jahrzehnten bewährt. Drittens ergibt sich in jedem System, egal ob menschlich oder technisch ein Restrisiko. Hier abgewägt zwischen technisch möglichem und aber auch logistisch praktischen Erwägungen (tagelang stehende Reisezüge mit hungernden oder frierenden oder überhitzten, verdurstenden Reisenden fänden auch ihre Kritiker).

    Es bleibt immer ein Restrisiko. Das ganze Leben ist ein einziges Risiko, bei dem wir letztlich immer drauf gehen. Und sei es am Lebensende ;-)

    Bei Bahn-, Flugzeug- und Schiffsunfällen ballt sich leider dieses Restrisiko auf viele gleichzeitige Todesfälle an einem Ort. Was alle beeindruckt. – Bei Verkehrsunfällen, Haushaltsunfällen oder allein das Risiko, eine Krebsdiagnose zu bekommen verteilt es sich flächig. Und nur deshalb ist der Tod im Zug viel bedeutsamer als der im Nachbarhaus nach schwerer Krankheit?

    Bleibt auf dem Teppich!

    • #37 wasgeht
      19. Februar 2016

      Ja, das gesamte Risiko ist sehr begrenz. Genau deswegen habe ich das ja auch gleich am Anfang in einem eingerÜckten Absatz geschrieben und dann nochmal am Ende.

      Trotzdem ist weder “jahrzehntelange bewährt” noch “ein Restrisiko bleibt immer” ein ausreichender Grund zur Zufriedenheit. Es geht deutlich besser und sollte schon dewegen besser gemacht werden.

  36. #38 kari90
    19. Februar 2016

    zu #37:

    Natürlich. Das Streben nach dem Besseren ist ja auch etwas, was uns Menschen ausmacht und nach solchen Unfällen gehört natürlich analysiert, wie solche in der Zukunft verhindert werden können.

    Jetzt zu meinem kleinen ABER – Jeder der in einer Entwicklung arbeitet, kennt das sicher: Es ist oft schnell einmal eine Lösung für eine Aufgabenstellung gefunden, diese jedoch noch zu optimieren, zuverlässiger zu machen etc – darin steckt die wirkliche Ingenieurskunst. Kleine Verbesserungen sind dann oft sehr, sehr mühsam und kostenintensiv. Es redet sich also leicht, wenn man sagt: “Da gehört noch etwas besser gemacht.”, aber was da wirklich dahinter steht, das können wir kaum beantworten. Man kann auch alles überregulieren und unwirtschaftlich machen. Ein Restrisiko kann man trotzdem niemals ausschließen, so viel Zeit man auch investiert.

  37. #39 Ingo
    19. Februar 2016

    Wenn schon “alles besser und neu” gefordert wird,- dann gleich ETCS.
    Das ist wesentlich moderner, europarweit standartisiert, und teilweise schon eingefuehrt – funktioniert fuer Gueterzuege und Hochgeschwindigkeitszuege.
    Es beinhaltet auch funtionen wo hier noch garnicht drueber gesprochen wurde (Verbundzuege, Rangieren, uswusw)

    Die Wikipedia-Seite zu ETCS lohnt sich.

    Und vorallen: Es basiert nicht auf einen Smartphone, was durchschnittlich einmal pro Woche abstuerzt, und wo jeder daranherummaipulieren kann. (Ich mag garnicht an Hacker denken die Smartphone-Zugsicherhetis-Apps kapern)

  38. #40 fherb
    24. Februar 2016

    @ wasgeht

    Ja. Ich geb’ Dir Recht im Sinne von “technisch besser”. Wissenschaftlich, wie ingenieurtechnisch finden wir nach einiger Überlegung immer eine noch sicherere Lösung. Aber das haben, da bin ich mir sicher, auch schon viele Ingenieure im Bahmnauftrag erledigt. Weltweit. Man hat ja auch gegenseitig abgeguckt (, was nicht heißt, dass man unbedingt kompatible Lösungen etabliert hat). Und für Strecken mit höherem Verkehrsaufkommen und Geschwindigkeiten gibt es auch schon seit längerem die lineare Zugbeeinflussung (LZB). (Die ist tatsächlich raffiniert gemacht, obwohl, eigentlich, nur eine Drahtschleifenantenne im Gleis liegt.)

    Aber: Wir wollen auch noch das Ticket bezahlen oder der Spediteuer diesen ökologischen Verkehsweg. Und wenn bei der LZB die Antenne gestört ist, z.B. Erpresser oder Buntmetallsammler, möchte man den Zugverkehr auch ungern für Tage stoppen. Auch hier wird er dann unter bestimmten Vorschriften (und langsamer) möglich sein. – Was ich sagen will: Der technische Sicherungsaufwand muss noch im Rahmen des Finanzierbaren sein. Sonst wird das Gesamtprinzip (hier Eisenbahn) in einer Region unwirtschaftlich und wird gegen den billigeren, aber nicht sichereren Straßenweg ausgetauscht.

