i-7ba4e4ca82fb657f62c9dc9e15acf113-Krenz6.jpg

Nicht jeder vermeintliche “Zeitzeuge” ist an einer schonungslosen Aufarbeitung der Geschichte interessiert. Das Bild zeigt den ehemaligen DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz bei der Vorstellung seines Erinnerungsbuches “Gefängnis-Notizen” am 11. Februar 2009 in Berlin. Der frühere “Schreibtischtäter” und Sicherheitssekretär des ZK der SED konstruiert sich in seiner Autobiografie zum Opfer des Wiedervereinigungsprozesses und des Rechtsstaates. Für Historiker ist es oft sehr schwierig festzustellen, ob es sich bei einem Zeitzeugen um einen Täter, Miterlebenden oder sogar um ein Opfer handelt. Zeugenkategorien und das Hinterfragen von Intensionen des “Sich-zur-Verfügung-Stellens” als Zeuge zur Aufklärung von historischen Sachverhalten werden deshalb immer wichtiger. (Foto: CJ)

Die beiden Professoren Frank Adler und Max Hermanutz (Polizeifachhochschule Villingen-Schwenningen) haben eine interessante Methode veröffentlicht, wie die Polizei in Zukunft die Glaubwürdigkeit von Zeugen überprüfen könnte. Diese haben die beiden Wissenschaftler gerade in der Fachzeitschrift „Kriminalistik” veröffentlicht. Nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP soll die Zeugenaussage auch bei der Polizei zur Pflicht gemacht werden.

Die von Stefan Geiger in der Stuttgarter Zeitung vom 7. Dezember 2009 (S. 13) vorgestellte Methode der „strukturierten Vernehmung” von Beschuldigten und Zeugen könnte auch für die Geschichtswissenschaft für die Befragung von sogenannten „Zeitzeugen” interessant sein. Zuerst müssen die Beschuldigte oder Zeugen eine Geschichte aus ihrem Alltag erzählen. Ihnen wird dabei suggeriert, dass dies ihr Erinnerungsvermögen stärken könne. Bei dem Vorgehen geht es aber nicht um die Fähigkeit des Erinnerns, sondern um den Vernehmern aussagepsychologische Hinweise zu liefern, ob in der späteren „Hauptvernehmung” überhaupt die Wahrheit gesagt wird oder nicht.

Lügner sollen entlarvt werden

Die Zeugenaussage muss dann in der Folge dreimal erzählt werden. Beim dritten Mal wird der Aussagende aufgefordert, die „Geschichte” rückwärts zu erzählen. Denn nach Ansicht der Wissenschaftler haben Lügner Schwierigkeiten, erfundene Sachverhalte auch in umgekehrter Reihenfolge zu erzählen. Ungereimtheiten und Widersprüche könnten so schneller ans Tageslicht kommen.

i-6757e589476977386eefd790709871dd-Zeuge1.JPG

“Sag die Wahrheit!” – Wie Lügner in Zeugenübernehmungen besser entlarvt werden können, beschreibt eine neue Methode der Kriminalistik. (Foto: CJ)

Diese Methode ist auch für „Oral History”-Befragungen interessant, da in einer Zeit der medialen Zeitzeugen-Überschwemmung Instrumentarien bei geschichtlichen Befragungen von Bedeutung sind. Dies würde Interviewer helfen, die Glaubwürdigkeit eines Zeitzeugen rasch zu überprüfen, besonders wenn schriftliche Quellen zu bestimmten Sachverhalten fehlen, auch wenn das Ereignis erst wenige Jahre zurückliegt. Durch die aktuellen Speichermedien und ihre mutmaßliche Nichtbeständigkeit (man denke nur an „alte” Disketten) durch den technischen Fortschritt werden die Zeugen in der Zeitgeschichte noch an Bedeutung gewinnen.

Kommentare (16)

  1. #1 ff
    Dezember 17, 2009

    Nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP soll die Zeugenaussage auch bei der Polizei zur Pflicht gemacht werden.

    In liberalen Kreisen wird das debattiert, die Polizei sei nicht hinreichend ausgebildet um Staatsanwälte zu ersetzen und Zeugen könnten sich selbst belasten bzw. sich dazu genötigt fühlen, so heisst es.
    “Strukturierte Vernehmung” wirkte hier sicherlich der o.g. Argumentation weiter entgegen; kurzum: Kein Baum oder Hirsch wird sich dafür begeistern können.

