Beispiel „ResearchGATE” – (Geschichts-) Wissenschaft 2.0 durch Social Networks? Erste Eindrücke eines Historikers (Gastbeitrag)

Von Martin Stallmann (Universität Heidelberg)*

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Martin Stallmann (*1982)

Das Internet ist aus der Arbeitswelt vieler Wissenschaftler nicht mehr wegzudenken. In den zurückliegenden Jahren haben sich auch für die Geschichtswissenschaft verschiedene fachspezifische Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten etabliert. Das Spektrum reicht hierbei von der simplen Recherche per Internet, über Datenbanken und Online-Findbücher bis hin zum deutsch-englischen Online-Informationsforum H-Soz-u-Kult, um nur einige Anwendungen anzudeuten.

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Entgegen dieser weit verbreiteten Nutzungsmöglichkeiten haben Social Network Seiten im Internet nur einen geringen Stellenwert für Wissenschaftler. Nach den Ergebnissen der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 benutzen lediglich sechs Prozent aller Berufstätigen ein Web 2.0-Angebot mit beruflicher Ausrichtung, der Anteil bei Wissenschaftlern dürfte noch geringer ausfallen. Welchen Nutzen und welche Möglichkeiten bieten also Social Networks der Wissenschaft? Ein Beispiel soll erste Eindrücke vermitteln:

Im Mai 2008 ging die Web 2.0-Applikation ResearchGATE online. Analog zu anderen Social Network Seiten wie Xing, Facebook oder StudiVZ, kann auch auf researchgate.net ein kostenloses Profil eingestellt werden. Im Gegensatz zu den bekannten Social Network Vertretern richtet sich ResearchGATE allerdings speziell an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Disziplinen.

Bernd Graff schrieb zum Start über die Ziele des Social Networks:

„ResearchGATE will daher drei Übeln begegnen: Es will die Effizienz des Arbeitens steigern, indem es für bessere Informationsflüsse sorgt. Es will die Interdisziplinarität fördern, indem es mit Personen, Denkweisen und Methoden verschiedenster Fachrichtungen bekanntmacht. Es will die Wirtschaftlichkeit verbessern, weil Lösungsansätze nicht immerfort neu erfunden werden müssen.” (SZ, 26.04.2008)

Seit dem Launch sind nach eigenen Angaben nunmehr 200.000 Wissenschaftler aus über 200 Ländern Mitglied der ResearchGATE-Community geworden, um sich zu vernetzen, auszutauschen und zu koordinieren. Neben bekannten Community-Anwendungen werden Funktionen angeboten, die an den Anforderungen der Wissenschaftler ausgerichtet sind. Die Mitglieder können neben Profil und den obligatorischen Kontaktdaten, auch Angaben zu Publikationen und aktuellem Forschungsstand machen, zudem Informationen über Lieblingsbücher, Zeitschriften und Mitgliedschaften geben. Darüber hinaus können Angaben zu wissenschaftlichen Schwerpunkten und besonderen Kenntnissen getätigt, verschiedenen Fachgruppen beigetreten oder gegründet werden.

Die weiterführenden Möglichkeiten innerhalb der Gruppe beschrieb Ulrich Herb auf heise.de folgendermaßen:

„Neben Diskussionen und Umfragen stehen eine Termin- und eine Dokumentverwaltung zur Verfügung. Dateien können in den wahlweise offenen oder geschlossenen Gruppen zusammen verfasst und bearbeitet werden – Versionskontrolle inklusive.” (Herb, Ulrich: Science 2.0: Social Network für Wissenschaftler. In: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Science-2-0-Social-Network-fuer-Wissenschaftler-201949.html – 20.12.2009)

Dem geneigten Mitglied werden Forscher mit ähnlichen Interessen angezeigt und zudem auf Publikationen verwiesen, die dem eigenen Forschungsschwerpunkt entsprechen. Dabei wird auf einen Publikationsindex zurückgegriffen, in dem Daten von 35 Millionen Veröffentlichungen enthalten sind, der aber vor allem auf Datenbanken der Naturwissenschaft, Technik oder Medizin beruht. Für die Geschichtswissenschaft speziell bietet ResearchGATE neben den allgemeinen Anwendungen noch zu wenig fachwissenschaftliche Informationen, sowie ein in zu geringer Breite aufgestelltes Mitgliederkontingent, um in der sehr spezialisierten und aufgefächerten Wissenschaft Personen zum wissenschaftlichen Austausch zu finden.

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Da sonst der alte Ausspruch von Bertold Brecht zum Radio auf das Web 2.0 umgemünzt werden müsste:

„Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen. […] Ein Mann, der was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat.”

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass abzuwarten ist, ob Web 2.0-Apllikationen wie ResearchGATE vermehrt Einzug in die Wissenschaft halten werden; beziehungsweise ob sich die Vision von einer (Geschichts-)Wissenschaft 2.0 im 21. Jahrhundert erfüllen wird.

* Martin Stallmann, M.A.

seit 2008 Doktorand und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte (Prof. Dr. Edgar Wolfrum), Historisches Seminar/ Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Universität Heidelberg (ZEGK)

Dissertationsprojekt:

„Bilder einer Generation – Rückblicke auf Achtundsechzig”

Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre:

– Geschichte der Studentenbewegung

– Deutsche Nachkriegsgeschichte

– Geschichtsdarstellung in den Medien

Kontakt –

E-Mail: Martin.Stallmann(at)zegk.uni-heidelberg.de

Kommentare (1)

  1. #1 Wenke Richter
    März 4, 2010

    Obwohl dieser Beitrag schon etwas älter ist, bleibt er in seiner Thematik immer noch aktuell. Die Kernaussage ist doch, ResearchGate wäre auch für Historiker nutzbar, wenn sich mehr dort anmelden würden. Ist das zwar richtig, aber nicht letztlich kontraproduktiv für eine positive Bewerbung von ResearchGate? Und was wären denn die Alternativen?

    Viele Grüße
    Wenke Richter