    Das ist das Blöde am Ingenieurwesen: Du mußt Maximalsicherheit zu wirtschaftlichen Konditionen liefern.

    Aber noch etwas Positives: Es ändern sich mit der Zeit auch die Randbedingungen. Selbstverständlich muss nach einigen Jahrzehnten der induktiven, punktuellen Zugbeeinflussung die Frage erlaubt sein, ob es unter aktuellen Bedingungen noch zeitgemäß ist.

    Da aber trotz Mindestlohn der Straßenweg abseits der europäischen Magistralen (und selbst da) trotz aller Sicherheitsprobleme (bei aktuellen Konditionen, wie Subventionen und Besteuerungen) eine harte Konkurrenz ist, wird es schwierig, den Sicherheitsstandard an dieser Stelle weiter hoch zu ziehen.

    Vielleicht mal ein interessanter Spoiler an dieser Stelle:

    Ich arbeite gerade am Aufbau einer Forschungsanlage, an der etwa 7 Tonnen erhitztes Natrium im flüssigen Zustand in einem zylindrischen Gefäß mit einer solchen Geschwindigkeit derart im Raum herumgeschleudert werden soll, dass der gesamte Aufbau materialtechnisch an der Machbarkeitsgrenze ist. Wir müssen das trotzdem nach der Maschinenrichtlinie auslegen. Wenn man sich näher damit beschäftligt fällt auf: Maschinensicherheit (Arbeitsschutz) wird extrem groß geschrieben. Wir treiben extrem viel Aufwand, um irgend ein Unglück abzuwenden, wo auch nur theoretisch Personenschaden auftreten kann.

    Und nun muss man sich die Ausnahmen der Maschinenrichtlinie reinziehen:

    —> Sie wird explizit nicht angewendet bei aller Art von Schußwaffen (da würden sie ja praktisch das “Ziel verfehlen”) __und im Verkehrswesen__!

  39. #41 fherb
    24. Februar 2016

    (ich musst jetzt einfach erst mal “speichern” drücken; geht nicht anders als “abschicken”; doch nun noch, um es abzuschließen:)

    Es wird grundsätzlich mit zweierlei Maß gerechnet. Anders hätte es wirtschaftlich gekracht. Denn nach Maschinenrichtlinie müsste heute jeder Bahnhof, jeder Haltepunkt, jedes Gleis, jede Straße, jede Kreuzung, erst recht jeder Schulweg über ein Zugangskontroll- und Interlocksystem verfügen: Es muss sichergestellt werden, dass sich keine Person im Bahnsteig/Fahrwegsbereich aufhält, solange ein Zug ein- oder ausfährt. Bzw. bedarf es um einen Sicherheitszaun zwischen Bahnsteigbereich und Fahrweg. Das Gleiche gilt für den Fahrweg mit Fahrdraht. Hier müsste sichergestellt sein, dass die unbedarfte Putzfrau keine Sicherheittschilder lesen kann und somit die Spannung abgeschaltet wird, solange zwischen Bahnsteig und Fahrweg eine begehbare Verbindung besteht. Denn die Pzufrau könnte ja eine Leiter zur Reinigung von Kioskfenstern mit sich führen, die im ungünstigsten Fall beim Abstellen oder Tragen in die Reichweite des Fahrdrahtes kommt.

    Ich spinne nicht: Auf diesem theoretischen Niveau beschäftigen wir uns (und z.B. der TÜV), wenn es um die Sicherung von Maschinen geht. Egal, ob im produzierenden Gewerbe oder in der Wissenschaft. Wir haben als Wissenschaftler nur einen Bonus: Da unsere Anlagen nur von Fachleuten in Betrieb gesetzt werden, dürfen wir etwas öfter “organisatorische Maßnahmen” festlegen (also Vorschriften), wo in der Produktion ausschließlich technische Sicherungssysteme zulässig sind.

    Nicht nur beim alten Einstein fing es an, dass Alles relativ ist. ;-)

  40. #42 Karl Mistelberger
    1. März 2016

    > #37 wasgeht, 19. Februar 2016
    > Ja, das gesamte Risiko ist sehr begrenzt. Genau deswegen habe ich das ja auch gleich am Anfang in einem eingerückten Absatz geschrieben und dann nochmal am Ende. Trotzdem ist weder “jahrzehntelange bewährt” noch “ein Restrisiko bleibt immer” ein ausreichender Grund zur Zufriedenheit.

    Das Restrisiko von Oberstdorf:
    https://www.br.de/radio/bayern1/sendungen/mittags-in-schwaben/beschraenkte-sicherheit-unzuverlaessige-bahnschranke-in-oberstdorf-100.html

    “Die Bahn schickt seit Jahren immer wieder viel Personal nach Oberstdorf, um dem Problem auf den Grund zu gehen. In regelmäßigen Abständen werden defekte Bauteile ausgetauscht.”

    So einfach kriegt die Bahn das Problem nicht in den Griff.