    Rechtsphilosophisch ergeben sich Fragen nach der Notwendigkeit des Ganzen, warum will man überhaupt so vorgehen, warum will man den Bürger aussagepflichtig gegenüber der Polizei machen? (OK, die Staatsanwaltschaft (der gegenüber war der Bürger immer aussagepflichtig) wird auch der Exekutive zugerechnet, aber immerhin sind das studierte Juristen! 😉

    Insofern wäre dieses Vorhaben erst einmal absolut ablehnenswert; erschreckend ist aber, dass bei der Veränderung der Bevölkerungsstruktur ganz anscheinend die Notwendigkeit entstanden liess Zeugen zu verpflichten [1], da diese sich anscheinend nicht mehr der deutschen Rechtspflege verpflichtet fühlen. Wer im Bekanntenkreis herumfragt, Rechtspfleger bei der Polizei kennend, dem wird berichtet, dass bereits bei Alltäglichkeiten der (oft immigrierte) Bürger die Zeugenaussage verweigert, obwohl er selbst überhaupt nicht als Täter in Frage kommt.

    Beste Grüße!
    ff

    [1] Ansonsten – so darf man gewiss sein – würde Fr.Leutheusser-Schnarrenberger (oder so ähnlich) nicht in Betracht ziehen auch nur einen Millimeter in Bezuf auf die liberalen Überzeugungen zurückzuweichen; die Lage muss alarmierend sein.

  2. #2 Dirk
    Dezember 17, 2009

    Das „rückwärts-erzahlen-lassen“ ist eine interessante und vor allem einfach umzusetzende Idee für Zeitzeugenbefragungen, denn nicht nur das die Aussagen aller Zeugen naturgemäß subjektiv sind, auch wollen viele ihre Geschichte verkaufen, also passen sie sie an, hübschen sie auf, machen ihre Rolle wichtiger oder unwichtiger oder korrigieren die Geschehnisse nach ihren Bedürfnissen. Und für den Interviewer ist es sehr schwer einzuschätzen, was jetzt stimmt, was nicht so ganz und was womöglich sogar gelogen ist. Noch schwieriger wird es wenn der Interviewte mit Charme und Charisma spielt und den meist unerfahrenen Interviewer einwickelt.

  3. #3 CJ
    Dezember 17, 2009

    @Dirk: Danke für Deine Ergänzung. Genau aus diesem Grund sind sehr viele Geschichts-Fernsehproduktionen mit Zeitzeugen problematisch. Außerdem wird aus den Interveiws immer nur das Passende herausgeschnitten, ohne dass dabei eine Einordnung etc. stattfindet.

  4. #4 Ludmila
    Dezember 17, 2009

    Ja gut, das löst aber nicht das Problem der falschen Erinnerung. Es sollte doch langsam auch zur Polizei durchgesickert sein, dass man dem Erinnerungsvermögen nicht trauen kann.

    Dieses Experiment im Jahr 1901 war da sehr eindeutig: Mordversuch im Hörsaal

    Da nützt es auch nicht, dass der Zeuge überzeugt ist, die Wahrheit zu sagen. Zeitzeugen sind daher immer mit extrem großer Vorsicht zu genießen. Vor allem, wenn lange Zeit vergangen ist.

  5. #5 Andrea N.D.
    Dezember 17, 2009

    @ff:
    Zeugenvernehmungen werden bislang schon immer bei der Polizei durchgeführt. Hier ging es um die Einführung neuer Verfahren zur Glaubwürdigkeitsüberprüfung von Zeugen – bei der Polizei.

    “Rechtsphilosophisch ergeben sich Fragen nach der Notwendigkeit des Ganzen, warum will man überhaupt so vorgehen, warum will man den Bürger aussagepflichtig gegenüber der Polizei machen? (OK, die Staatsanwaltschaft (der gegenüber war der Bürger immer aussagepflichtig) wird auch der Exekutive zugerechnet, aber immerhin sind das studierte Juristen! ;)”

    Ach Du meine Güte. Du hast wirklich keine Ahnung. Die Rechtsphilosophie hat damit gar nichts zu tun. Es geht eher darum: Wer macht die Ermittlungsarbeit?

    “Rechtspfleger bei der Polizei (“kennend”; ächz was ein Deutsch)” – was soll denn das sein?

    Hier ging es nicht um Zeugnisverweigerung sondern um Zeugenglaubwürdigkeit. Die Methode wurde von – na wem – entwickelt? Kurz: Wenn jemand redet, stimmt dann der Inhalt und nicht: wie bringe ich ihn zum reden?

    Und: Es gibt übrigens auch “studierte” Polizeibeamte.

