Mal wieder haben Wissenschaftler etwas bahnbrechend Neues heraus gefunden. Kinder brauchen Aufmerksamkeit. Sonst sind sie später aggressiv.
Ist das wieder so eine wissenschaftliche Entschuldigung?

Der NewScientist berichtet hier von der Studie. Hier ist der Pubmed-Abstract
Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren hat nach Meinung der Forscher den selben Effekt wie späterer (sexueller) Missbrauch.
Wer hätte das nur gedacht? König Friedrich der Große wird schon ein ähnliches “Experiment” zugeschrieben. Leider kann ich das Originalpaper nicht einsehen. Dem Abstract nach haben sie ein beachtliche Menge von 1318 Kindern über 8 Jahre hinweg beobachtet. Ausgangslage waren gefährdete Kinder, die scheinbar unter mehr als “nur” Vernachlässigung zu leiden hatten. Verglichen wurde dann mit Kindern, die erst nach dem zweiten Geburtstag zu leiden hatten.
Vielleicht hätte man das Geld für diese über 1318 Befragungen (wie groß war die Kontrollgruppe?) den Familien besser geben sollen oder direkt in die Betreuung der Kinder stecken sollen? Es soll übrigens auch Kinder geben, die trotz kindlicher Aufmerksamkeit später Aggressionen zeigen, wer ist denn dann Schuld?

Was sagt uns jetzt das Ergebnis? Wenn ein Kind aggressiv ist, wurde es nicht genug gekuschelt, es ist also gar nicht seine Schuld. Erziehung, Umwelt, Gesellschaft, alle brauchen sich um nichts mehr zu sorgen. Weil, die Wissenschaft hat ja bewiesen, dass es am frühkindlichen Nicht-Kuscheln liegt. Am besten weiten wir das ganze noch aus, damit auch Straftäter die Schuld von sich auf ihre frühkindliche Erfahrungen abschieben können?

Kommentare (4)

  1. #1 Monika
    April 11, 2008

    Deine Skepsis ist berechtigt. Hier soll wieder mit einer Studie, welche einen einzigen Faktor misst, “bewiesen” werden, welche Faktoren für spätere Aggressionen verantwortlich sein sollen!?

    Dabei hat hier die Psychologie resp. klinische Psychologie bereits zahlreiche Untersuchungen und Studien hinter sich, welche zu einem Verursachungsmodell führt, das alle Faktoren einbindet und sich auch bereits in der Praxis bewährt hat.

    Es scheint hier immer die Sucht nach “neuen” Studien zu sein. Solche Forscher sollten einfach nur mal schauen, was alles zum Thema bereits auf dem “Wissenschaftsmarkt” vorhanden ist. Hier geht es nur darum, seine Studien möglichst “marktschreierisch” zu verkaufen.

    Ein paar Hinweise zur Aggressionsfrage habe ich vor kurzem hier:
    Müssen Kinder ballern und sich prügeln? Ja, sagt Thomas Hartmann
    zusammen getragen.

  2. #2 Fischer
    April 14, 2008

    Ich habe gerade für Arvid Leyh einen Braincast übersetzt, in dem er unter anderem genau auf diesen Punkt eingeht. Wenn ich mich Recht erinnere, hat er das 2005 geschrieben. Die Idee ist also nicht so arg neu. Wahrscheinlich ist hier nur die Stichprobe größer.
    Insofern ist Deine Skepsis gegenüber dieser Studies durchaus angebracht.

    Allerdings machst Du meiner Meinung nach einen Kategorienfehler, wenn Du hier von Schuld oder Entschuldigung redest. Die Studie stellt einen Zusammenhang zwischen zwei Größen fest, mehr nicht. Die moralische Interpretation, auf deren Basis Du die Studie ablehnst, stammt von Dir und nicht von den Autoren.

    Es wäre meines Erachtens besser, wenn Du sorgfältiger zwischen der Aussage der Autoren und Deiner eigenen Interpretation trennen würdest.

  3. #3 Chris
    April 14, 2008

    @Lars
    Natürlich stellt die Studie “nur” einen Zusammenhang zwischen zwei Größen fest. Für die genauen Hintergründe müßte man sicherlich das ganze Paper lesen. Dennoch hatten die ja eine Intention im Hinterkopf, als sie diese Studie angefangen haben. Und ein lange bekanntes Ergebnis noch einmal zu bestätigen ist mE (etwas) überflüssig.
    Zu Deinem Einwand: Schuld bzw Entschuldigung sehe ich nicht in dem Paper, sondern in den möglichen Konsequenzen, die eine Aufarbeitung durch die Medien ggf. mit sich bringt.

    Kommt jemand an das Paper ´ran?

  4. #4 Fischer
    April 15, 2008

    Tut mir Leid, ans Paper komm ich auch nicht ran. Da könnte man natürlich nachlesen, was – nach Meinung der Autoren – an der Untersuchung wirklich neu ist. Ohne eine derartige Rechtfertigung hätten die das ja nicht publiziert bekommen.