    @CJ:
    Ich denke, dass diese Methode bei “Oral History” schwierig anzuwenden sein wird, weil die befragten Personen oftmals ihre Geschichte schon so lange eingehübscht haben, dass sie Unstimmigkeiten selbst nicht mehr bemerken – gerade bei einschneidenden Erlebnissen und solchen, die schon länger zurückliegen. Ein Alltagsbeispiel wären die Geburtenbeschreibungen (die Geburten werden immer kürzer, je länger sie zurückliegen) oder die Kindesentwicklungen (die Kinder haben immer früher durchgeschlafen, laufen gelernt etc., je länger dies her ist). Außerdem tritt der Interviewer ja mit einem besonderen Anliegen auf und möchte dem Befragten behutsam Informationen entlocken und nicht verärgern. Ich sehe das aber positiv: Der Historiker ist dann gefragt, aus den verschiedenen Interviews möglichst wissenschaftlich eine Realität herauszuschälen – das ist eine sehr spannende Aufgabe.

  6. #6 CJ
    Dezember 17, 2009

    @Andrea N.D.: Du hast recht. Vor und manchmal auch während einer Befragung geht es aber immer wieder um die “Glaubwürdigkeit” und “Einordnung” eines Zeitzeugen. Beispiel: Ich sah neulich eine DOKU im TV. Dabei fiel mir eine etwa 45-jährige Frau auf, die die DDR in höchsten Tönen lobte und ihr nachtrauerte. Nach 1990 sei nichts Positves passiert und sie habe keine adäquate Arbeit gefunden. Ich zappte nicht weiter und erfuhr zufällig nach zwei Werbeunterbrechungen nach 30 Minuten in einem Nebensatz, dass die Frau, wie sie selbst sagte, damals “als Major der Grenztruppen noch etwas war” (sinngemäß). An diesem Beispiel wurde mir klar: Vorsicht vor Zeitzeugen. Da ich viel mit “solchen” zu tun habe, finde ich die beschriebene Methode trotzdem interessant, um wichtige Informationen, Zusammenhänge und Abläufe besser verstehen zu können und ebenso Widersprüche oder Trugschlüsse aufzudecken.

  7. #7 ff
    Dezember 17, 2009

    @CJ
    Welche Regelungen gelten zurzeit bei der polizeilichen Zeugenbefragung?
    Findet sich die Arbeit der beiden Professoren oder die im Artikel zitierte Besprechung online?

  8. #8 ff
    Dezember 17, 2009

    Denn nach Ansicht der Wissenschaftler haben Lügner Schwierigkeiten, erfundene Sachverhalte auch in umgekehrter Reihenfolge zu erzählen.

    Am Rande, Selbstversuch, have mal versucht einen realen Tagesablauf oder ein Projekt “rückwärts zu erzählen”. Das ging gar nicht. Kann das wer?
    (Filme mit nicht chronologischer Erzählweise (bspw. Pulp Fiction) fordern dem Zuschauer auch einiges ab. 🙂

  9. #9 Christian Jung
    Dezember 18, 2009

    @ff: Zeugen haben in Deutschland bisher vor der Polizei keine Erscheinungspflicht. Diese gilt nur vor dem Richter und dem Staatsanwalt.

    Siehe dazu den Koalitionsvertrag CDU/CSU-FDP: Z. 5006-5011 unter https://www.cdu.de/doc/pdfc/091024-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf

    Genaue Literaturangabe des Kriminalistikbeitrages folgt!

  10. #10 Christian Jung
    Dezember 19, 2009

    @ff: Die Fundstelle des Artikels in der Zeitschrift Kriminalistik lautet: „Adler, F./Hermanutz, M. (2009). Strukturierte Vernehmung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Hinweise für die polizeiliche Praxis. Kriminalistik, 63, 10, 535 – 543.“ (habe das online noch nicht gefunden, kostet aber was!). Wenn Dich das Thema näher interessiert, würde ich Dir empfehlen, Dir den Sammelband anzusehen, der von Hermanutz und Sven Litzcke herausgegeben wurde: Hermanutz, M./Litzcke, S.M. (2009). Vernehmung in Theorie und Praxis: Wahrheit – Irrtum – Lüge. 2. Auflage, Stuttgart: Boorberg; Beste Grüße CJ

  11. #11 ff
    Dezember 19, 2009

    Danke für die Hinweise!
    Zum Ansatz der beiden Professoren siehe auch meinen kleinen Selbstversuch, der direkt gewisse Zweifel am vorgeschlagenen Vorgehen aufkommen liess.

    Zur bisher geübten Praxis hatte ich weiter oben ein paar Zeilen geschrieben, auch warum dieses Vorgehen, das vielen Liberalen missfällt bzw. missfallen muss, überhaupt in den Koalitionsvertrag gelangte.

    Grüße!
    ff

  12. #12 Andrea N.D.
    Dezember 19, 2009

    @ff:
    Okay, nachdem Du nun offensichtlich festgestellt hast, dass Zeugnisverweigerung und Zeugenglaubwürdigkeit zwei Paar Stiefel sind und dass in diesem Fall Deine Vorbehalte gegenüber der “unstudierten” Polizei unangebracht waren, hätte ich jetzt doch zu gerne gewusst, was denn die Aufgabe des Rechtspflegers bei der Polizei ist, den Du kennenderweise zum Thema befragt hattest.

  13. #13 ff
    Dezember 19, 2009

    @Andrea:
    Sorry, der Vorbehalt gegen unstudierte Polizisten ist zugunsten der in bestimmten Kreisen gepflegten Debatte eingeführt worden und deckt sich explizit nicht mit der Meinung des Kommenators.
    Selbstverständlich soll und darf die Polizei Zeugenaussagen aufnehmen, es ging um den Vorbehalt derjenigen, die dieser eine Ungeeignetheit vorwerfen i.p. Inschutznahme der Gehörten vor Selbstbezichtigung.
    Hoffe mal, dass das jetzt verstanden werden konnte. 🙂

    Viel interessanter finde ich doch den Ansatz des Professorenteams durch “Rückwärtsbefragungen” Tatbestände zu ermitteln. Wäre das vielleicht problematisch oder gar unethisch? Könnten Zeugen, die nicht “rückwärtskompatibel” sind, in einen eigens gebauten Verdacht geraten?

    Anders formuliert: Könnten die Professoren nicht einfach Stuss produziert haben?

    Ich weiss aber nicht, ob das jemanden interessiert, ich weiss auch nicht, ob die jetzige Situation, d.h. Zeugen wollen aus bestimmten Gründen einfach nicht aussagen, jemanden interessiert.
    Hier. 😉

    Aber mir ist egal, wie Helge Schneider zu sagen pflegt,

    Ohren steif halten,
    beste Grüße!
    ff

    PS: Inhaltsmeister auf jeden Fall OK, das meinen Sie doch auch, oder?

  14. #14 Andrea N.D.
    Dezember 19, 2009

    @f:
    “Viel interessanter finde ich doch …” – genau darum ging es. Schön, dass Du das jetzt auch bemerkt hast.
    “Hoffe mal, dass das jetzt verstanden werden konnte. :)”
    Na ja, außer Dir hatten das bisher hier wohl alle verstanden.

    “Sorry, der Vorbehalt gegen unstudierte Polizisten ist zugunsten der in bestimmten Kreisen gepflegten Debatte eingeführt worden und deckt sich explizit nicht mit der Meinung des Kommenators.”
    Übersetzung = Das Vorurteil gegenüber angeblich fehlender akademischer Bildung bei der Polizei habe ich in die Diskusison eingeführt, um bestimmte Debatten in dieser Hinsicht zu stützen, obwohl dies nicht meine Meinung ist. Du fühst hier etwas in die Diskussion ein, zugunsten der in bestimmten Kreisen gepflegten Debatte (Nachweis?), während es nicht Deine Meinung ist? Na, da hoffe ich doch einmal, dass Du mit diesen Kreisen nicht einmal Nazis oder Ähnliches meinst, “zugunsten” derer Du etwas in die Debatte einführen musst, obwohl es nicht Deine explizite Meinung ist.

    Du hast immer noch keine Antwort gegeben, was denn nun der angebliche Rechtspfleger bei der Polizei macht, den Du kennst. Ich vermute einmal er ist kennender Teilnehmer der in bestimmten Kreisen gepflegten Debatte.

  15. #15 ff
    Dezember 19, 2009

    @Andrea:
    Ich weiss nicht welche Argumentationstechniken bei Ihnen zugelassen sind, will das auch nicht mehr wissen und schätze weiterhin Ihre ehrenwerte Meinung.
    An Trampelabenden möchte ich aber nicht teilnehmen.

    Muss ohnehin weg für dieses Jahr,
    beste Grüße!
    ff

  16. #16 Andrea N.D.
    Dezember 20, 2009

    @ff:
    Klar. Und bis Du wieder da bist, informierst Du Dich über die Position des Rechtspflegers bei der Polizei und teilst uns Deine Erkenntnisse mit, gell?
    Guck mal, in dem anderen Thread musstest Du schon 2 Tage früher “für dieses Jahr “weg …
    ff· 17.12.09 · 20:38 Uhr
    @FF
    Du, ich muss jetzt gleich weg, nächstes Jahr wieder verfügbar, “Respekt” referenziert natürlich das Toleranzprinzip [1] und wo ist “nebenan”?

    [1] Respekt vs. Aushalten [i]
    [i] Möppeln geht natürlich immer. 🙂